Von Mario Martin
Die Aktion #allesaufdentisch ist um einen Beitrag reicher. Nachdem die Aktion durch die Löschungen einiger Videos von YouTube nochmal Aufmerksamkeit erregte, liefert der Schauspieler Jan Josef Liefers nun einem Doppelbeitrag nach, der auf der Website der Aktion zu finden ist. Mit seinem Beitrag war er bereits ein Aushängeschild der Vorgängeraktion #allesdichtmachen. Dort warf er Fragen zum fehlenden wissenschaftlichen Diskurs auf. Das Video hat inzwischen 1,65 Millionen Aufrufe auf YouTube.
Liefers hatte zunächst nicht an der neuerlichen Aktion teilgenommen, war aber medienwirksam für einen Tag auf einer Corona-Intensivstation zu Gast. Dem folgte sein Bericht für die Bildzeitung: „Keiner wäre hier mit Impfung“. Weiterhin sagte er: “Ist das nun doch ein Impfaufruf? Tja, was soll ich sagen? Ich befürworte die Impfung Erwachsener, absolut klarer Fall.”
Nun also die Nachreichung für die neue Aktion. Das Gespräch in zwei Teilen mit Prof. Dr. Stephan Russ-Mohl, seines Zeichens emeritierter Professor für Journalismus und Medienmanagement, behandelt die Rolle der Medien während der Krise.
Die Corona-Medienlandschaft
Zuerst setzt der geborene Dresdner die Corona-Medienlandschaft mit seinen Erfahrungen aus der DDR in Beziehung. Die Berichterstattung erinnere ihn an seine Vergangenheit. Damals wie heute ginge es vornehmlich um die Erzeugung von Zustimmung, denn um eine objektive Berichterstattung.
Russ-Mohl führt aus, wie inzwischen hinter jedem Journalisten vier bis fünf PR-Fachleute stehen. In der guten alten Zeit wären Journalisten anders aufgestellt gewesen. Durch Gegenrecherche und eigene Themensetzung hätten sie Regierungen und Medien noch Paroli bieten können. Liefers ergänzt: Dies sei “Gott sei Dank” heute ebenfalls noch möglich und nicht “komplett verloren gegangen”. Beide müssen lachen.
Die beiden sprechen über die Gefährlichkeit des Phänomens der Echokammer, wie man vermeidet, Informationen nur noch aus einer Ecke zu bekommen. Dadurch entstünde schnell der Eindruck, es gäbe überhaupt nur eine Meinung zu einem Sachverhalt. Weitere Themen sind die Verengung des Diskurses, mangelnde Zivilcourage und Applaus von der falschen Seite.
Ist Haltungsjournalismus Journalismus?
In Teil 2 spricht Liefers die Transformation des Journalismus vom Augstein’schen Diktum “Sagen, was ist” hin zum Haltungsjournalismus an, der sich inzwischen in deutschen Redaktionsstuben etabliert hat. Ob dies überhaupt noch als Journalismus gelte? Russ-Mohl beruhigt, dies sei alles Journalismus, der auf einem freien Markt eine Daseinsberechtigung hätte. Er meldet dennoch ob dieses Trends Bedenken an und bedauert die Entwicklung.
Jedoch scheint er hier zu vergessen, dass gerade der Haltungsjournalismus hohe Subventionen erhält. Und das nicht nur über eine GEZ, die den freien Wettbewerb in dieser Branche ohnehin ad absurdum führt, sondern inzwischen auch direkt vom Staat, von Big-Tech oder auch von der Bill & Melinda Gates Foundation. Beispielhaft ist hier der Spiegel zu nennen, der sich mit 2,3 Millionen Euro ganze Rubriken von der Bill & Melinda Gates Foundation finanzieren lässt.
Liefers adressiert anschließend die Journalisten, die inflationäre Verwendung von Adjektiven zur Beschreibung von Sachverhalten zu überdenken. Dadurch würde sich das inzwischen so beliebte “Framen” – also die Schrulle, der Nachricht einen gewissen Drall zu geben – reduzieren. Dies säe Kränkung und Wut.
Russ-Mohl warnt vor der Erzeugung einer Übernachfrage zu bestimmten Themen, die durch die Feedback-Loops auf Social Media entstehen. Das Hochschaukeln dieser Trends würde zu einer thematischen Monokultur führen, da Journalisten zunehmend um die Bedienung dieser Nachfrage bemüht seien. Das führe dazu, dass Journalisten oft nicht mehr ihre eigenen Schwerpunkte setzen, sondern sich an der Nachfrage orientieren.
“Unbestimmte Angst in den Hirnen” und eine Buchempfehlung
Bemerkenswert ist noch der Hinweis von Liefers darauf, dass es wohl einige Zeit dauern würde, bis sich die bei vielen Menschen festgesetzte unbestimmte Angst wieder aus der „Hirnwäsche rausgespült hat“. Liefers scheint den Umgang der Medien mit den Menschen also als Pawlowsche Konditionierung durch Angst zu werten. Er wünscht sich eine Rückbesinnung auf Miteinander und Menschlichkeit.
Die Voraussetzungen dafür seien jedenfalls da, denn der Mensch ist dem Menschen von Natur aus eben doch kein Wolf. Zu dieser Einsicht, die auch Schopenhauer in seiner Abhandlung zum Mitgefühl des Menschen teilt, empfiehlt er das Buch “Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit” von Rutger Bregman. Zumindest dieser Empfehlung kann sich der Autor anschließen.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Mario Martin ist Ökonom und arbeitet als Software-Projektmanager in Berlin.
Bild: Screenshot allesaufdentisch.tvText: Gast