Von Kai Rebmann
Mit der Veröffentlichung des TKKG-Buchs „Die Jagd nach den Millionendieben“ sowie vier weiterer Bände auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 1979 begann eine der größten Erfolgsgeschichten der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Bis heute sind 110 Bücher und 224 Hörspiele sowie mehrere Sondereditionen der Serie erschienen. Tim (alias Tarzan), Karl, Klößchen und Gaby wurden zu Helden einer ganzen Generation. Nun stehen die vier Detektive aber vor ihrem vielleicht schwierigsten, ganz sicher aber absurdesten Fall: Der Europa-Verlag, der die Hörspiele der TKKG-Serie vertreibt, sieht in den kindgerecht aufbereiteten Krimis plötzlich eine Gefahr für die Gesellschaft. Da Geld aber bekanntlich nicht stinkt und der Verlag einen seiner Bestseller wohl auch deshalb nicht aus dem Programm nehmen will, schreitet er zur Selbstgeißelung und warnt vor den angeblich „diskriminierenden Inhalten“ der TKKG-Hörspiele.
Im sogenannten „Online-Retro-Archiv“ sind auch heute noch die ersten Folgen der TKKG-Serie erhältlich, und zwar in den jeweiligen Originalversionen. Deshalb sah sich der Europa-Verlag offenbar dazu gezwungen, diesen Titeln einen Disclaimer voranzustellen, um die jungen Zuhörer und deren Eltern auf vermeintlich gesellschaftsgefährdende Inhalte vorzubereiten. Und so liest sich der Disclaimer im Wortlaut: „Dieses Hörspiel wurde vor vielen Jahren entwickelt und aufgenommen. Es ist ein Produkt seiner Zeit. Daher kann es diskriminierende Darstellungen enthalten, die in der Gesellschaft zu wenig in Frage gestellt wurden. Jegliche Art von Diskriminierung ist – damals wie heute – falsch und passt nicht zu unserer heutigen Auffassung von einer vielfältigen und gleichberechtigten Gesellschaft. Wir haben uns dennoch entschlossen, das Hörspiel in seiner Originalfassung zu belassen und die kulturellen Versäumnisse der Vergangenheit nicht zu verbergen. Wir empfehlen, sich kritisch mit dem Thema Diskriminierung auseinanderzusetzen. Auf unserer Webseite haben wir dazu weiterführende und aufklärende Informationen zusammengestellt.“
Spurensuche auf der Internetseite des Verlags
Nun sind Tim, Karl, Klößchen und Gaby nicht die ersten Protagonisten von Kinderbüchern, -hörspielen oder -filmen, die sich Vorwürfe wie Diskriminierung, Rassismus oder Schlimmeres gefallen lassen müssen. TKKG-Erfinder Stefan Wolf, der eigentlich Rolf Kalmuczak hieß, würde sich angesichts des Umgangs mit seinem Erbe aber wohl im Grab umdrehen. Wie kommt ein Verlag dazu, sich selbst wegen des Vertriebs von Produkten mit angeblich diskriminierenden Inhalten an den Pranger zu stellen? Worin sollen diese Diskriminierungen überhaupt bestehen? Und warum ist der Europa-Verlag dann nicht konsequent und gibt die Rechte an TKKG ab? Ach ja, diese Frage hatten wir bereits beantwortet …
Nun, bei Klößchen scheint der Fall klar zu sein. Ein Spitzname, der seinen Träger auf rein äußerliche Merkmale wie den Körperbau reduziert, geht im Jahr 2022 gar nicht mehr – Kinderbuch hin, Verniedlichung her. Als problematisch könnte aber natürlich auch das ungleiche Geschlechterverhältnis innerhalb der vierköpfigen Clique angesehen werden. Gaby ist schließlich das einzige Mädchen – zumindest, so weit sich das nach objektiven Kriterien beurteilen lässt – und wird in der Bezeichnung „TKKG“ noch dazu an letzter Stelle genannt. Auch das geht überhaupt nicht! Und auch die Suche nach einem Teammitglied mit Migrationshintergrund bleibt in den Reihen der Kinder-Detektive erfolglos. Auch hiermit verstoßen Wolf und seine Nachfolger ganz klar gegen die „woken“ Kriterien derjenigen, die den heutigen Zeitgeist diktieren wollen.
Und was hat es mit den „weiterführenden und aufklärenden Informationen“ auf sich, auf die der Verlag in seinem TKKG-Disclaimer verweist? Auf seiner Homepage präsentiert der Europa-Verlag sein Leitbild und stellt „weiterführende Quellen und Literatur“ zur Verfügung. Dort wird unter anderem die Frage beantwortet, was Diskriminierung ist, und erklärt, wie man „geschickt gendert“ oder was es über „Diversity“ zu wissen gibt. Der Clou der Homepage ist aber das sogenannte „Meldepostfach“. Hier können sich Kunden an den Verlag wenden, wenn sie „in einem unserer Audio-Inhalte auf Formulierungen stoßen, die einer vielseitigen und gleichberechtigten Gesellschaft nicht gerecht“ werden.
Zur Erklärung weist der Verlag darauf hin, dass in seinem Sortiment mehr als 3.500 Hörspiele und Musikalben vertrieben werden, die während der vergangenen 50 Jahre „in der Sprache ihrer Zeit“ entstanden sind. Weiter heißt es: „Aufgrund der hohen Nachfragen der Fans, die ihre in der Kindheit oder Jugend liebgewonnenen Hörspiele aber auch weiterhin konsumieren wollten, haben wir uns dazu entschlossen, diese Produktionen in einem Online-Retro-Archiv wieder zur Verfügung zu stellen. Doch die Bezeichnung „Retro“ (lateinisch rückwärts) reicht als Kennzeichnung mittlerweile selbstverständlich nicht aus. Die betroffenen Folgen haben wir daher zusätzlich mit einem warnenden Hinweis versehen.“
Besucherrekord bei Karl-May-Spielen in Bad Segeberg
Dass es mit der Umerziehung der Gesellschaft aber nicht immer klappt, beweist der Blick auf die mediale Verbannung von Winnetou in die ewigen Jagdgründe. Die Inszenierung des Stücks „Der Ölprinz“ lockte bei den diesjährigen Karl-May-Spielen genau 406.925 Zuschauer nach Bad Segeberg und damit so viele wie noch nie. Veranstaltungschefin Ute Thienel zeigte sich nach dem Schlussakkord am Sonntag begeistert: „Das ist einfach sensationell! Damit haben wir in unseren kühnsten Träumen nicht gerechnet.“
Neben einem hervorragenden Programm mit Alexander Klaws (Winnetou) und Sascha Gluth (Old Shatterhand) in den Hauptrollen dürfte auch die jüngste Diskussion um den Vorwurf der angeblichen „kulturellen Aneignung“ zum Erfolg der Karl-May-Spiele beigetragen haben. Der Ravensburger Verlag hatte angekündigt, seine Winnetou-Kinderbücher aus dem Programm zu nehmen und diesen Schritt unter anderem mit „verharmlosenden Klischees“ begründet. Die Zuschauer in Bad Segeberg ließen sich davon jedoch nicht beeindrucken und auch die Schauspieler zeigten Sinn für Humor. Bei seiner Verabschiedung vom Publikum sagte Old Shatterhand in Richtung der Karl-May-Fans, er werde jetzt wieder nach Deutschland zurückkehren und dort „in Büchern über unsere Abenteuer berichten – außer bei Ravensburger, die haben irgendein Problem mit uns.“
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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