Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Weihnachten – das Fest der Liebe und der Besinnlichkeit, der Geschenke und Familienkräche, und natürlich auch das Fest der Weihnachtsmärkte, die jetzt überall im Lande ihre Pforten öffnen und jeden zum fröhlichen Besuch einladen.
Oder vielleicht doch nicht jeden, denn es gibt Besucher, die man nicht unbedingt begrüßen möchte, weder im eigenen Haus noch auf Weihnachtsmärkten – Besucher, die nichts zum allgemeinen Wohlbefinden beitragen, sondern mit viel Enthusiasmus ihre eigenen ideologisch-religiösen Vorstellungen zur Geltung bringen wollen, indem sie beispielsweise mit Fahrzeugen verschiedenster Art in die Märkte hinein brechen und die Menschen, „die schon länger hier leben“, – um einmal die legendäre Aktkanzlerin zu zitieren – terrorisieren.
Die Folgen der Grenzöffnung für alle und jeden haben die Altkanzlerin noch nie interessiert. Andere Leute dagegen kommen nicht umhin, sich über unangenehme Begleitumstände Gedanken zu machen, und zu diesen Leuten gehören die Mitarbeiter der Stadtverwaltung Augsburg, die mit der Aufgabe betraut sind, die Sicherheit des Augsburger Christkindlesmarktes zu gewährleisten. „Die Augsburger Zeitung“, abgekürzt DAZ, formuliert es in prägnanter Weise: „Um die Besucher des abendländischen Christkindlesmarktes vor morgenländischen Terrorfahrern zu schützen, lässt die Stadt Augsburg 350 Kilo schwere Eisenpoller mehrere Meter von Hand hin und her schieben.“
Denn genau so ist es. Bedauerlicherweise führt nämlich eine Straßenbahntrasse, auf der zwei Linien verkehren, durch die Sicherheitszone um den Markt, und da man einerseits den Markt vor verhaltensauffälligen Kraftfahrern, die sich einen Weg in die Psychiatrie erstreiten wollen, schützen, andererseits aber auch den Straßenbahnverkehr aufrecht erhalten will, ist man auf eine originelle Idee verfallen. Dass man Absperrungen mithilfe sogenannter Poller errichtet, ist nichts Neues. Allerdings scheint es unvermeidbar gewesen zu sein, eben diese Poller „mittig auf jedem der beiden Gleise“ zu positionieren, was das Vorankommen einer Straßenbahn naturgemäß behindert. Wann immer nun also eine Straßenbahn erscheint, muss man deshalb einen der absichernden Poller mithilfe eines Handwagens aus seiner Verankerung heben und zur Seite schieben, damit die Straßenbahn passieren kann, um ihn dann schnellstens wieder im Boden zu verankern: das Konzept der dauermobilen Merkelpoller ist geboren; man kann es sich bei Instagram ansehen. Denn dauermobil müssen sie sein. Pro Stunde fahren dort nämlich acht Bahnen pro Linie, und das in jede der beiden Richtungen, was zu 32 Straßenbahnen pro Stunde führt. Jede Bahn muss einen Eingang und einen Ausgang des Sicherheitsbereichs passieren, verursacht also zwei Pollerbewegungen. In Wahrheit sind es aber vier Bewegungen, denn die Merkelpoller müssen nicht nur bei Ankunft der Bahn zur Seite geschafft, sondern gleich danach wieder eingesetzt werden.
Somit kommt man in jeder Stunde auf 128 Bewegungen der mobilen Merkelpoller, etwa eine alle 28 Sekunden. Nicht ganz einig ist sich die lokale Presse darüber, ob die Poller 350 oder sogar 450 Kilogramm wiegen, aber für den Vorgang selbst spielt das keine Rolle. Es spielt allerdings eine Rolle, ob das Konzept funktioniert. Wer nämlich das tiefe innere Bedürfnis verspürt, mit einem hinreichend großen Auto in einen Weihnachtsmarkt zu brechen und dort Menschen zu töten, der muss sich nur ein wenig mit den Abläufen vertraut machen, seinen Wagen in der Nähe platzieren und sofort, nachdem die Straßenbahn durchgefahren ist, die geöffnete Sperrung nutzen, um mitsamt seinem Terrorfahrzeug auf den Markt zu gelangen und seinen terroristischen Ambitionen nachzugehen. In Nullzeit kann man den mobilen Merkelpoller nicht bewegen, und religiöse Fanatiker wissen auch kurze Zeitfenster zu nutzen.
Aber selbst, wenn ich von dieser technischen Kleinigkeit absehe, erhebt sich die Frage nach den Kosten. Von der Augsburger Allgemeinen erfahren wir: „Zu den Kosten äußerte sich das Wirtschaftsreferat auf Anfrage nicht.“ Laut DAZ beschäftigt man sieben Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes, die Augsburger Allgemeine spricht von sechs Beschäftigten, aber um die Lage deutlich vor Augen zu führen, gehe ich von sieben aus. Die sind 30 Tage lang zehn Stunden am Tag beschäftigt, das sind mindestens 300 Arbeitsstunden pro Person, insgesamt also 2.100 Arbeitsstunden. Aber was kostet eine solche Arbeitsstunde? Genau wissen wir es nicht, ungefähr aber schon. Der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft verfügt über eine Entgelttabelle, der man entnehmen kann, dass Sicherheitsmitarbeiter in Bayern für den „Veranstaltungsdienst“ mit 14,43 € pro Stunde entlohnt werden. Das mag sein, aber das reicht nicht für eine Abschätzung der Kosten. Denn neben den üblichen und oft übersehenen Kosten für Sozialabgaben, sonstige Versicherungen, Urlaubsrücklagen und Ähnliches mehr hat man beispielsweise auch noch Betriebskosten, und ein wenig Gewinn möchte der Unternehmer auch noch verbuchen können. Eine in Augsburg tätige Firma berechnet für den Basisschutz 25 € pro Stunde, doch man muss damit rechnen, dass im Rahmen eines Weihnachtsmarktes der Basisschutz nicht ausreicht. Eine andere Firma gibt für Veranstaltungsschutz eine Spannweite von 25 € bis 50 € pro Mitarbeiterstunde an. Gehe ich also von einem Stundensatz in Höhe von 30 € aus, der sich noch am unteren Ende des Spektrums befindet, dann kommt man schon bei den Personalkosten auf eine Summe von 2.100*30 = 63.000 €. Bei einem Satz von 50 € wären es 105.000 €. Wenig ist das nicht. Und ohne Frage auch noch nicht alles, denn auch die mobilen Merkelpoller wollen bezahlt und gewartet sein, ebenso wie das Gerät zum Bewegen der Poller.
Ein unüberbietbares Fazit hat die DAZ ihren Lesern geboten: „Es ist eine brillante Metapher für deutschen Amts-Eifer: Wir haben zwar ein Problem (Terrorgefahr) und eine funktionierende Infrastruktur (Tram), aber wir lösen das Dilemma, indem wir 350-Kilo-Hindernisse auf den Rathausplatz stellen und sieben Männer dafür bezahlen, diese alle 28 Sekunden neu zu positionieren. Wir lassen uns doch unsere abendländische Kultur nicht nehmen!“
Wem wir diese Terrorgefahr zu verdanken haben, ist bekannt.
Es wäre sehr angebracht, wenn die Betreiber der deutschen Weihnachtsmärkte und die entsprechenden Stadtverwaltungen die Rechnung für die angefallenen Kosten an das Büro der Altkanzlerin schicken.
❆ WEIHNACHTSGABE ❆
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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
Bild: Screenshot InstagramBitte beachten Sie die aktualisierten Kommentar-Regeln – nachzulesen hier. Insbesondere bitte ich darum, sachlich und zum jeweiligen Thema zu schreiben, und die Kommentarfunktion nicht für Pöbeleien gegen die Kommentar-Regeln zu missbrauchen. Solche Kommentare müssen wir leider löschen – um die Kommentarfunktion für die 99,9 Prozent konstruktiven Kommentatoren offen zu halten.
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