Es ist schwer zu entscheiden, was ungeheuerlicher ist: Die Tatsache, dass sich Mitglieder der Ampel-Regierung in den nur zweieinhalb Jahren, die sie im Amt sind, insgesamt sage und schreibe mehr als 40 Mal mit Richtern des Bundesverfassungsgerichts und der obersten Gerichte getroffen haben – wie jetzt eine Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion ergab.
Oder die Tatsache, dass große Medien diese Tatsache entweder verschweigen oder nur im „Kleingedruckten“ eher beiläufig darüber berichten. Oder versuchen, die Sache zu relativieren und schön zu schreiben.
Stellen Sie sich zum Vergleich vor: In einem Zivilverfahren, in dem sich zwei Wirtschaftsunternehmen um viel Geld streiten, treffen sich die Richter regelmäßig mit einer der Konfliktparteien. Man geht sogar zusammen Abendessen, um sich über den Gegenstand des Verfahrens auszutauschen – dazu werden die Richter extra mit einem Privatjet eingeflogen.
Ich denke, niemand wird bezweifeln: In so einem Fall hätte ein Befangenheitsantrag gegen die Richter sehr gute Chancen.
Denn entscheidend ist, dass bei keiner Konfliktpartei der berechtigte Eindruck entstehen darf, dass die Richter voreingenommen oder befangen sind.
Beim Verfassungsgericht und den obersten Gerichten geht es um weitaus mehr als in einem Wirtschaftsverfahren.
Es geht um die Quintessenz unserer Demokratie und des Rechtsstaates. Um ihre Pfeiler.
Und wie soll der normale Bürger sich des Eindrucks erwecken, dass die Richter voreingenommen und befangen sind, wenn sie so vertraut mit einer der Konfliktparteien verkehren? Noch dazu mit der, die sie eigentlich streng kontrollieren sollte.
Medien wie die „Bild“ versuchen, die Problematik zu relativieren. Das Blatt zitiert in einem Bericht über die vielen Treffen den Politikprofessor Hans Vorländer von der TU Dresden. Der sagt: „Ich sehe da keine Kungelei, das würde sich auch verbieten.“ Er wertet den Austausch zwischen Gerichten und Politik sogar als „Teil einer verantwortungsvollen Staatsleitung“.
Was für eine Dreistigkeit!
Vorländer klingt wie ein Regierungssprecher: „Die Vorstellung, dass Richter und Politiker ‚unter einer Decke stecken‘, ist grundverkehrt.“ Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zeigten deutlich, „dass das Gericht gegenüber der Gesetzgebung sehr kritisch ist“, so der Verfassungsrechtler.
Offenbar liest, hört und sieht er ganz andere Nachrichten als ich.
Allein das Durchwinken der Corona-Maßnahmen durch Karlsruhe war hanebüchen. Ebenso wie die Tatsache, dass die Richter kurz vor einer besonders wichtigen Entscheidung in der Sache mit einem Regierungsflugzeug aus Karlsruhe zu Angela Merkel ins Kanzleramt eingeflogen wurden – wo Kontrollierte und „Kontrolleure“ bei einem üppigen Abendessen das Thema der bevorstehenden Entscheidung besprachen.
Das Blatt lässt auch noch andere Beschwichtiger zu Wort kommen. Etwa den Verfassungsexperten Josef Franz Lindner von der Uni Augsburg. Der „hält solche Treffen grundsätzlich für nicht problematisch“ wie es in dem Text heißt: „Es macht für die Politiker sogar Sinn, sich mit Praktikern auszutauschen, z.B. bei geplanten Änderungen des Prozessrechts.“
Selbst die offizielle Opposition hat eine Beißhemmung. Vielleicht, weil die Praxis unter CDU-Frau Merkel begann, und diese ihren Amigo Stephan Habarth direkt aus der Spitze der Unions-Fraktion in Karlsruhe installierte? CDU-Rechtsexperte Günter Krings jedenfalls beschwichtigt in der „Bild“, statt zu kritisieren: Solange die Grenze gewahrt werde, dass es bei dem Austausch nicht um laufende Verfahren geht „und dieser Austausch nicht zur Kungelei wird, ist der Dialog zwischen Richtern und Politikern sogar von Vorteil für den Rechtsstaat: Richter können so den politischen Prozess besser verstehen und politische Entscheidungsträgern die Grenzen ihrer Gestaltungsspielräume“.
Nach der Logik könnten Strafrichter sich auch mit den Angeklagten zum Abendessen treffen, um sie „besser zu verstehen“.
Neben zahlreichen Beschwichtigern lässt die „Bild“ wenigstens einen Experten mit Kritik zu Wort kommen. Verfassungsexperte Volker Boehme-Neßler von der Uni Oldenburg zeigt sich alarmiert und hält die zahlreichen Kontakte für „hoch problematisch“. Er wittert „eine Nähe und eine Vernetzung, die zwei wichtige Grundsätze des Rechtsstaats bedrohen: die Gewaltenteilung und die richterliche Unabhängigkeit“, wie es in dem Text heißt.
„Der Rechtsstaat funktioniert nur, wenn die Richter völlig unabhängig arbeiten können“, mahnt Boehme-Neßler: „Einflüsse der Regierung auf die Gerichte bedrohen die richterliche Unabhängigkeit. Regelmäßige Kontakte schaffen Nähe und gegenseitiges Verständnis. Das macht es für Richter schwierig, die Regierung dann unparteiisch und objektiv zu kontrollieren.“
Genau so ist es. Die unanständige Nähe von Verfassungshütern und Regierung ist einer der Gründe dafür, dass immer mehr Menschen das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat verlieren. Was unsere Regierung hier betreibt, ist genau das, was sie ihren Kritikern vorwirft: Delegitimierung des Staates und seiner Institutionen.
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