87 Prozent für Flüchtlinge – dank ARD-Framing Exklusive reitschuster.de-Umfrage ergibt: Es sind nur 43 Prozent

Im ARD-DeutschlandTrend sprechen sich 87 Prozent der Befragten für die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem abgebrannten Lager Moria aus“ – mit dieser Aussage machte die ARD im September Stimmung. Welche Frage genau in der Umfrage gestellt wurde, die zu diesem Ergebnis führte, ist zumindest aus dem Beitrag auf Tagesschau.de nicht zu entnehmen. Mir kam die Zahl sehr merkwürdig vor – 87 Prozent für die Aufnahme von Flüchtlingen (Schlagzeile: „Große Mehrheit“ dafür) erschien mir nicht so recht glaubwürdig. Und umso mehr, wenn man die genaue Frage nicht gleich findet.

Mit etwas Recherche kam ich auf den Wortlaut der Frage: „Im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos hat es vergangene Woche einen Brand gegeben. Deutschland hat sich bereit erklärt, Flüchtlinge aus dem Lager aufzunehmen. Wie sehen Sie das? Sollte Deutschland Flüchtlinge aus dem abgebrannten Lager auf jeden Fall aufnehmen? Sollte Deutschland nur dann Flüchtlinge aus Moria aufnehmen, wenn sich die EU-Staaten auf eine europaweite Verteilung der Flüchtlinge einigen? Oder sollte Deutschland grundsätzlich keine Flüchtlinge aus dem Lager Moria aufnehmen?“

Ich fand diese Art der Fragestellung manipulativ. Weil zum einen nicht darauf hingewiesen wird, dass es sich um Brandstiftung handelte. Und dass Flüchtlinge, deren Asylanträge abgelehnt worden waren, diesen Brand legten. Und weil die wichtigste Alternative, nämlich Hilfe vor Ort, gar nicht angeboten wird. Der Befragte hatte bei der ARD also nur die Möglichkeit, sich zwischen Aufnahme in Deutschland und der Verweigerung von Hilfe zu entscheiden. In meinen Augen ist das Framing, ja Manipulation. Das Ergebnis wird so in eine bestimmte Richtung getrieben.

Umfragen sind zwar teuer. Aber die Suche nach der Wahrheit ist wichtiger als Geld. Deshalb habe ich mich entschlossen, die Unterstützung von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in die Wahrheitssuche zu investieren. Und bei INSA eine Umfrage in Auftrag gegeben, die sich genau an der ARD-Formulierung orientiert – aber eben auch auf Brandstiftung durch Flüchtlinge hinweist und Hilfe vor Ort als Alternative anbietet (den genauen Text meiner Frage finden Sie unten). Die repräsentative Umfrage* basiert auf 2084 Befragten, fast doppelt so vielen wie bei der gebührenfinanzierten ARD-Umfrage von infratest dimap.

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Auch wenn ich mir sicher war, dass die ARD das Ergebnis durch das Framing bei der Frage verzerrt – dass der Verzerrungseffekt so gewaltig ist, hätte ich mir kaum träumen lassen. Das Ergebnis der INSA-Umfrage: Die 87 Prozent für die Aufnahme von Flüchtlingen, von denen die ARD  berichtete und die durch alle Medien gingen, schmolzen auf sage und schreibe 43 Prozent zusammen – fast die Hälfte. Die Befürworter der Flüchtlingsaufnahme sind also keine überwältigende Mehrheit, wie die ARD es meldet. Sie sind – wenn auch knapp – in der Minderheit gegenüber denjenigen, die sich gegen eine Aufnahme aussprechen: das sind 44 Prozent.

Nahezu ein Drittel (32 %) und somit die relative Mehrheit findet, dass Deutschland keine Flüchtlinge aus Moria aufnehmen und stattdessen vor Ort helfen sollte. Ein Viertel (25 %) ist der Ansicht, dass man auf jeden Fall Flüchtlinge aufnehmen sollte, 18 Prozent grenzt die Aufnahme auf den Fall ein, dass sich die EU-Staaten einigen können. Zwölf Prozent finden, man solle keine Flüchtlinge aus Moria aufnehmen und auch nicht vor Ort helfen. Während weibliche Befragte recht mehrheitlich dafür sind, keine Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen und stattdessen vor Ort zu helfen (34 %), sind die Ansichten der männlichen Befragten gespalten zwischen eben jener Antwortoption (29 %) und der Möglichkeit, auf jeden Fall Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen (27 %). Hier wäre noch zu prüfen, inwieweit die geringere Zustimmung zur Aufnahme bei Frauen mit persönlichen Erfahrungen oder Ängsten zu tun haben könnte.

Unterschiede bei den Antworten gibt es auch zwischen Ost und West. Zwar ist hier wie dort eine Mehrheit dafür, keine Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen und stattdessen vor Ort zu helfen (31-32 %), jedoch geben westdeutsche Befragte etwas häufiger an, dass man auf jeden Fall Flüchtlinge nach Deutschland holen sollte (26 zu 21 %), während ostdeutsche Befragte etwas häufiger weder Flüchtlinge aufnehmen noch vor Ort helfen wollen (15 zu 11 %).

Aktuelle SPD- (40 %), Linke-(48 %) und Grünen-Wähler (57 %) sprechen sich mehrheitlich für die Aufnahme von Flüchtlingen in jedem Fall aus. Unions- (33 %), AfD- (48 %) und FDP-Wähler (35 %) hingegen wollen relativ-mehrheitlich keine Flüchtlinge aufnehmen und stattdessen vor Ort helfen. AfD-Wähler geben zudem deutlich häufiger als die anderen an, weder Menschen aufnehmen noch vor Ort helfen zu wollen (41 zu 2-16 %).

Von den Befragten ohne Migrationshintergrund spricht sich eine relative Mehrheit dafür aus, keine Flüchtlinge aufzunehmen und stattdessen vor Ort zu helfen (32 %). Befragte mit Migrationshintergrund schwanken zwischen eben dieser Antwortoption und der Option, auf jeden Fall Flüchtlinge aus Moria nach Deutschland zu holen (28 bzw. 27 %).

Das Ergebnis der von mir bestellten INSA-Umfrage zeigt, wie unterschiedlich Umfrageergebnisse ausfallen, je nachdem, wie die Frage formuliert wird. Hier bietet sich leider ein breiter Spielraum für kaum bemerkbare und nachweisbare Manipulationen. Und da wir Menschen einem starken Konformitätsdruck unterliegen, wird so Stimmung erzeugt: Je größer die vermeintliche Mehrheit, umso größer der Drang, sich ihr anzuschließen. Wenn 87 Prozent für die Aufnahme der Moria-Flüchtlinge sind, fällt es vielen deutlich schwerer, eine abweichende Meinung zu haben, als bei 43 Prozent. Und damit, wenn auch knapp, einer Minderheit.

Das zeigt, wie wichtig es ist, gegenzuhalten. Ich habe bereits eine zweite Umfrage zu einem anderen Thema durchführen lassen, deren Resultat mich mindestens genauso überrascht hat. Ich würde sogar das Wort „umgehauen“ nicht scheuen. Ich werde sie in den nächsten Tagen veröffentlichen – und bin mir sicher, Sie werden genauso überrascht sein wie ich. Und ich habe auch schon eine Idee für die nächste Umfrage – politisch höchst brisant. Es geht um ARD & Co. Und es ist auch dringend – ich möchte die Umfrage noch diese Woche in Auftrag geben. Das geht nur mit Ihrer Unterstützung – helfen Sie mit, setzen Sie einen Akzent gegen das Framing: direkt hier via Paypal oder Überweisung (IBAN DE92 1001 1001 2629 8468 32, N26 Berlin). Verwendungszweck: Meinung ohne Framing.

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Bild: vchal/Shutterstock
Text: br


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*) Feldzeit: 09.10. – 12.10.2020
Methodik:
Die Umfrage wurde als Online-Befragung durchgeführt. Sie ist gestützt auf einer permanenten Telefon-Befragung (INSA-Perpetua Demoscopia).
Stichprobe:
2.084 Personen aus Deutschland ab 18 Jahren nahmen an der Befragung teil.

Fragetext: Im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos hat es vor drei Woche einen Brand gegeben. Laut Angaben griechischer Behörden soll eine Gruppe von sechs minderjährigen Flüchtlingen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, den Brand selbst gelegt haben. Wie sehen Sie das? Sollte Deutschland Flüchtlinge aus dem abgebrannten Lager auf jeden Fall aufnehmen? Sollte Deutschland nur dann Flüchtlinge aus Moria aufnehmen, wenn sich die EU-Staaten auf eine europaweite Verteilung einigen? Oder sollte Deutschland keine Flüchtlinge aus dem Lager Moria aufnehmen und stattdessen vor Ort helfen? Oder sollte Deutschland grundsätzlich keine Flüchtlinge aufnehmen und auch nicht vor Ort helfen?


Korrekturhinweis: Durch einen Zahlendreher war in diesem Text an zwei Stellen bei der ARD-Umfrage kurzzeitig von 83 Prozent der Befragten die Rede, die für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria sind. Die korrekte Zahl ist 87 Prozent. Ich bitte den Fehler zu entschuldigen.


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