Pensionen für die Demokratie – gebührenfinanziert Rückstellungen von 75% der Bilanzsumme

Ein Gastbeitrag von Sarah Paulus und Rolf G. Wackenberg

In schöner Regelmäßigkeit rücken die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit. Wie Ende 2020, als der Landtag von Sachsen-Anhalt seine Zustimmung zur geplanten Beitragserhöhung unterließ und die Anstalten prompt beim Bundesverfassungsgericht klagten. Das wiederum sah keinen Grund für Hektik und wies die Eilanträge ab. Seitdem herrscht Ruhe. Doch die Entscheidung in der Sache selbst steht noch aus.

Bis dahin soll die Zeit für einen Blick in die Jahresabschlüsse der Sender genutzt werden. Was sagen die Bilanzen über deren Kerngeschäft? Werden die Gelder der Beitragszahler im Sinne des Rundfunkstaatsvertrags (RStV) verwendet?

Der sagt in §11: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen.“

Oder wie Jörg Schönenborn, Fernsehdirektor Information, Fiktion und Unterhaltung des WDR, schon 2012 formulierte: „Der Rundfunkbeitrag passt gut in dieses Land. Er ist genau genommen eine ‚Demokratie-Abgabe‘. Ein Beitrag für die Funktionsfähigkeit unseres Staatswesens und unserer Gesellschaft.“

Wie es um die Funktionsfähigkeit von Unternehmen bestellt ist, sprich um den Erfolg ihrer unternehmerischen Tätigkeit, kann durch einen Blick in die Jahresabschlüsse geprüft werden. Welche Art Jahresabschluss die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erstellen und veröffentlichen müssen, ist in Staatsverträgen geregelt. Da jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht, sind die Vorgaben weder einheitlich, noch müssen Mindestanforderungen erfüllt werden, wie sie bei Unternehmen ähnlicher Komplexität und Größenordnung in der Privatwirtschaft verpflichtend sind. Am einfachsten macht es sich der RBB-Staatsvertrag. Er enthält keinerlei Pflichten zur Veröffentlichung eines Jahresabschlusses. Warum das so ist, weiß allein der Gesetzgeber.

Intransparenz als Absicht?

Um dennoch ein wenig Transparenz in den Zahlen-Dschungel zu bringen, wollen wir zunächst die Bilanzposition „Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen“ und deren Anteil am Gesamtgeschäft (Bilanzsumme) betrachten. Die Basis dafür bilden die 2019er Jahresabschlüsse von MDR, BR, WDR, SWR, HR, NDR (der lobenswerter Weise sowohl einen Einzel- als auch einen Konzernabschluss veröffentlicht) und vom ZDF, bei dem jedoch die Mühlen langsamer als bei den ARD-Anstalten mahlen, weshalb die 2018er Zahlen genügen müssen.

Pensionsrückstellungen finden sich auf der Passivseite einer Bilanz (Mittelherkunft). Bildung und Ausweis dieser Position sind verpflichtend, wenn sich Arbeitgeber beispielsweise im Rahmen von Pensionsvereinbarungen dazu verpflichtet haben, ihren Arbeitnehmern ab deren Renteneintritt eine Pension zu zahlen. Der aktuelle Bilanzwert der Rückstellungen ist der Saldo aller bis dato gebildeten Rückstellungen abzüglich Auflösungen und Auszahlungen.

Tabelle 1: Ausgewählte Bilanzzahlen in TEUR (Geschäftsjahr 2019, außer ZDF 2018)

Im Durchschnitt liegen die Pensionsrückstellungen bei stattlichen 75% der Bilanzsumme. Spitzenreiter HR weist stolze 88% aus. Im Klartext: Bei den Öffentlich-Rechtlichen resultieren Dreiviertel der Mittelherkünfte aus Pensionsrückstellungen. Zum Vergleich: Bei der Lufthansa sind es nur 16%, bei VW und Deutsche Bahn sogar nur 8%.

Durchschnittlich 75% für Pensionsrückstellungen

Auffällig ist auch die Dynamik. So stiegen die Pensionsrückstellungen innerhalb nur eines Geschäftsjahres um zwischen 8% und 15%. Ein Sondereffekt in 2019? Keineswegs. Beim WDR etwa betrugen die Pensionsrückstellungen in 2009 noch 1,2 Mrd. Euro. Bis 2019, in nur zehn Jahren, wurden sie um insgesamt 87% erhöht. Um 9% pro Jahr.

Auf der Aktivseite der Bilanzen ist das Vermögen der Sender ausgewiesen (Mittelverwendung). Unter anderem Immobilien, Wertpapiere, Ausleihungen oder wahlweise Ansprüche aus Rückdeckungsversicherungen, die die Anstalten ganz oder teilweise als so genanntes „Sondervermögen Altersversorgung“ definieren. In Summe beläuft sich diese Position auf 6 Mrd. Euro. Das sind durchschnittlich 43% der jeweiligen Bilanzsummen. Mit 57% belegt einmal mehr der HR die Spitzenposition.

Tabelle 2: Ausgewählte Bilanzzahlen in TEUR (Geschäftsjahr 2019, außer ZDF 2018)

Während die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Pensionäre gesichert zu sein scheint, beträgt der Anteil des Programmvermögens im Durchschnitt nur lumpige 10% des Gesamtvermögens der Sender.

Programmvermögen nur 10%

Sieht so Kerngeschäft im Sinne §11 Rundfunkstaatsvertrag aus?

Vor diesem Hintergrund muss die Rolle der Baden-Badener Pensionskasse VVag (bbp) beleuchtet werden. Sie fungiert als Altersvorsorgeeinrichtung für die unbefristet Angestellten der ARD-Landesrundfunkanstalten, von Deutscher Welle, Deutschlandradio, einigen ARD-Beteiligungsgesellschaften und seit Mitte 2019 auch vom ZDF. Gleichzeitig ist sie Rückversicherer für Leistungen aus arbeitgeberfinanzierten Pensionszusagen sowie des aktuellen beitragsorientierten Tarifvertrages.

mvgDie bbp geriet Ende 2018 in Schieflage, wie WELT berichtete. Als Hilfsmaßnahmen sollten das Eigenkapital erhöht und der Garantiezins für Pensionszusagen gesenkt werden, was wiederum höhere Beiträge der Anstalten erfordern würde. Ob die Eigenkapitalerhöhung erfolgte, ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. „Überbrückungshilfen“ dürften aber geflossen sein, denn die Anstalten (außer ZDF) weisen unter der Bilanzposition „Sonstige Ausleihungen“ Zuwächse von teilweise mehreren Millionen Euro aus. Der MDR spricht von der Gewährung einer Ausleihung an die bbp, was möglicherweise kein Alleingang war. Wahrscheinlich ist, dass alle Landesrundfunkanstalten, präziser formuliert, die Beitragszahler, der bbp (zunächst) mit Krediten aushalfen.

In welchem Ausmaß die Beitragszahler dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk jährlich unter die Arme greifen müssen, verdeutlicht die Summe der „Aufwendungen im Zusammenhang mit Pensionsverpflichtungen“. Diese Zahlen verbergen sich in den „Personalaufwendungen“, den „Sonstigen betrieblichen Aufwendungen“ oder im „Zinsaufwand“ der jeweiligen Gewinn- und Verlustrechnungen.

2019 haben die Anstalten sage und schreibe 1,4 Mrd. Euro für Pensionen aufgewandt. Das sind 20% des Beitragsaufkommens aller Sender. Die Steigerungsraten gegenüber dem Vorjahr belaufen sich im Durchschnitt auf 19%, beim MDR auf 40%.

Tabelle 3: Ausgewählte GuV-Zahlen in TEUR

Weil die Anstalten allesamt Verluste schreiben, soll die „Demokratieabgabe“ erhöht werden. Zudem hat die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) einen Mehraufwand von 1,8 Mrd. Euro für den Zeitraum 2021-2024 ermittelt, ergo von 450 Mio. Euro pro Jahr.

Ein Milchmädchen könnte nun rechnen und annehmen, dass die Aufwendungen im Zusammenhang mit Pensionsverpflichtungen in 2020 erneut, sagen wir um konservative 15% gestiegen sind und dies in 2021 auch tun werden. Dann würde sich in 2021 ein Mehraufwand allein für Pensionen von 249 Mio. Euro ergeben. Mithin würden 54% der geplanten jährlichen Beitragserhöhung direkt in die Altersversorgung fließen. Zweckentfremdung als Solidarprinzip?

Selbstbedienung oder Veruntreuung?

In diesem Zusammenhang stellt sich eine wichtige Frage: Müssen die Angestellten der öffentlich-rechtlichen Anstalten, wie Angestellte in anderen Unternehmen auch, in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen? Wenn ja, wäre jede Pensionszusage als Zusatzleistung zu betrachten. Wie bei Lufthansa, VW und Deutsche Bahn. Hier allerdings werden die entsprechenden Aufwendungen, grob gesagt, durch Kunden finanziert, die freiwillig deren Produkte kaufen oder eben nicht. Diese Wahl hat der Beitragszahler nicht. Mehr noch: Anders als bei privaten Altersversorgungen, bei denen die Erosion von Garantiezinssätzen durch den Versicherungsnehmer selbst getragen wird, bedienen sich die Anstalten im Namen ihrer Angestellten beim Beitragszahler.

Offensichtlich interessiert das aber niemanden. Nicht die KEF, nicht die Aufsicht, keine Landesregierung. Und so wird der zwangsverpflichtete Beitragszahler wohl weiter einer staatlich sanktionierten Selbstbedienungsmaschinerie ausgeliefert bleiben. Denn es ist anzunehmen, dass das Bundesverfassungsgericht die Beschwerden der Anstalten gegen das sachsen-anhaltinische Unterlassen der Zustimmung nicht ablehnen wird.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

 

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Die Autorin Sarah Paulus ist auf Reportagen, Reise- und Gesellschaftsthemen spezialisiert. Der Fotograf und Autor Rolf G. Wackenberg veröffentlicht regelmäßig in zahlreichen Magazinen und Zeitschriften. Gemeinsam haben sie zwei Bücher geschrieben: Von GOETZEN bis LIEMBA und KING KOOL CITY BERLIN.

Bild: Trueno Media/Shutterstock
Text: Gast 

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