Liebe Leserinnen und Leser,
bitte helfen Sie mir! Ich verstehe die neue Bundesrepublik nicht mehr. Mit der alten, aus der ich 1990 nach dem Abitur mit zwei Koffern und allen Ersparnissen zu meiner Jugendliebe nach Moskau ausreiste, hat sie so viel zu tun wie ein McDonald’s mit einer Boulettenbude in Ostberlin.
Fast täglich komme ich mir beim Lesen der Nachrichten vor wie in Absurdistan – gerade eben wieder, als einer der mächtigsten Zeitungsleute Deutschlands, der Multimillionär Matthias Döpfner, einen Kniefall machte und sich selbst (wieder einmal) enteierte, weil eine seiner Zeitungen die Blasphemie beging, die Indoktrinierung von Kindern durch TRANS-Ideologie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu kritisieren. Wie konnten sie es nur wagen?! (die Geschichte finden Sie hier).
So sehr mich diese Geschichte aufwühlt – ich kann die Mechanismen dahinter verstehen, auch wenn ich sie erschreckend finde.
Nicht verstehen kann ich den Skandal, den eine Aussage von Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann nach dem Europacup-Sieg der Eintracht Frankfurt auf dem Rückflug in einem Flugzeug machte. Feldmann kann man sicher viel vorwerfen, vor allem seinen Hang zu Skandalen und dass es möglicherweise Vetternwirtschaft unter ihm gab (verwundert das wirklich bei einem sozialdemokratischen Kommunalpolitiker? Ich habe die Vetternwirtschaft schon als junger Sozialdemokrat am eigenen Leib erlebt – einer der Gründe, warum ich schnell wieder aus der Partei meines Urgroßvaters austrat). Aber die Äußerung im Flugzeug muss die Gotteslästerung im Quadrat gewesen sein, so zumindest der Eindruck, wenn man sich den ebenso einhelligen wie lautstarken Sturm der Empörung in allen Medien ansieht. Und auch Feldmann selbst bat später in den sozialen Medien um Entschuldigung („Dickes Sorry“).
Sein Vergehen: Er hatte gesagt, die Flugbegleiterinnen hätten ihn „hormonell außer Gefecht gesetzt“. „Sexistische Kackscheiße“, so kommentierte Ursula auf der Heide, die frühere Fraktionsvize der Grünen im Römer die Aussage. Anja Junck von der Flugbegleitergewerkschaft UFO sagte in der Frankfurter Allgemeinen: „Die erste Reaktion war: Man schlägt sich mit der Hand vor den Kopf, weil man sich gar nicht vorstellen kann, dass so etwas heute noch passiert. Für mich war das im wahrsten Sinne des Wortes übergriffig.“ Die Bordbesatzung sei Opfer geworden, so Junck.
Ich habe die Geschichte mehreren osteuropäischen Frauen erzählt. Sie verstanden sie schlicht nicht. Eine schrieb mir: „Ich kapiere echt nicht, wo da überhaupt das Problem sein soll.“ Ihre einhellige Meinung: Der Mann hat doch den Flugbegleiterinnen ein Kompliment gemacht. Feldmann habe ja nichts anderes gesagt, als dass er sie attraktiv findet. Eine Ukrainerin fragte: „Was soll daran sexistisch sein?“
Offen gestanden ist mir die Reaktion der osteuropäischen Frauen näher als die der deutschen Medien. Ich kann auch nicht einmal etwas Schlüpfriges in der Aussage des Oberbürgermeisters erkennen. Höchstens Plumpheit. Aber ist ein plumpes Kompliment Sexismus? Ich weiß – für so einen Mangel an „Haltung“ wird man in der Buntrepublik Deutschland wahrscheinlich gesteinigt und zum Aussätzigen erklärt wie ein Sexualverbrecher. Aber ich bin in der alten Bundesrepublik sozialisiert und habe dann einen Großteil meines Erwachsenenlebens in Osteuropa verbracht (fast würde ich sagen: Gott sei Dank, wenn ich mir die Reaktionen ansehe).
Ich bekenne mich schuldig: Ich habe in Osteuropa Frauen Komplimente gemacht, sogar – ganz schlimm – geflirtet und – wohl ein Kapitalverbrechen – ihnen gesagt, dass ich sie attraktiv finde und sie mich anziehen, ich habe ihnen die Tür aufgehalten, ihnen in den Mantel geholfen, ihnen Wein und Wasser nachgeschenkt und gemeinsame Abendessen bezahlt. Besonders schlimm: Ich bin „Rezidivist“, also Wiederholungstäter, weil ich immer noch aufspringe und Hilfe anbiete, wenn ich eine Frau mit einem sehr schweren Koffer etwa auf einer Bahnsteigtreppe sich quälen sehe – was mir in Deutschland schon sehr böse Kommentare eingebracht hatte und offenbar auch sexistisch ist (denn es gibt ja keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, sie sind ja nur ein soziales Konstrukt).
Ich bin für Gleichberechtigung und finde, jeder Mann hat jede Frau mit hohem Respekt und Taktgefühl zu behandeln (und umgekehrt natürlich Frauen uns Männer genauso). Aber ich kann nichts Kriminelles in der Aussage Feldmanns finden. Wenn er gesagt hätte, er fände die Crew unattraktiv, oder sich in irgend einer Weise negativ über sie geäußert oder gar lustig gemacht hätte – ich wäre der erste, der den Stab brechen würde über Feldmann.
Vielleicht können Sie mir helfen, liebe Leserinnen und Leser? Entweder, indem Sie mich überzeugen, dass ich in den 16 Jahren Russland offenbar verroht bin und einfachste Dinge im Miteinander der Geschlechter (darf man das noch schreiben?) nicht mehr verstehe – oder, umgekehrt, indem Sie mir bestätigen, dass ich noch richtig ticke. Und ein Kompliment immer noch ein Kompliment bleibt, selbst wenn es nicht das eleganteste ist, und es kein Sexismus ist oder Übergriff, wenn ein Mann einer Frau oder mehreren Frauen sagt, dass er sie anziehend findet.
Vielleicht können Sie mir auch sagen, ob ich dringend psychologischen Beistand brauche, weil ich – würde mir jemand bescheinigen, ich würde ihn hormonell außer Gefecht setzen – das als Kompliment auffassen und mich freuen würde. Auch dann, wenn diese Hormonschübe nicht auf Gegenseitigkeit beruhen würden. Muss ich mich jetzt schämen, weil mir das angenehm wäre? Oder können Sie das nachvollziehen? Oder geht es Ihnen am Ende gar auch so?
Seien Sie mir nicht böse, und korrigieren Sie mich, wenn ich wieder falsch liege: Für mich ist das, was in der Causa Feldmann zum Vorschein kommt, schlicht und einfach Prüderie. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass diese in Deutschland (und in den USA) wiederkehren würde, obwohl man sie seit Jahrzehnten für überwunden hielt. Dass dies unter dem vermeintlichen Vorzeichen bzw. als Folge einer vermeintlichen sexuellen Befreiung geschieht, ist tragikomisch.
PS: Ich selbst bin für Komplimente dieser Art herzlich gerne zu haben. Viele osteuropäische Frauen beklagen sich übrigens, sie würden sich in Deutschland nicht mehr als Frau fühlen, weil ihnen deutsche Männer so gut wie keine Komplimente machten, und ihnen auch nicht – etwa durch Flirts – das Gefühl geben, eine Frau zu sein. Ich gebe das hier kommentarlos wieder.
PS: Und noch ein Gedankenspiel. Wie wäre die Reaktion ausgefallen, wenn ein Politiker sich über männliche Flugbegleiter so wie Feldmann über die weiblichen geäußert hätte?
PS: Mein Korrektor schrieb mir nach Durchsicht: „Ich habe den Artikel erst zur Hälfte gelesen (mache gleich – mit Vergnügen – weiter), befürchte aber jetzt schon dass Sie dafür vor der Gevierteilung noch geteert und gefedert und anschließend noch gerädert werden…“ Aber lieber das, als sich selbst verleugnen 🙂
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Text: br