Man reibt sich die Augen.
Hotels drosseln den Service, Restaurants machen früher zu, Flüge verspäten sich, weil kein Bodenpersonal da ist. Jeder hat solche Szenen erlebt, man muss nicht einmal besonders aufmerksam sein. Und dann liest man einen Artikel in der „Welt“, der so gar nicht dazu passen will: “Jobchancen für Arbeitslose so schlecht wie nie zuvor”.
Andrea Nahles, die frühere SPD-Chefin, heute gut alimentiert als Chefin der Bundesagentur für Arbeit, spricht von einem “Brett” auf dem Arbeitsmarkt: Kaum Bewegung, kaum neue Chancen. Sie sagt: „Wir haben einen Indikator, der anzeigt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für arbeitslose Menschen ist, wieder einen Job zu finden. Der Wert liegt meist um sieben, jetzt aber bei 5,7 – so niedrig wie nie zuvor.“ Selbst Akademiker finden keinen Job. Und noch nie wurden so wenige junge Leute in Ausbildung vermittelt wie in diesem Jahr.
Was also stimmt hier nicht? Der Alltag – oder Andrea Nahles? Oder schlimmer noch: Beides?
Denn tatsächlich liegt das Problem in einer Schieflage, die kaum jemand offen benennt – weil sie zu den unzähligen Tabus gehört, die sich unser Land auferlegt hat, um das politisch und insbesondere rot-grüne Wohlbefinden nicht zu beeinträchtigen: Wir haben zu viele Jobs, die keiner machen will – und zu viele Arbeitslose, die bestimmte Jobs einfach nicht mehr als Option ansehen.
Nahles gibt sich ratlos, warnt vor Wunschdenken, ruft zur Flexibilität auf. Doch zwischen den Zeilen spricht sie eine Wahrheit aus, die in ihrer ganzen Sprengkraft politisch kaum noch handhabbar ist: Der Sozialstaat ist zum Schonraum für Anspruchshaltung geworden. Wer nicht will, muss nicht. Und wer könnte, will nicht mehr.
Man kann das moralisch problematisieren oder pragmatisch analysieren – aber die Wirkung ist die gleiche: Der Arbeitsmarkt wird zur Einbahnstraße. Am einen Ende jammern Gastronomen, Pflegeheime, Ärzte und Handwerksbetriebe, weil ihnen niemand mehr bleibt. Am anderen Ende sitzen Arbeitslose, die – oft mit akademischer Selbstüberschätzung oder schlicht fehlender Bereitschaft – auf die “richtige” Stelle warten. Oder auf gar nichts.
Ein verlogenes, ideologisch verzerrtes Bildungssystem hat in den letzten Jahrzehnten seinen Teil dazu beigetragen. Man schickte immer mehr junge Menschen in immer weichgespültere Studiengänge, versprach “Selbstverwirklichung” statt Berufsethik und machte den Azubi zum Kulturverlierer. Jetzt fehlen die Pfleger, die Mechaniker, das Personal fürs Putzen. Und wenn man junge Menschen fragt, was sie sich vorstellen, sagen viele: „Remote, kreativ, flexibel.” Nur bitte nicht umziehen. Oder früh aufstehen.
Derweil strampelt sich die Arbeitsagentur ab, appelliert, startet „Initiativen”, verteilt Broschüren. Wer sich auskennt, weiß: Der Apparat verwaltet mehr, als er vermittelt. Druck gibt es kaum noch. Wer sich querstellt, wird beraten, nicht gedrängt. Und so sickert in die DNA einer ganzen Generation die Haltung: Der Staat wird’s schon richten.
Tatsächlich stimmt auch Nahles’ Hinweis auf das Wohnungsproblem. Wer soll in München oder Stuttgart eine bezahlbare Wohnung finden, wenn er 14 Euro die Stunde bekommt? Doch auch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn Jobs gibt es auch anderswo – nur dort will kaum jemand hin. Mobilität klingt in der Broschüre der Bundesanstalt für Arbeit schön, scheitert aber an Lebensrealität und mentaler Trägheit.
Das Ergebnis: Ein Land, das sich selbst blockiert. Unternehmen könnten wachsen, Dienstleistungen verbessert werden, Öffnungszeiten länger werden – aber sie finden niemanden. Gleichzeitig steigt die Zahl derer, die durch alle Raster fallen, weil ihnen kein Job mehr zuzumuten scheint. Es ist nicht nur ein wirtschaftliches Dilemma, sondern ein kulturelles.
Früher galt Arbeit als Wert an sich. Heute muss sie sich bewerben: als sinnstiftend, nachhaltig, förderungswürdig. Und wenn sie das nicht kann, bleibt sie liegen. Bangte früher der Bewerber bei Einstellungsgesprächen darum, den Job zu bekommen, so ist es heute umgekehrt – die Arbeitgeber in spe bangen darum, den Bewerber zu bekommen. Und der lässt sich umgarnen.
Ich habe viele solche Klagen gehört, von Ärzten, von Juristen – sie suchen händeringend nach Mitarbeitern. Und die fordern oft ein Rundum-Wohlfühl-Paket. Stichwort: „Work-Life-Balance“. Ein Begriff, über den man in anderen Kulturen, etwa im asiatischen Raum, nur den Kopf schüttelt. Hätten unsere Eltern und Großeltern schon so gedacht – Deutschland wäre nach dem Krieg wohl kaum wieder vernünftig aufgebaut worden.
Mein Eindruck: Bei der Bundesagentur für Arbeit kennt man die Probleme. Aber man verdrängt sie. Und noch weniger will man sie offen benennen. Denn wer heute ausspricht, dass der Sozialstaat für viele zur Ausstiegsrampe geworden ist, statt zur Brücke zurück in den Beruf – der riskiert einen Shitstorm. Also bleibt es bei Appellen, bei verschleiernden Worten wie “Matching-Problemen” oder “Bottlenecks”.
Deutschland hat kein Fachkräfteproblem. Es hat ein Realitätsproblem. Und zu viele Fachkräfte, die beruflich die Wirklichkeit schönreden.
Und Andrea Nahles weiß das. Doch sie redet lieber über Mobilitätszuschüsse. Als wäre das die Antwort auf eine Mentalitätskrise.
P.S.: Und weil ich weiß, dass auch mir hier wieder ein Shitstorm droht – ich finde es richtig und notwendig, dass Menschen, die in Not geraten, geholfen wird. Aber wenn die Hilfe so konstruiert ist, dass für viele Menschen ein Wiedereinstieg ins Berufsleben geradezu unattraktiv wird, haben wir ein Problem. Ein guter Freund von mir war einmal in den Fängen von Hartz IV. Sein Fazit: „Das System lieferte alle Anreize, dass ich drin blieb. Es war ein Wunder, und ich brauchte viel Kraft und Glück, um rauszukommen. Viele haben das nicht und hängen da ewig drin – obwohl es sie in Wirklichkeit kaputt macht“.
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