Von Daniel Weinmann
Mit der „Welt“ bot Karl Lauterbach ausgerechnet die einzige reichweitenstarke deutsche Zeitung eine Plattform, die die Corona-Politik der Bundesregierung bislang zumindest zeitweise kritisch beäugt hat. Unbequeme Fragen an den Gesundheitsminister, der längst in seinem eigenen Corona-Elfenbeinturm lebt, blieben aus.
Überhaupt: Im Grunde ist es überflüssig, Lauterbach zu interviewen. Was Deutschlands oberster Pandemie-Beauftragter von sich gibt, ist stets gänzlich frei von Evidenz und gleicht einer Dauerschleife ohne jeglichen Informationswert. Allein die kruden Phantasien des Mannes, der jeglichen Bezug zur Realität verloren hat, treiben immer neue Blüten und – sorgen bisweilen für ein mitleidvolles Lächeln.
Enttäuschend, dass sich die „Welt“-Autoren von Antworten wie diesen ohne Gegenfrage einlullen lassen. „Wir haben schon jetzt zwischen 100 und 150 Corona-Tote pro Tag. Meine Sorge ist, dass diese Zahl noch steigen könnte“, irrlichtert Lauterbach. Eine Primärdiagnose für die Todesursache scheint dem selbsternannten Wissenschaftler Lauterbach, der vorzugsweise nachts Studien liest, fremd.
»Jeder Moment, in dem Sie die Maske tragen, bedeutet mehr Schutz«
Erst an diesem Sonntag lief die Meldung über die Nachrichtenticker, dass Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) herausgefunden haben, dass bei Omikron nur 46 Prozent aller Corona-Toten tatsächlich AN Corona gestorben sind. „An Omikron verstirbt nur sehr selten noch jemand, der geimpft ist und keine zusätzlichen Risikofaktoren hat“, unterstreicht Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am UKE. Derweil bemängelt Intensivmediziner Michael Albrecht vom Universitätsklinikum Dresden, dass die Statistik auf keiner eindeutigen Datenbasis gründe. Seiner Meinung nach solle zwischen Corona als Haupt- und Nebendiagnose unterschieden werden.
Dass Menschen ohne Test oder Impf- bzw. Genesenennachweis ab Herbst der Zutritt in Restaurants oder Fitnessstudios nur noch mit Maske erlaubt werden soll, ist ein weiterer alter Lauterbach-Zopf, den die „Welt“ nicht abzuschneiden wagt. Immerhin fragt das Journalisten-Duo, ob im Restaurant tatsächlich Ansteckungen verhindert werden, wenn die Maske nur auf ein paar Metern zwischen Tisch und Toilette getragen wird. Lauterbachs Antwort überrascht nicht: „Ja. Jeder Moment, in dem Sie die Maske tragen, bedeutet mehr Schutz. Außerdem geht von der Maske immer auch ein Signal aus: An diesem Ort kann man sich infizieren. Das macht Menschen vorsichtig.“
„Die Maske muss der Maske wegen getragen werden. Als Symbol für Gehorsam den Maßnahmen der Regierung gegenüber“, befand Stefan Aust, der Herausgeber ebenjener Zeitung, in der sich Lauterbach nun auf mehreren Seiten austoben durfte. Davon übriggeblieben ist die rhetorische Frage der Interviewer: „Wird die Maske also zum Symbol?“ Der Gesundheitsminister der Herzen darf darauf antworten, was seiner beklagenswerten Kompetenz entspricht: „Nein. Sie ist kein Symbol, sie schützt ja gut in Innenräumen.“
FFP2-Maskenpflicht in öffentlichen Räumen für die Allgemeinbevölkerung nicht wissenschaftlich begründbar
Da der umfangreiche Rest des Interviews einem Kompendium der seit jeher bekannten Lauterbachschen Narrative gleicht, soll hier nur auf seine haarsträubendsten Mantren eingegangen werden.
„Für verpflichtende Maßnahmen auf Bevölkerungsebene (wie eine allgemeine Maskenpflicht, die Redaktion) besteht, wie in fast allen anderen europäischen Ländern, keine Notwendigkeit mehr“, sagte der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit gegenüber der „Berliner Zeitung“.
FFP2-Masken in Altersheimen und anderen öffentlichen Räumen gebe es in fast keinem anderen Land der Welt außer in Deutschland. Entscheidend sei die korrekte Verwendung dieser Mund-Nasen-Bedeckungen, die maßgeblich von der richtigen Anpassung an das Gesicht des Trägers abhänge. „Die Ausfallquoten von FFP2-Masken liegen zwischen 60 Prozent und 90 Prozent, insbesondere bei längerer Anwendung über eine Stunde und bei Bartträgern“, so der Professor an der Universität Hamburg. „Meine Einschätzung ist deshalb, dass eine FFP2-Maskenpflicht in öffentlichen Räumen für die Allgemeinbevölkerung nicht wissenschaftlich begründet werden kann.“
„Bezeichnungen wie „Killervirus“ oder „Killervariante“ hält Schmidt-Chanasit für „nicht wissenschaftlich“. Man könne „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass innerhalb der verschiedenen zirkulierenden Sars-CoV-2-Varianten in absehbarer Zeit keine Variante dominant werden wird, die die Immunantwort vollständig umgeht und mit einer höheren Infektionssterblichkeit einhergeht“. Omikron habe eine vergleichbare Infektionssterblichkeit wie die saisonale Influenza.
Für verpflichtende Maßnahmen besteht keine Notwendigkeit mehr
Im Gegensatz zu Lauterbach, der wie besessen von den Gefahren des Virus fabuliert, fragt sich Jonas Schmidt-Chanasit, „ob es sinnvoll ist, einen großen Teil unserer Ressourcen im Gesundheitswesen für Sars-CoV-2 einzusetzen. Die einseitige Fokussierung auf Sars-CoV-2 hat zu vielen Gesundheitsproblemen geführt“.
Dass man hierzulande auch heute immer noch Leute im Wald mit FFP2-Masken trifft, ist sicherlich ein Verdienst von Panik-Professor Karl Wilhelm Lauterbach. Für Schmidt-Chanasit ist dies ein Zeichen für die große Verunsicherung in der Bevölkerung. „Wir müssen noch besser erklären, was sinnvoll ist und was nicht.“
Solange der jetzige Gesundheitsminister im Amt bleibt, wird dies jedoch fernes Wunschdenken bleiben.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
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