Angeblich Mehrheit gegen Corona-Lockerungen Neue Umfrage – doch wie zuverlässig ist sie

„Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“. Dieses Bonmot wird Winston Churchill zugeschrieben. Auf moderne Verhältnisse übertragen, könnte es auch lauten: „Traue keiner Umfrage, die du nicht selbst in Auftrag gegeben hast“. Zumindest war dies der erste Gedanke, der mir in den Kopf kam, als ich folgende Schlagzeilen in der „Welt“ las: „Corona-Maßnahmen: Mehrheit der Deutschen gegen Lockerungen. Laut einer aktuellen Befragung macht das Coronavirus noch rund 80 Prozent der Deutschen Sorgen. Dementsprechend hoch ist der Wunsch, weiter durch Maßnahmen geschützt zu werden.“

Wer genau die Befragung in Auftrag gegeben hat, können wir bei dem Blatt nur, wenn auch mit recht großer Sicherheit, erahnen – da der entsprechende Absatz fehler- bzw. lückenhaft ist (was mir leider auch immer wieder passiert und sicher keine böse Absicht ist). Wörtlich steht da: „Laut der Befragung, die die gemeinsame Forschungseinrichtung von Universität Hamburg und Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) im Rahmen der European Covid Survey (ECOS) wünschen sich 63 Prozent der Befragten eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln.“

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Den Ergebnissen der Umfrage zufolge wollen 68 Prozent der Befragten die Isolationspflicht nach einem positiven Text beibehalten, 70 Prozent unterstützen die Maskenpflicht in Kliniken für Patienten und Gäste, 58 Prozent wollen eine Impfpflicht für medizinisches Personal.

Das ist erstaunlich. Insbesondere, als inzwischen nicht einmal mehr die schärfsten Corona-Politiker wie Karl Lauterbach angeben, dass die Impfung vor einer Ansteckung schütze. Und damit eine Impfpflicht, auch für medizinisches Personal, nicht nur keinen Sinn macht. Sondern kontraproduktiv ist, da akuter Personalmangel herrscht und ein Verzicht auf ungeimpfte Mitarbeiter diesen nur noch erhöht. Das Problem mit dem Personalmangel gilt auch für die Isolationspflicht – die in vielen anderen Ländern längst abgeschafft wird.

Widersprüchliche Angaben

Hier stellt sich die Frage: Stimmt mit der Umfrage etwas nicht? Leider hat die „Welt“ weder die Originalquelle verlinkt, noch gibt sie die Eckdaten der Umfrage an – also wie viele Menschen wie befragt wurden. Auf der Seite des Hamburg Center for Health Economics (HCHE), das die „Welt“ als Quelle nennt, sind die Angaben widersprüchlich. Im Nachspann ist von 8.000 Befragten die Rede – europaweit. Gleichzeitig heißt es, die aktuelle Umfrage stamme vom 23. Dezember 2021 bis 11. Januar 2022. Offenbar ein Kopierfehler – denn in der Überschrift wird der 18. November bis 7. Dezember als Umfragezeitraum genannt. Wie viele Menschen konkret in Deutschland befragt wurden und wie, bleibt unklar. Es heißt nur, sie seien repräsentativ ausgewählt worden. Merkwürdig auch, dass die Ergebnisse aus den anderen europäischen Ländern nicht bzw. zur in Teilen mit aufgeführt werden. Passen sie nicht?

Und wie ist mit der Umfrage in Einklang zur bringen, dass da, wo die Maskenpflicht abgeschafft ist, wie etwa im ÖPNV in Bayern, nur eine kleine Minderheit weiterhin freiwillig Maske trägt? Und selbst da, wo noch die Pflicht herrscht, teilweise die Maskenträger in der Minderheit sind, etwa in der Berliner S-Bahn?

Nur logisch, dass Minister Lauterbach solche kritischen Momente ausblendet und die Umfrage im Handumdrehen für seine Zwecke instrumentalisierte:

Nehmen wir einmal an, die Zahlen sind trotz der fehlenden genaueren Informationen seriös. Dann würde sich die Frage stellen, warum eine Mehrheit in Deutschland für eine Maßnahme wie die Impfpflicht für medizinisches Personal ist, deren Sinnlosigkeit, ja Gefährlichkeit inzwischen als belegt gelten kann. Rational ließe sich das eigentlich nur dadurch erklären, dass hier entweder ein Informationsdefizit besteht, möglicherweise durch irreführende Berichterstattung oder Politikeraussagen. Oder dass hier irrationale Ängste die Vernunft überlagern.

Ost-West-Gefälle

Die „Welt“ schreibt, grundsätzlich sei „die Zustimmung zu den Maßnahmen im Westen Deutschlands höher als im Osten. Das könnte damit zu tun haben, dass man im Osten aufgrund von Diktatur-Erfahrung weniger Urvertrauen in staatliche Maßnahmen hat und eher dazu neigt, diese anzuzweifeln und kritisch zu hinterfragen.

Bemerkenswert ist auch, dass eine Impfung offenbar nicht unbedingt zu einem Sicherheitsgefühl passt – was man durchaus als gewisse kognitive Dissonanz werten kann. Das HCHE schreibt: „Obwohl bereits 75 Prozent der Befragten in Deutschland angaben, mindestens drei Impfungen gegen COVID-19 erhalten zu haben und die Krankheitsverläufe insgesamt milder verlaufen, beunruhigt Corona in unterschiedlichem Maße immer noch 80 Prozent der Menschen hierzulande. 16 Prozent gaben dabei an, sehr besorgt zu sein.“ Warum, wenn die Impfung doch so gut hilft?

Unterschied zu Niederlanden

Weiter schreibt das HCHE: „Eine mindestens dreifache Impfung führe jedoch nicht grundsätzlich zu mehr gefühlter Sicherheit: Neben Deutschland erzielt auch Italien mit 75 Prozent einen Spitzenwert bei der Dreifachimpfquote, dagegen sind in den Niederlanden trotz geringer Quote von 60 Prozent eher weniger Menschen beunruhigt.“ Vielleicht, weil in den Niederlanden Medien und Politik weniger Angst und Panik schüren?

Der wissenschaftliche Direktor des HCHE, Jonas Schreyögg erklärt: „Auch wenn die Aufmerksamkeit der Bevölkerung mittlerweile eher auf anderen Krisen wie den hohen Energiekosten oder der Inflation liegt, gibt es in Verbindung mit Corona noch verbreitete Ängste vor neuen Mutationen und einer weiteren Pandemie.“ Lauterbach & Co. sei es gedankt!

Weniger Kontakte

„Als Folge der Corona-Pandemie beklagten viele Menschen hierzulande zwischenmenschliche Schwierigkeiten und psychische Belastungen“, schreibt das HCHE weiter: „43 Prozent berichteten über weniger Kontakte und Freundschaften, 35 Prozent von mentalen Problemen durch Covid-19. Besonders ausgeprägt sei dies in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen: Dort erwähnte jeder Zweite negative Einflüsse sowohl auf die Psyche als auch auf die gesellschaftliche Eingebundenheit.“

Bemerkenswert ist, dass die „Welt“ faktisch nur die Pressemitteilung des HCHE abdruckt. Man kann nun sagen, das sei neutral. Ich finde aber, „Qualitätsjournalismus“ sollte sich nicht auf das Abdrucken von Umfragen beschränken. Sondern diese auch kritisch hinterfragen. Zumindest sollte man die Pressemitteilungen genau ansehen und dort vorhandene Fehler erkennen. Sonst macht man sich zum Verlautbarungsorgan.

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