Masken-Fetischismus? Viele Deutsche wollen nicht verzichten Unfassbar: Berliner Zeitung streicht kritisches Politiker-Zitat zu dem Thema

Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen – ich muss diesen Beitrag mit einem meiner Lieblingswitze beginnen: Auf einer Sitzung des Warschauer Paktes haben die sowjetischen Gastgeber jedem osteuropäischen Parteichef einen Reißnagel auf seinen Stuhl gelegt. Todor Schiwkoff wischt ihn zur Seite und setzt sich hin. Gustav Husak dreht ihn um und drückt ihn ins Holz. Der stolze Janos Kadar ruft seinen Sekretär und lässt den Reißnagel entfernen. Erich Honecker sieht den Nagel, tut nichts, setzt sich drauf, beißt die Po-Backen zusammen und denkt sich: «Die sowjetischen Genossen werden schon ihren Grund dafür haben.“

Ich muss regelmäßig an diesen Witz denken, wenn es um den Umgang der Deutschen mit Corona geht. Oder genauer gesagt: Den Umgang einer Mehrheit der Deutschen. Denn es gibt ja eine gar nicht kleine Minderheit, zu der auch ich gehöre, die unter dem Corona-Fanatismus der Germanen leidet. Und in Corona-Zeiten derart häufig und entschieden den Kopf schüttelt, dass er schon fast an ein Pendel erinnert. Neuer Auslöser des Kopf-Pendelns: Tagesfrische Berichte aus Berlin und ein Beitrag des gebührenfinanzierten Bayerischen Rundfunk (für den ich – Transparenzhinweis – früher auch schon selbst tätig war als Filmemacher).

Die Anstalt vermeldet Folgendes: „Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage wollen 69 Prozent der Bundesbürger, dass die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske vorerst weitgehend bestehen bleibt. Nur 19 Prozent sprechen sich dafür aus, die Maskenpflicht in manchen Bereichen abzuschaffen.“ Wie bitte? Ist das nur noch mit „German Angst“ zu begründen – die im englischsprachigen Raum zu einem feststehenden Begriff geworden ist. Oder steckt mehr dahinter? Masochismus? Stockholm-Syndrom? Das Reißnagel-Phänomen aus dem Witz, über das sich unsere Nachbarn seit Jahrzehnten lustig machen? Der deutsche Kadaver-Gehorsam?

Zwei Freunde von mir berichteten heute von ihrem Einkaufsbummel in Berlin. Eine Freundin: „In der ganzen Wilmersdorfer Straße habe ich nur zwei Menschen gesehen, die keine Maske trugen, und das waren offensichtlich Ausländer. Die Mehrheit hatte sogar FFP2-Masken auf. Ich selbst wurde sehr schräg angeschaut, teilweise sogar feindselig, weil ich meine Maske unter das Kinn gezogen hatte. Im Buchladen war es ähnlich, bei Deichmann dann aber Maskenträger und Maskenverweigerer halbe-halbe. Vielleicht hängt es mit der Sozialzusammensetzung zusammen?“

Je gebildeter, desto maskierter?

Im noblen „Kaufhaus des Westens“ (KaDeWe) machte der frühere Abgeordnete und Gründer der „Good Governance Gewerkschaft“ (GGG), Marcel Luthe, ein Verhältnis von fünfzig zu fünfzig zwischen Maskenträgern und Nicht-Maskenträgern aus. „Vielleicht, weil da so viele Russen einkaufen“, war meine erste ironische Reaktion. Auch eine Unterscheidung nach Geldbeutel machte Luthe nicht aus: „Hellmann, Hermes, Falke, Marco Polo etc. alles eher frei.“

Luthes Beobachtung: „Es ist deutlich zu spüren, dass manche Menschen durch die langandauernde staatliche Übergriffigkeit verunsichert sind, aber sich zunehmend wieder besinnen. Bis auf Villeroy und Boch am Ku’damm, wo eine offenbare Reichsbürgerin als Verkäuferin glaubte, ihre eigenen Regeln machen zu können, wird Berlin seit heute wieder ein Stück normaler. Also, so normal wie diese Stadt eben maximal werden kann – offensichtliche Spinner gehörten ja schon immer zum Straßenbild, aber dieser Wert wird sich sicher in den nächsten Tagen auf das Normalmaß senken.“

Generell herrscht in der Hauptstadt Verwirrung, was Masken angeht: Geschäfte, Kinos, Theater, Clubs: Einige wollen eine Maskenpflicht im Rahmen ihres Hausrechts durchsetzen. Manche machen gar keinen Hehl daraus, dass ihnen die Pflicht zur Mund- und Nasenbedeckung fehlt. Etwa Edeka. „Leider hat der Gesetzgeber mit der Novelle des Infektionsschutzgesetzes entschieden, dass die Pflicht zum Tragen von Masken nur noch in Ausnahmefällen und in besonderen Hotspots angeordnet werden kann“, kritisierte ein Sprecher des Handelsriesen gegenüber der Berliner Zeitung: „Man kann daher nun nicht erwarten, dass wir mithilfe des Hausrechts weiterhin eine Maskenpflicht durchsetzen.“ Kaum auszudenken – man rechtfertigt sich dafür, die Kunden nicht zu gängeln. Und man empfiehlt „weiterhin beim Besuch der Supermärkte das freiwillige Tragen einer medizinischen Maske, um Kunden und Mitarbeiter zu schützen“.

Nur noch in der Google-Vorschau zu erahnen: Die Passage von Luthe, die der Schere zum Opfer fiel

Wenigstens macht man kein Masken-Regime im Eigenbau. Die Pläne dafür in Geschäften, Kinos, Theatern und Clubs kritisiert Neu-Gewerkschafter Luthe laut: Es könne nicht angehen und sei diskriminierend, wenn jeder Laden seine eigenen Regeln aufstelle. Gegenüber der Berliner Zeitung äußerte sich der Politiker sehr kritisch. Das Zitat, das ich von dort übernehmen wollte, ist aber urplötzlich aus dem Artikel verschwunden und nur noch via Google in Bruchstücken zu finden. Luthe und seine Kritik wurden offenbar ausradiert. Es gibt nicht einmal einen Transparenzhinweis darauf, dass der Artikel nach Erscheinen verändert wurde. Meinungsfreiheit und Pluralismus im Jahr 2022.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Bild: Shutterstock/Ekaterina Quehl
Text: br

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