Ist die aktuelle Indien-Berichterstattung „Propagandajournalismus“? Angst-Schüren mit Zahlen-Tricks in den Medien?

Gabor Steingart schreibt in seinem Newsletter: „Das Coronavirus hält die größte Demokratie der Welt im Würgegriff. Die Lage in Indien ist dramatisch:

·     Das Land ist derzeit für 40 Prozent der Corona-Neuinfektionen weltweit verantwortlich. Mit 352.991 Corona-Neuinfektionen binnen 24 Stunden erreicht Indien den fünften Tag in Folge den weltweiten Höchstwert. Nur in den USA wurden seit Beginn der Pandemie mehr Fälle gemeldet.

·     Mit 2812 Corona-Toten innerhalb eines Tages und insgesamt 195.123 Toten hat Indien die meisten Todesfälle Südasiens. Zugleich sind die Krankenhäuser zu mehr als 200 Prozent ausgelastet. Patienten sterben auf dem Weg in die Klinik, Krematorien bitten Angehörige von Verstorbenen um Geduld.“

Viele Medien in Deutschland berichten im gleichen Duktus. Öffnet man Internet-Seiten, Zeitungen und Fernseher, kommt man in Alarmstimmung.

Deshalb hier eine Gegenstimme – ein Text von Alfred Koch, dem früheren Vize-Regierungschef von Russland. Der Russlanddeutsche kennt Wladimir Putin noch aus gemeinsamen Petersburger Zeiten, ist heute ein heftiger Kritiker des Präsidenten und lebt in Oberbayern:

„Das Theater, das von den europäischen Medien in Sachen Corona in Indien gespielt wird, soll zeigen, dass es Orte auf der Welt gibt, an denen die Situation schlimmer ist als in Europa, und dass die europäischen Behörden alles richtig machen und wir alles ertragen müssen, all die  Einschränkungen, „sonst wird es wie in Indien sein“.

Und was ist mit Indien? Berechnen wir nicht die absoluten, sondern die relativen Werte. Durchschnittlich werden in Indien pro Tag etwa 350.000 Menschen positiv getestet. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in Indien 1,4 Milliarden Menschen leben, bedeutet dies 250 Menschen pro 1 Million Einwohner.

Dies ist jedoch ungefähr das gleiche Infektionsniveau wie in Deutschland in der letzten Woche: durchschnittlich 245 Menschen pro Million und Tag. In einigen anderen europäischen Ländern ist die Situation manchmal schlimmer. Und die ganze vorletzte Woche war die Zahl sogar viel höher – 300 Menschen pro Million Einwohner.

Und niemand ist deswegen in Hysterie verfallen, niemand rief, dass es in Deutschland eine Katastrophe gäbe. Und in Berlin gab es sogar eine Kundgebung von vielen Tausenden gegen die Corona-Maßnahmen.

Die Sterblichkeitsrate ist dabei in Wirklichkeit dieselbe: 3.000 Todesfälle gab es in Indien vorgestern, das sind ungefähr 2 Menschen pro einer Million. In Deutschland starben in der vergangenen Woche etwa 2,6 Menschen pro einer Million Einwohner pro Tag. Und niemand zeigte im Fernsehen oder in den Medien Friedhöfe mit einem Strom von Leichen, weinende Witwen und gruseligen Scheiterhaufen …

Ich sage es seit langem: Es gibt nichts Ekelhafteres als Propagandajournalismus, insbesondere in seiner freiwilligen Form, wenn ein Journalist auf Ruf seines Herzens hin Propagandist wird…“

Ich habe Ihnen hier zwei konträre Meinungen vorgestellt, damit Sie sich selbst ein Bild machen können. Ein Aspekt, der in beiden Positionen nicht vorkommt, ist der, wie gut das indische Gesundheitswesen auf die Situation vorbereitet ist und wie es mit ihr fertig wird. So wenig ich mich mit Indien auskenne, so wenig kann ich mir vorstellen, dass die medizinische Versorgung dort auf dem Niveau von westeuropäischen Ländern ist. Insofern ist jeder Versuch einer Gleichsetzung in meinen Augen mit Skepsis zu betrachten. Andererseits kann man sich aber auch schwer vorstellen, dass die Hygiene-Maßnahmen in Indien genauso streng umgesetzt werden wie bei uns – und die Raten der positiv Getesteten sind dennoch auf einem ähnlichen Niveau. Also Fragen über Fragen.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

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Bild: Manoej Paateel/Shutterstock

Text: br

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