Ein Gastbeitrag von Fritz Vahrenholt
Folgt man Wirtschaftsminister Habeck, so kommt die Energiewende in Deutschland gut voran: In der letzten Ausschreibungsrunde der Bundesnetzagentur erfolgten Zuteilungen von 2234 Megawatt Solaranlagen auf Freiflächen für Anlagen größer als 1 MW. Gleichzeitig hatte Wirtschaftsminister Habeck eine frohe Botschaft zu verkünden: „Auch in Deutschland kann Solarstrom also sehr kostengünstig erzeugt werden“, erklärte der Minister zum Ergebnis der im April erfolgten Ausschreibungsrunde.
Die durchschnittliche Vergütung beträgt jetzt 5,11 €-Cent je Kilowattstunde (kWh) Strom. Der Durchschnitt der letzten 5 Jahre betrug 5 €-Cent/kWh. Auf den ersten Blick erscheint dieses Niveau tatsächlich beeindruckend, die aktuellen Stromerzeugungskosten von Gas- und Kohlekraftwerken betragen zur Zeit 6-9 €-Cent je Kilowattstunde (einschließlich CO2-Preis). Kommt jetzt die Energiewende in Deutschland nicht nur gut, sondern auch noch günstig voran?
Doch der Vergleich dieser Einspeisevergütung für Photovoltaik-Strom mit den Stromerzeugungskosten von regelbaren Kraftwerken (Gas, Kohle, Kernenergie) ist irreführend. Er lässt außer Acht, dass der Ausbau erneuerbarer Energien mit ihrer volatilen Stromerzeugung gleichzeitig immer auch den Bedarf an stabiler und regelbarer Stromerzeugung steigen lässt, um diese Volatilität auszugleichen. Jeder Zuwachs an erneuerbaren Energien lässt daher gleichzeitig zusätzliche Investitionen und Kosten massiv ansteigen, um volatilen Strom zu zuverlässigem Strom zu machen.
Diese gleichzeitig anfallenden, zusätzlichen Investitionen und Kosten für die Erzeugung zuverlässigen Stroms nenne ich Integrationskosten. Sie umfassen Kosten für zusätzliche Speicherkapazitäten, den Bau und Betrieb von Ausgleichskraftwerken bei fehlender Sonneneinstrahlung, Netzverstärkung und Netzausbau, Ausgleichszahlung für nicht produzierten Strom, der nicht benötigt wird, sowie Eingriffskosten zum Erhalt der Netzstabilität. Allein die Kosten zum Erhalt der Netzstabilität betrugen laut Bundesnetzagentur 2022 rund 4 Milliarden Euro.
Doch das ist erst der Anfang. Setzt unsere Ampelregierung die Energiewende wie geplant um, steigen Investitionen und Kosten für die Bereitstellung von zuverlässigem Strom in ganz neue Dimensionen.
In einer kürzlich von Robert Idel von der Rice Universität in Houston gemachten Studie werden diese notwendigen Integrationskosten für Texas und Deutschland beziffert. In Texas wäre ein auf 100 Prozent Wind- und Solarenergie basierendes Stromversorgungssystem doppelt so teuer wie Gas und Kernenergie. In Deutschland wäre ein auf 100 Prozent Wind- und Solarenergie basierendes Stromversorgungssystem wegen der geringeren Solareinstrahlung und der kleineren Windhäufigkeit viermal so teuer. Eine solche Verteuerung der Integrationskosten, etwa durch die dramatisch steigenden Speicher- oder Wasserstoffkosten sowie die Kosten des Leitungsbaus werden Deutschland als Wirtschaftsstandort abschaffen. (Erläuterung der Grafik: Kostenvergleich bei 100 Prozent jeweiliger Erzeugung einschließlich Speicher- und Netzkosten, Basis: US-Preise für Gas und Kernenergie).
Die Ursachen für die erhöhten Kosten liegen vor allem in unterschiedlich hohen Integrationskosten. Kombiniert man Wind und Solar, so ergänzen sich beide Produktionsarten komplementär und senken dadurch die gemeinsamen Integrationskosten. Aber die Kosten steigen trotzdem auf über das Vierfache gegenüber regelbaren konventionellen Stromerzeugungen.
Darüber hinaus zeigt die Studie, dass die Integrationskosten überproportional ansteigen, wenn der Anteil von Solar- und Windstrom über 50 Prozent in Richtung 100 Prozent getrieben wird. Auf ein ähnliches Ergebnis kam schon 2017 Professor Sinn, der zeigen konnte, dass ein Überschreiten der 50-Prozent-Marke durch Solar- und Windstrom zu massiv steigenden Effizienzverlusten führt.
Der hochsubventionierte Anteil von Solarstrom (12 Prozent) und Windstrom (31 Prozent) betrug 2023 43 Prozent an der Gesamtstromerzeugung. Der oft zitierte 55-prozentige Stromanteil erneuerbarer Energien enthält auch die steuerbaren Anteile von Biomasse- und Wasserkraftstrom. Die Bundesregierung subventionert allerdings Solar und Wind, um möglichst bald deren Anteil auf über 50 Prozent an der deutschen Stromversorgung wachsen zu lassen und gerät damit zunehmend in die Kosten- und Effizienzfalle.
Die Integrationskosten für Photovoltaik und Windenergie sind ungleich verteilt
Ein Teil der Integrationskosten findet sich in steigenden Kosten der Verteilnetze und der Hochspannungsnetze. Allein die vier Hochspannungsnetzbetreiber verdoppelten die Netznutzungsgebühr ab dem 1.1.2024 von 3,12 €ct/kwh auf 6,43 €ct/kwh.
Bei den 900 Verteilnetzbetreibern ist mittlerweile eine extreme Ungleichbehandlung entstanden. Die Netzverstärkung im ländlichen Raum für Windkraftanlagen und Photovoltaikanlagen, die erforderlich wird, um den Wind- und Solarstrom in die Ballungsräume zu transportieren, werden ausschließlich von den Bewohnern des dünnbesiedelten ländlichen Raums getragen. Das trifft insbesondere die Haushalts-und Gewerbekunden auf dem Lande in Schleswig-Holstein und Ostdeutschland. Sie zahlen mehr als das Doppelte gegenüber manchen westdeutschen Städten.
Denn ein schleswig-holsteinischer Haushalt (3500 kwh Verbrauch) zahlt zur Zeit 500 Euro pro Jahr für die Netznutzung, ein Haushalt in München oder Köln 150 Euro pro Jahr.
Der Landkreistag schlägt daher Alarm und sieht sogar die Akzeptanz der Energiewende im ländlichen Raum gefährdet: „Die Menschen und Unternehmen in den ländlichen Räumen sind daher durch die Energiewende in doppelter Weise betroffen. Sie haben einerseits die Lasten zu tragen, die aus dem Ausbau von EE-Anlagen und den zum Abtransport der von Ihnen erzeugten Energie erforderlichen Leitungen resultieren. Und sie – und nur sie – müssen aufgrund der bestehenden Regulierungssystematik über die Netzentgelte die energiebedingten Mehrkosten finanzieren.“
Die Bundesnetzagentur will nun einen Vorschlag machen, wie diese Kosten in die Ballungsräume verlagert werden können.
Stromkosten zwischen Frankreich und Deutschland unterscheiden sich markant
Neben der Zunahme der Integrationskosten ist die Versorgungssicherheit das zweite große Problem der Energiewende. Die unterschiedliche Volatilität der Stromerzeugung in Deutschland und Frankreich zeigt die Grafik (Quelle: Rolf Schuster) unten.
Zudem zeigt sie aber auch, dass die Börsenstrompreise in Deutschland im April 2024 zumeist doppelt so hoch waren wie in Frankreich. Nur dann, wenn es in Deutschland eine Überproduktion an Solar- und Windstrom gab wie am 6./7.4., 13./14.4., 29.4. und 2.5., ist Deutschland günstiger als Frankreich.
Dann wird der Strom zu negativen Preisen auch in die Nachbarländer exportiert und die dortigen Stromabnehmer bekommen vom deutschen Stromkunden Geld bezahlt, damit der überschüssige Strom abgenommen wird. Frank Hennig hat hier das eindrucksvolle Beispiel erwähnt, dass dann österreichische Pumpspeicherwerke das Wasser aus den Oberbecken an der Turbine vorbeilaufen lassen, damit wieder Strom durch das Heraufpumpen verbraucht werden kann. Denn mit den negativen Strompreisen aus Deutschland verdient man beim Stromverbrauch klotzig Geld. Die Solar-und Windkraftbetreiber hingegen bekommen auch in diesen Fällen die garantierte Einspeisevergütung aus dem Bundeshaushalt. Minister Lindner beklagte bereits, dass diese Subvention in diesem Jahr voraussichtlich 19 Milliarden Euro betragen wird. 19 Milliarden für was?
Jedoch kommen aus Frankreich zunehmend Warnungen über eine kritische Lage in der Stromversorgung. Französische KKW können zwar über die Grenzen liefern, sogar mehr als bisher, aber seit Anfang März sind die Exporte über die Ostgrenzen in Richtung Belgien, Deutschland, Schweiz und Italien so groß, dass eine Gefahr für das französische Netz entsteht.
Frank Henning wies darauf hin, dass laut Netzbetreiber RTE zeitweise die Exportmengen begrenzt werden müssten. Die Netzstabilität in Deutschland hängt nun zunehmend von Importen ab. Am 28.4. kam es zu einer schweren Frequenzabweichung. Die Netzunterfrequenz betrug 49,825 Hz und es dauerte 12 Minuten, bis der sichere Korridor wieder erreicht wurde.
Trotz aller Subventionen von bisher hunderten von Milliarden und weiter steigenden Kosten bleibt die Bundesregierung die Antwort schuldig, wie eine gesicherte und wettbewerbsfähige Stromversorgung erreicht werden kann. Eine grundsätzliche energiepolitische Korrektur wird von Tag zu Tag dringlicher.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Fritz Vahrenholt ist Honorarprofessor an der Universität Hamburg im Fachbereich Chemie und war bis 1997 Umweltsenator der Freien und Hansestadt Hamburg. Von 1998 bis 2013 war er in Vorstandsfunktionen im Bereich der Erneuerbaren Energien bei der Deutschen Shell AG, der Repower Systems AG und der RWE Innogy. Der Sozialdemokrat war bis Ende 2019 Alleinvorstand der Deutschen Wildtier-Stiftung. Seine Bücher finden Sie hier.
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