Wie strickt man eine Desinformation? Focusartikelanalyse

Ein Gastbeitrag von Vera Lengsfeld

am 30. Januar 11:30 erschien auf der Webseite praxistipps.focus.de ein in der Rubrik „Praxistipps – Politik“ eingeordneter Artikel von Dagmar Sieberichs mit dem interessanten Titel: „Werteunion Mitglied werden: Was bedeutet das?“

Nach dem Lesen habe ich mich entschlossen anhand dieses kleinen Meisterwerks Ihnen eine Gegenanalyse zu präsentieren, um zu zeigen, wie eine Desinformation gestrickt wird.

Ich habe mir dazu nur eine Passage rausgegriffen. Sie steht als bullet point 2 in dem ersten Abschnitt des Artikels mit der Zwischenüberschrift: „Werteunion Mitglied werden: Die Werteverschiebung innerhalb des Vereins.“

Ich zitiere die Passage komplett und füge als Kontext auch den relativ sachlich gehaltenen ersten Punkt hinzu. Der Originalartikel enthält noch zwei Links auf deren Übertragung ich hier verzichte, die aber in der Original-Quelle anklickbar sind.

Auszug aus Focus-Praxistipps-Politik-Stück von Dagmar Sieberichs:

  • Die Werteunion e.V. wurde am 25. März 2017 in Schwetzingen von Mitgliedern der CDU und CSU gegründet. Ein Jahr später fand ein Bundestreffen statt, auf dem der Verein eine konservative Grundsatzerklärung formulierte und beschloss. Er kämpft nach eigenen Angaben für eine Rückbesinnung auf die Werte der CDU/CSU von Adenauer, Strauß und Kohl.
  • Seit dem 28. Januar 2023 ist Hans-Georg Maaßen Vorsitzender der Werteunion e.V. Er stand in der Zeit von August 2012 bis November 2018 dem Bundesamt für Verfassungsschutz als Präsident vor. Im November 2018 wurde er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Grund dafür war sein uneindeutiges Verhalten zu Ausschreitungen in Chemnitz im Jahr 2018. Organisierte Rechte und Neonazis hatten Migranten bzw. Migrantinnen und ein jüdisches Restaurant angriffen, ein Mann starb. Das Video dieser Menschenjagd wurde wenige Stunden nach den Angriffen veröffentlicht. Maaßen bezeichnete den Film als Fake und Desinformation.

Ich gehe den zweiten Punkt Aussage für Aussage durch:

DS: „Seit dem 28. Januar 2023 ist Hans-Georg Maaßen Vorsitzender der Werteunion e.V.“

VL: Der Satz ist faktisch richtig und die Weglassung des Dr. jur bei Hans-Georg Maaßen kann man unter journalistischer Freiheit akzeptieren.

Es folgt Satz 2:

„Er stand in der Zeit von August 2012 bis November 2018 dem Bundesamt für Verfassungsschutz als Präsident vor.“

VL: Auch der Satz ist faktisch richtig.

Es folgt Satz 3 und 4:

„Im November 2018 wurde er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Grund dafür war sein uneindeutiges Verhalten zu Ausschreitungen in Chemnitz im Jahr 2018.“

VL: Hier enthält der Text eine klare Kausalverknüpfung – für die faktisch immer noch richtige Versetzung von HG Maaßen in den vorzeitigen Ruhestand wird sein „uneindeutiges Verhalten“ zu „Ausschreitungen in Chemnitz im Jahr 2018“ postuliert.

In diesem Teil wird von Sieberichs durch Verknüpfung mit einem unbestreitbaren Fakt (Maaßens Versetzung in den Ruhestand) die Desinformation vorbereitet. Wie ein kleiner Review der damaligen Affäre zeigt, stimmt die Charakterisierung der in Rede stehenden Vorgänge in Chemnitz mit „Ausschreitungen“ und das Handeln von HG Maaßen in seiner damaligen Verantwortung als „uneindeutiges Verhalten“ nicht mit der Wirklichkeit überein.

Sieberichs „beweist“ ihre Argumentation mit folgenden Punkten:

Satz 5:

„Organisierte Rechte und Neonazis hatten Migranten bzw. Migrantinnen und ein jüdisches Restaurant angriffen, ein Mann starb.“

VL: Die Realität von Chemnitz sah anders aus: Wahr ist, dass ein Mann gestorben ist, aber nicht im Zusammenhang mit „organisierten Rechten und Neonazis“, die „Migranten bzw. Migrantinnen und ein jüdisches Restaurant angriffen“.

Der Chemnitzer Daniel H. (†35) wurde am 26.8.2018 gegen 3 Uhr auf offener Straße im Nachgang des Volksfests anlässlich des 875. Stadtjubiläums erstochen. Verdächtigt werden der Iraker Yousif A. (22), der Syrer Alaa S. (23) (die nach der Tat festgenommen werden) und Farhad A. (22), der nicht gefasst wurde. Fast genau ein Jahr nach der tödlichen Attacke wird Alaa S. (24) wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt, nach Farhad A. wird weiterhin international gefahndet, der Verdacht gegen Yousif A. hat sich nicht erhärtet, er wurde Zeuge im Verfahren und steht jetzt gemäß Bild-Artikel unter Zeugenschutz.

Warum konstruiert Sieberichs wahrheitswidrig ihre Aussage so, dass die Leser den Eindruck gewinnen müssen, dass der in Rede stehende Tote im Zusammenhang mit vorher erwähnten „Organisierte Rechte und Neonazis hatten Migranten bzw. Migrantinnen und ein jüdisches Restaurant angriffen“ steht?

Die Frage bleibt unbeantwortet.

Aber es ist eindeutig, dass Sieberichs ein stark irreführendes Bild von den komplexen Vorgängen in Chemnitz zeichnet – wie man in den Quellen durch eigene Recherche feststellen kann, waren die Ereignisse in Chemnitz dynamisch und aufgeladen (siehe z.B. Bild-Analyse anbei).

Der Vorfall/Angriff auf das Restaurant „Schalom“ bedarf dabei sicherlich einer eigenen Bewertung, die aber hier zu weit führen würde – ich verweise auf den MDR-Bericht, der als Ausgangspunkt für weitere Recherchen dienen kann.

Jetzt folgt Satz 6:

„Das Video dieser Menschenjagd wurde wenige Stunden nach den Angriffen veröffentlicht. Maaßen bezeichnete den Film als Fake und Desinformation.“

Bevor wir zu einer Gesamteinschätzung kommen, hier noch mal der gesamte Sieberichs-Text:

  • Seit dem 28. Januar 2023 ist Hans-Georg Maaßen Vorsitzender der Werteunion e.V. Er stand in der Zeit von August 2012 bis November 2018 dem Bundesamt für Verfassungsschutz als Präsident vor. Im November 2018 wurde er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Grund dafür war sein uneindeutiges Verhalten zu Ausschreitungen in Chemnitz im Jahr 2018. Organisierte Rechte und Neonazis hatten Migranten bzw. Migrantinnen und ein jüdisches Restaurant angriffen, ein Mann starb. Das Video dieser Menschenjagd wurde wenige Stunden nach den Angriffen veröffentlicht. Maaßen bezeichnete den Film als Fake und Desinformation.

VL: Der ganze Absatz ist komplett perfide konstruiert und eine Verzerrung der eigentlichen Vorgänge.

Richtig ist, dass HG Maaßen damals als zuständiger Verfassungsschutzchef den in Rede stehenden Videoschnipsel nicht als einen Beweis für „Hetzjagden“ in Chemnitz hatte gelten lassen.

Inzwischen ist nachgewiesen, dass die von „Antifa Zeckenbiss“ gestohlene und lancierte Videosequenz „Hase, du bleibst hier“ eine Rangelei zwischen Männern am Rand einer Demonstration zeigt, aber kein Beleg für eine „Hetzjagd“, geschweige denn für „Hetzjagden“ ist. Interessanterweise agiert das Urheber-Twitter/X-Account „Antifa Zeckenbiss“ immer noch. Dieser Account hatte das auf einer privaten Chatgruppe geteilte Video rausgezogen und mit dem medial durchschlagenden Spin „Hetzjagden in Chemnitz“ versehen.

Es soll hier nicht noch einmal um die genauen Bewertungen der Folgeereignisse in Chemnitz gehen – die Berichte von Bild und t-online zeigen die Bandbreite der Beurteilung der Stimmung bei den Demos in Chemnitz im Nachgang zu der Tötung von Daniel H.

Aber Fakt ist:

Die Rolle von HG Maaßen bezieht sich auf die Beurteilung des von Antifa Zeckenbiss verbreiteten und geframten Videoschnipsels (Sieberichs nennt es in ihrem Text „Film“) – diese Videosequenz zeigt weder eine „Hetzjagd“ oder gar „Menschenjagd“ und erst recht steht die Sequenz in keinem Zusammenhang zu dem nächtlichen Vorfall am „Schalom“ oder gar mit dem Auslöser, dem gewaltsamen Tod von Daniel H.

Nein, Siebrichs nutzt hier das mittlerweile typische Muster linker Argumentation: Die Wirklichkeit kann nicht überzogen genug dargestellt oder verzerrt werden:

DS:

(…), ein Mann starb. Das Video dieser Menschenjagd wurde wenige Stunden nach den Angriffen veröffentlicht.“

– was für eine horrend falsche Behauptung!

Danach die Anklage:

DS:

Maaßen bezeichnete den Film als Fake und Desinformation.“

VL:

In der Gesamtschau (Lesen Sie den Absatz noch mal durch): Was für ein schlimm konstruierter, falscher Vorwurf!

Gibt es eine Erklärung?

Wir leben inzwischen in einem Land, wo die über 19.0000 Tsunamitoten, im Eifer des Anti-Atomkraft-Gefechts dem vom Jahrtausend-Tsunami verursachten Reaktorunglück in Fukushima angehängt werden, obwohl es zum Glück bis dato höchstens eine einstellige Zahl von Strahlungstodesfällen gibt.

Ich lasse das nicht gelten!

Wir dürfen diese Art wahrheitswidriger Irreführung der Öffentlichkeit nicht unwidersprochen lassen.

Ich fordere focus-Praxistipps-Politik und die Autorin Dagmar Sieberichs auf, den Text „Werteunion Mitglied werden: Was bedeutet das?“ in der bestehenden Form umgehend zu entfernen und durch einen Text zu ersetzen, der sachlich über die Ereignisse in Chemnitz, die WerteUnion und ihren Vorsitzenden Dr. Hans-Georg Maaßen schreibt.

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Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen, ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Sie betreibt einen Blog, den ich sehr empfehle. Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.vera-lengsfeld.de.

Bild: Shutterstock

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