Ob Michail Gorbatschow oder Helmut Kohl, Wladimir Putin oder Gerhard Schröder, Angela Merkel oder Jacques Chirac – in meinem Journalisten-Leben habe ich viele Politiker persönlich kennengelernt. Und oft wirken sie beim direkten Kontakt ganz anders als vor den Fernsehschirmen. Gerhard Schröder etwa schien für mich sein TV-Charisma zu verlieren, sobald die Kameras aus waren. Wladimir Putin wirkte in jüngeren Jahren abseits der Inszenierung unsicher und etwas linkisch. Angela Merkel kann im direkten Austausch durchaus einen gewissen Charme entwickeln – wenn sie mag. Wenn nicht, hat sie die Ausstrahlung eines Eisbergs. Michail Gorbatschow dagegen ist charismatisch und strahlt das aus, was man in Deutschland mit einem leider veralteten Wort „Güte“ nennt.
Umso gespannter war ich nach all meinen Erfahrungen, als ich im vergangenen November dem damals schon designierten Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Bundespressekonferenz begegnete. Mein Eindruck: erst mal keiner. Der Mann, in der Realität ebenso wie Schröder viel kleiner, als er im Fernsehen mit all seinen Tricks wirkt, hat den Charme einer Büroklammer. Als ich ihm dann Fragen stellte, wurde er mir aber unheimlich: Wie er, statt zu antworten, einfach alles weglächelt, hat etwas Beunruhigendes. Man hat den Eindruck, man spricht mit einer lächelnden Maske. Und es dringt nichts durch. Kann Scholz im Fernsehen durchaus staatsmännisch inszeniert werden, fällt er im direkten Kontakt durch. Da scheint nur eine dicke Apparatschik-Fassade zu sein – und man weiß nicht, was dahintersteckt. Statt Entschlossenheit oder Entscheidungsfreude strahlen nur Zynismus, Verschlossenheit und Weggucken durch.
Auch immer mehr Wähler scheinen jetzt dem TV-Charme nicht mehr zu erliegen. Die Unzufriedenheit mit Scholz ist nach einer neuen Umfrage auf Rekordhoch. Laut einer INSA-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ (1.002 Befragte) sind 49 Prozent mit der Arbeit von Scholz unzufrieden; nur 38 Prozent gaben an, dass sie zufrieden sind. Das ist der höchste Wert an Unzufriedenheit seit Beginn seiner Amtszeit. Dass ein Kanzler so schnell so niedrige Werte erreicht, ist rekordverdächtig.
Die Werte der Bundesregierung sind noch schlechter. 55 Prozent sind unzufrieden mit der Ampel, zufrieden sind nur 35 Prozent. Die Kanzler-Partei, nach dem Sieg im Saarland von vielen hochgejubelt, hat es geschafft, bei der Sonntagsfrage wieder stabil hinter der Union zu liegen. Im Sonntagstrend kommt die SPD auf 25 Prozent, die Union auf 26 Prozent. Eine Woche vorher ergab die Umfrage das gleiche Bild. Minimale Zugewinne verzeichnen die Grünen mit einem Prozentpunkt plus. Die FDP steckt bei 10 Prozent fest, die AfD verliert einen Pluspunkt und kommt ebenfalls auf 10 Prozent. Die Linken machen einen Prozentpunkt gut und kommen auf 5 Prozent – müssten also um den Einzug ins Parlament zittern. Für die übrigen Parteien würden trotz der diskriminierenden Fünf-Prozent-Hürde immerhin 7 Prozent der Bundesbürger stimmen.
Bild: Alexandros Michailidis/ShutterstockText: br
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