Von Kai Rebmann
Der „Fall Schlesinger“ rund um Verschwendungssucht und Vetternwirtschaft beim RBB hatte für sich allein genommen schon das Potenzial, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland in seinen Grundfesten zu erschüttern. Wie sich jetzt aber nach und nach zeigt, war die Ex-Intendantin, die den RBB zu einem Selbstbedienungsladen für sich und ihre Vertrauten gemacht hat, nur so etwas wie die Vorbotin für das ganz große ÖRR-Beben. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass es beim NDR eine Art „politischen Filter“ gebe und die dortige Führung wie „Pressesprecher der Ministerien“ wirkten, so der Vorwurf, auf den wir noch zurückkommen werden. Was eigentlich schon lange ein eher schlecht gehütetes Geheimnis ist, hat eine breite Diskussion über Sinn und Unsinn des ÖRR ausgelöst, die so schnell nicht wieder verstummen dürfte. Dass dieses durch Zwangsgebühren finanzierte System in der gegenwärtigen Form noch eine Zukunft hat, glaubt kaum noch jemand.
Im Mittelpunkt der aktuellen Vorwürfe gegen den NDR steht die offensichtlich einseitige und voreingenommene Berichterstattung zugunsten von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther. Der CDU-Politiker hatte seinen Parteifreund Hans-Joachim Grote als Innenminister des Landes entlassen. In der Folge plante der NDR einen Bericht über den Fall und wollte ursprünglich auch den geschassten Grote zu Wort kommen lassen. Kurz vor der Ausstrahlung wurde das kritische Zitat des Ex-Innenministers auf Geheiß der zuständigen Redaktionsleiterin Julia Stein aber aus dem Beitrag entfernt. Ebenso wurde ein geplantes Interview mit Grote abgesagt, so dass nur der Ministerpräsident seine Sicht der Dinge präsentieren konnte.
NDR-Journalisten fordern „lückenlose und transparente Aufarbeitung“
Mehrere Medien berichten von einem Brandbrief, den 72 Mitarbeiter an Funkhausleiter Volker Thormälen geschrieben haben. Dem Vernehmen nach soll es sich bei den Unterzeichnern des Schreibens bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich um Journalisten handeln. Es brauche „eine lückenlose und transparente Aufarbeitung aller Vorwürfe“, lautet die zentrale Forderung der NDR-Angestellten. Die Journalisten zeigten sich „schwer erschüttert“ über die offensichtlichen Versuche der politischen Einflussnahme durch ihren Arbeitgeber. Man erwarte, „dass alle Mitarbeitenden des NDR Schleswig-Holstein zeitnah und vollumfänglich über die weiteren Vorgänge informiert und am Aufarbeitungsprozess beteiligt werden.“ Als wichtigstes Anliegen nennen die Autoren des Brandbriefs, dass „verlorenes Vertrauen“ sowohl bei den Mitarbeitern als auch den Zuschauern, Zusehern und Usern wieder aufgebaut werde.
Mit dem gegenseitigen Vertrauen scheint es innerhalb des NDR aber so eine Sache zu sein. Der Sender teilte am Montagabend mit, dass der Inhalt des Brandbriefs „nach Wunsch der Initiatoren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt“ gewesen sei. Was aber natürlich nichts daran änderte, dass das Schreiben dem Stern eigenen Angaben zufolge „exklusiv vorliegt“ und mehrere Medien daraus zitieren konnten. Es scheinen also die für den NDR tätigen Journalisten zu sein, die ihren eigenen Chefs nicht mehr über den Weg trauen und an ein ehrliches Interesse der Aufarbeitung der im Raum stehenden Vorwürfe glauben.
Und die Bedenken der NDR-Leute scheinen durchaus ihre Berechtigung zu haben. Zwar betont Laura Pooth in der Mitteilung des Senders, dass man „die erhobenen Vorwürfe sehr ernst“ nehme und es „selbstverständlich keine politischen Filter“ oder „unangemessene Einflussnahme“ geben dürfe. Die Vorsitzende des Rundfunkrats ergänzt aber gleichzeitig, dass ihr Gremium die entsprechenden Untersuchungen selbst durchführen werde. Einen „externen Sachverstand“ werde man nur bei Bedarf hinzuziehen, so Pooth.
Europaabgeordneter spricht von „erschreckendem Ausmaß“
So lobenswert der Brandbrief der NDR-Journalisten grundsätzlich ist, so deutlich wird aber auch, dass die Verfasser wohl vor allem die Angst um die eigene berufliche Zukunft umtreibt. Das Schreiben wurde erkennbar mit angezogener Handbremse formuliert, so wurde zum Beispiel auf die Forderung nach personellen Konsequenzen beim Führungspersonal verzichtet. Die Hand, die einen seit Jahren füttert, will man schließlich nicht beißen, zumindest nicht zu fest. Es muss zudem die Frage erlaubt sein, ob den beim NDR oder einem anderen Sender des ÖRR tätigen Journalisten erst jetzt aufgefallen ist, dass es in den Redaktionsstuben in der ganz überwiegenden Mehrheit „politische Filter“ gibt.
Was also steckt hinter diesem Brandbrief und warum wurde er gerade jetzt geschrieben? Sehen die Haltungsjournalisten die Felle eines Systems davon schwimmen, von dem sie jahrelang nicht schlecht profitiert haben? Ahnen sie vielleicht schon, dass viele von ihnen auf der Straße landen werden, sobald es auch in Deutschland zu der längst überfälligen Reform oder gar Abschaffung des bisherigen ÖRR kommt? Dennoch muss man den Kollegen vom NDR eines lassen: Mit ihrem Vorwurf, dass ihre Chefs wie „Pressesprecher der Ministerien“ wirkten, lagen die Autoren des Brandbriefs offenbar goldrichtig.
Wie die Bild erfahren haben will, sollen sich leitende Redakteure des NDR bei Ministerpräsident Daniel Günther als Regierungssprecher beworben haben. Auch das spräche dafür, dass die NDR-Chefs nicht mehr an eine allzu rosige Zukunft des ÖRR in Deutschland glauben und sich vorsichtshalber schon nach neuen Jobs umsehen. Aber es wird noch unglaublicher: Mitglieder der Landesregierung sollen bei verschiedenen NDR-Redakteuren auf den Gästelisten der jeweiligen Hochzeiten gestanden haben. Intern werde nicht vom Ministerpräsidenten Günther gesprochen, sondern einfach nur von „Daniel“. Auf diese Filz-Vorwürfe angesprochen, gab sich der NDR äußert schmallippig: „Wer bei wem bei der Hochzeit ist, das ist eine Privatsache.“
Tatsächlich mehren sich die Stimmen, die sich für ein großes Reinemachen beim Staatsfunk aussprechen. Der Europapolitiker Patrick Breyer (Piratenpartei) sprach im Stern-Interview angesichts der unhaltbaren Zustände beim NDR von einem „erschreckenden Ausmaß“ und äußerte massive Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des Senders. „Wenn er eine Propagandaabteilung oder der Hofberichterstatter der Regierung ist, dann verliert er wirklich seine Existenzberechtigung“, urteilte der ehemalige Landtagsabgeordnete über den NDR. Beim RBB sei es „nur“ um die Verschwendung von öffentlichen Geldern und den Versuch gegangen, sich persönlich zu bereichern. Beim NDR gehe es dagegen „um die ganz grundsätzliche Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer Demokratie“, weshalb der EU-Politiker in diesem Zusammenhang von einem „viel größeren Skandal“ sprach.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: Matthias Roehe / ShutterstockText: kr
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