Von reitschuster.de
Paxlovid wurde insbesondere für Menschen mit Vorerkrankungen als Gamechanger gefeiert. Ende vergangenen Jahres erhielt das Medikament aus dem Hause Pfizer die Notfallzulassung in den USA und kurz darauf auch in Europa. Allen bisherigen Erkenntnissen zufolge kann Paxlovid tatsächlich dazu beitragen, das Sterberisiko bei den Vulnerablen nach einer Corona-Infektion um bis zu 90 Prozent zu reduzieren. Dies gilt offenbar aber nur, wenn das Mittel alleine eingenommen wird oder allenfalls zusammen mit vergleichsweise harmlosen Medikamenten wie etwa Aspirin. Das legen die Ergebnisse einer Studie nahe, die von Forschern mehrerer US-Institutionen durchgeführt wurde, unter anderem dem Lahey Hospital and Medical Center in Burlington und der Harvard Medical School in Boston.
Die Autoren berichten in ihrer Arbeit von „gefährlichen Wechselwirkungen mit gängigen Medikamenten“. Das gelte insbesondere, wenn Paxlovid zusammen mit Statinen oder Blutverdünnern eingenommen werde. Neben der Bildung von Blutgerinnseln kann es den Forschern zufolge in diesen Fällen zu Nebenwirkungen wie einem unregelmäßigen Herzschlag oder einer toxischen Wirkung auf die Leber kommen. Da Paxlovid nicht selten gerade den Patienten verschrieben wird, die aufgrund bestehender Vorerkrankungen solche Herzmedikamente einnehmen, weisen die Autoren der Studie darauf hin, dass diese während der Einnahme von Paxlovid abgesetzt oder zumindest in der Dosierung angepasst werden müssen. „Das Bewusstsein für das Vorhandensein von Arzneimittelwechselwirkungen von Paxlovid mit gängigen Herz-Kreislauf-Medikamenten ist von entscheidender Bedeutung“, weist Dr. Sarju Ganatra auf die Wichtigkeit dieser Erkenntnis hin. Der an der Studie beteiligte Arzt aus Massachusetts appelliert daher an seine Kollegen, derartige Kontraindikationen bei ihren Patienten vor der Verschreibung von Paxlovid auf jeden Fall auszuschließen.
‚Paxlovid ist kein Freifahrtschein‘
Die in Paxlovid enthaltenen Wirkstoffe sind im Wesentlichen die beiden Virostatika Nirmatrelvir und Ritonavir. Dr. Dan Barouch vom Zentrum für Virologie und Impfstoffforschung am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston war zwar nicht an der Studie beteiligt, gilt aber dennoch als renommierter Experte auf diesem Gebiet. Gegenüber CNN erklärte er: „Ritonavir ist ein unspezifischer Wirkstoff, der den Stoffwechsel hemmt und dadurch die Wirkung des anderen Stoffs (Nirmatrelvir) erhöht. Es kann aber auch den Metabolismus anderer Medikamente hemmen. Sie müssen also sehr vorsichtig sein, wenn Sie Paxlovid Personen verschreiben, die bestimmte Blutverdünner, Herzmedikamente, Statine und andere Medikamente einnehmen.“ Paxlovid sei daher „kein Freifahrtschein“, wie Barouch betonte.
US-Präsident Joe Biden hat sich im vergangenen Juli zum zweiten Mal mit Corona infiziert. Sein Leibarzt Dr. Kevin O’Connor verschrieb ihm damals Paxlovid und setzte für diese Zeit die Behandlung mit dem Statin Crestor und dem Schlaganfallpräventionsmittel Eliquis aus. Die Gefahr von möglicherweise schweren Wechselwirkungen zwischen Paxlovid und anderen Medikamenten war in der Fachwelt also schon länger thematisiert worden, wie dieses bekannte Beispiel zeigt. Durch die Studie aus Massachusetts konnte dieser Verdacht nun erstmals auf evidenter Basis und anhand konkreter Beispiele bestätigt werden. Auch in Deutschland sorgte das Medikament bereits für Schlagzeilen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) konnte einmal mehr nicht genug von einem Produkt bekommen, das aus dem Hause Pfizer kommt, und verfiel in einen regelrechten Kaufrausch auf Kosten des Steuerzahlers. Spätestens im Frühjahr 2023 droht hunderttausenden Dosen Paxlovid die Entsorgung.
Bei diesen Medikamenten ist besondere Vorsicht geboten
Die Forscher aus Burlington und Boston haben im Rahmen ihrer Untersuchung fünf Medikamente detektiert, die auf gar keinen Fall in Kombination mit Paxlovid eingenommen werden sollten. Im Zweifelsfall muss der behandelnde Arzt abwägen, auf welches Medikament im jeweiligen Einzelfall eher verzichtet werden kann.
Antiarrhythmika: Diese Medikamente werden bei der Behandlung von Herzrhythmusstörungen eingesetzt. Bei einer gleichzeitigen Einnahme mit Paxlovid kann die metabolische Wirkung zu einem Anstieg des Plasmaspiegels im Blut führen. Antiarrhythmika müssen mindestens zwei Tage abgesetzt sein, bevor die erste Einnahme von Paxlovid erfolgt, so der Rat der Autoren. Da die Behandlung mit Paxlovid aber so früh wie möglich begonnen werden sollte, wird hier eine alternative COVID-19-Behandlung empfohlen. Eine Ausnahme stellt Sotalol dar, da dieses Medikament über die Nieren abgebaut wird und daher nicht mit dem Pfizer-Mittel interagiert.
Thrombozytenaggregationshemmer (TAH) und Antikoagulantien: Mit TAH werden häufig Patienten behandelt, die an koronaren Herzerkrankungen leiden und denen deshalb bereits ein Stent gesetzt wurde. Aspirin und Prasugrel sind in Kombination mit Paxlovid unbedenklich. Im Gegensatz dazu besteht bei Clopidogrel ein erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel, während es bei Ticagrelor zum gegenteiligen Effekt kommen kann, also einer Gerinnungsstörung. Für Patienten, bei denen eine vorübergehende Umstellung auf Prasugrel nicht möglich ist, wird im Zweifel ebenfalls eine alternative Behandlung der Corona-Infektion empfohlen.
Antikoagulantien sind Blutverdünner zur Behandlung oder Prävention von Blutgerinnseln und können grundsätzlich auch neben Paxlovid eingenommen werden. Die Autoren raten in diesem Fall aber dennoch dringend zu einer engmaschigen Beobachtung der Gerinnungsfaktoren. Bei oral eingenommenen Antikoagulantien lässt Paxlovid die Plasmaspiegel meistens ansteigen, so dass diese in der Dosis angepasst, vorübergehend abgesetzt oder nach Möglichkeit durch andere Antikoagulantien ersetzt werden sollten.
Statine: Bestimmte Medikamente dieser Gruppe, etwa Simvastatin oder Lovastatin, können im Zusammenspiel mit Paxlovid ebenfalls zu einem erhöhten Plasmaspiegel führen. Als Folge daraus kann es zu Muskelschwäche (Myopathie) und/oder Rhabdomyolyse kommen. Letzteres verursacht beim Abbau von Muskelgewebe die Freisetzung eines schädlichen Proteins in den Blutkreislauf. Die Autoren empfehlen vor der Einnahme von Paxlovid die Absetzung dieser Medikamente. Bei Atorvastatin und Rosuvastatin wird eine Reduzierung der Dosis als ausreichend erachtet, alle anderen Statine gelten als unbedenklich.
Ranolazin: Dieses Medikament wird zur Behandlung von Angina und anderen „herzbedingten Brustschmerzen“ angewendet. Die gleichzeitige Einnahme von Paxlovid führt zu einem Anstieg der Plasmakonzentration im Blut und kann in der Folge eine bestimmte Art von Herzrhythmusstörungen (Torsade de Pointes) auslösen. Das Corona-Medikament und Ranolazin gelten deshalb als kontraindiziert.
Immunsuppressive Medikamente: Diese Mittel werden in der Regel nach Herztransplantationen verschrieben. Hier warnen die Autoren der Studie ausdrücklich vor einer toxischen Wirkung, wenn Immunsuppressiva gemeinsam mit Paxlovid eingenommen werden. Auch eine nur vorübergehende Reduzierung der Dosis erscheint bei diesen Medikamenten wenig praktikabel, da diese eine praktisch durchgängige Überwachung des Patienten notwendig machen würde. Daher wird zu einer alternativen Behandlungsform einer allfälligen Corona-Infektion geraten.
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