Corona-Maßnahmen: „Richtung Autoritarismus abgebogen“ Geschasster Ethikrat erhebt schwere Vorwürfe

Während der Deutsche Ethikrat wie ein Hilfsorgan zur Rechtfertigung der Corona-Maßnahmen und Sprachrohr der Regierung wirkt, spricht Christoph Lütge, früheres Mitglied im bayerischen Ethikrat, Klartext. Sein vernichtendes Urteil zur Corona-Zeit: Deutschland sei Richtung Autoritarismus abgebogen. Und: „Im Grunde hat man versucht, Angst und Panik zu erzeugen.“ Das sagte der Wirtschaftsinformatiker und Philosoph jetzt in einem Interview mit der „Welt“, das leider hinter einer Zahlschranke steht und der Mehrheit der Menschen deshalb leider verborgen bleiben wird. Dass es noch immer Maßnahmen gibt, hält Lütge für riskant mit Blick in die Zukunft. Dem deutschen Ethikrat wirft der Wissenschaftler Versagen vor.

Lütge, der Wirtschaftsethik an der Technischen Universität München lehrt, wurde im Februar 2021 faktisch aus dem bayerischen Ethikrat geworfen. Sein Verbrechen: Er sprach sich gegen die Lockdowns aus und wies auf Schäden für Kinder hin. Er sprach also genau das aus, was sich bewahrheitete. Dass jemand dafür aus dem Ethikrat flog, der eigentlich genau dafür da ist, ein Frühwarnsystem für solche Fehler zu sein, ist eine Bankrotterklärung für den Ethikrat und für unsere Regierungen. Lütge wurde sogar vorgeworfen, er habe „durch seine Äußerungen den Tod alter Menschen relativiert“.

Der Wirtschaftsethiker hatte im Januar 2021 die deutsche Zero-Covid-Bewegung unverantwortlich und einseitig genannt und wurde dafür heftig attackiert. Auf die Frage der „Welt“, wie er Vergleiche zwischen China und Deutschland heute sehe, antwortete er: „Wir sehen an China, wohin ein Zero- oder No-Covid-Konzept letztlich führt. Die Menschen sind des sinnlosen Kontrollwahns müde. So kann man nicht leben. Die deutsche No-Covid-Bewegung von Ärzten und Wissenschaftlern, begonnen Ende 2020, hatte ähnliche Ziele – nämlich die Ausrottung des Virus durch Kontaktverbote. Die noch weitergehende Zero-Covid-Initiative forderte noch härtere Lockdowns, aber die Unterschiede sind nur graduell. Beide verfolgen ein Konzept, was auf der völlig verfehlten Idee beruht, man könne das Virus ausradieren. Das ist einfach nicht möglich.“

Wie in China

Weiter führt Lütge aus: „Rückblickend scheint es vielen Menschen, als sei das, was in China passierte, die Kontrolle von Menschen und die Fixierung auf das Virus, in Deutschland nie beabsichtigt worden. Wenn man sich aber die damaligen Stellungnahmen ansieht, so hätte dies durchaus in Teilen Realität werden können.“ Er erinnert etwa an das von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) entwickelte Verbot, sich mehr als 15 Kilometer vom Wohnort zu entfernen. „Mit der Corona-Warn-App hatten wir auch Ansätze einer digitalen Überwachung, die zwar nicht so scharf waren wie in China, ich würde sie deshalb eher als Vorboten bezeichnen“, so Lütge.

Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern habe man in Deutschland im Jahr 2021 kaum Beschränkungen zurückgenommen, so der Wissenschaftler. Stattdessen habe man „sogar noch 2G- bis hin zu 2G-Plus-Regeln sowie die höchst fragwürdige einrichtungsbezogene Impfpflicht“ eingeführt: „Dies sind tiefgreifende Einschränkungen. Das Ausschließen von Ungeimpften aus dem öffentlichen Leben geht ganz klar in eine totalitäre Richtung.“

Auf die Frage, warum hat sich die Corona-Politik ausgerechnet in Deutschland so rigide entwickelt hat, antwortet Lütge: „Diese spannende Frage kann ich nur versuchen zu beantworten. Was mich in Deutschland von Anfang an irritiert hat, war dieser Anspruch an eine Art kollektivistisches Denken. Das wurde formuliert von Politikern, aber auch von Medien und Wissenschaftlern, die alle jene, die auch nur leicht von der Linie abwichen, in extreme, meist rechte Ecken stellten. Ich kann mir dies darum nur mit einer rein politischen Sicht auf die Krise erklären, diese nicht beenden zu wollen, sondern den Zustand der Angst aufrechtzuerhalten.“

Andere Schäden

Schwerer Tobak. Welchen Grund es für einen solch unlauteren politischen Willen geben könnte, erklärte Lütge der „Welt“ wie folgt: „Die Schlussfolgerung drängt sich auf, dass man sich irgendwann nicht mehr eingestehen konnte oder wollte, dass die Maßnahmen zum großen Teil überflüssig waren – und auch gleichzeitig viele andere Schäden erzeugten. Mein Eindruck ist, dass man sich dazu entschied, weiterzumachen, um sich nicht für Fehler rechtfertigen zu müssen. Solch eine Strategie bricht aber irgendwann unweigerlich zusammen. Und dort stehen wir jetzt.“

Die Interviewerin Anna Kröning von der „Welt“ hält Lütge entgegen: „Könnte man nicht auch zugutehalten, dass man in Deutschland Anfang 2021 noch auf Sicherheit gehen, kein Risiko für die Bevölkerung eingehen wollte?“ Darauf Lütge: „Diese Erklärung mit dem Aspekt Sicherheit ist aus mehreren Gründen nicht haltbar. Denn es gab ja Kontrollgruppen in Form von anderen Ländern, an denen man sich hätte orientieren können und müssen. Dazu gehören natürlich Schweden und Florida, aber ab dem Frühsommer 2021 auch etwa England, Dänemark und weitere europäische Länder, die schon damals ihre Coronapolitik wesentlich liberalisierten, ohne dass es zur Katastrophe kam. Es war absolut unwissenschaftlich, dies nicht zu berücksichtigen.“

Zu diesem Zeitpunkt hätte man wissen müssen, „dass Lockdowns keinen Erfolg haben und dass der Effekt einer Maskenpflicht massiv überschätzt wird“. Diese Erkenntnis hätte man einbeziehen müssen, so der Wirtschaftsethiker: „Statistische Analysen zeigten, dass die Infektionszahlen nicht durch den Lockdown gesunken waren, sondern durch andere Faktoren, etwa Saisonalität. Dies wurde nach dem Lockdown 2021 noch einmal deutlich so bestätigt, unter anderem von Statistikern der LMU München. Und die Intensivstationen waren, abgesehen von lokalen Engpässen, in der Breite nicht an ihrer Belastungsgrenze. Das wurde ebenfalls bereits 2021 durch Studien wie das Schrappe-Papier belegt.

Ausnahme Schweden

„Man könne nicht von Irrtümern bei den Entscheidungen sprechen, so Lütge zur „Welt“: „Es gab andere verwandte Krisen vorher, die Grippewelle von 2017/18, die Hongkong-Grippe vor mehr als 50 Jahren, um nur zwei Beispiele zu nennen. Es gab weltweite, über viele Jahre hinweg entwickelte und bewährte Richtlinien für den Umgang mit Pandemien, die man aber nach den Corona-Ausbrüchen im März 2020 einfach plötzlich verwarf – mit der Ausnahme Schweden, denn dort blieb man bei dem bis dahin bewährten Kurs, setzte auf die Eigenverantwortung der Bürger, und schon seit langem ist klar, dass dieser Kurs erfolgreich war.

„Die Corona-Politik anderswo könne er sich „nur mit politischen Gründen erklären, die aber nicht nur für Deutschland gelten“, so der Wissenschaftler zur „Welt“: „Die Beliebtheitswerte von regierenden Politikern stiegen zunächst in vielen Ländern in der Krise. Andere politische Fragen wurden an den Rand gedrängt. Besonders problematisch ist, dass die deutsche Politik nicht spätestens 2021 begann umzusteuern, sondern das Land immer weiter in die Krise verstrickte.“

Der Vorwurf Lütges: „Deutschland ist zum Geisterfahrer geworden.“ Mit wenigen Ausnahmen habe der Rest von Europa „praktisch so gut wie keine Maßnahmen mehr, insbesondere keine Maskenpflicht. In Deutschland behauptet der Gesundheitsminister aber immer noch, dass Gefahr durch das Virus drohe.“ Man suche „Rechtfertigungen dafür, warum gewisse Maßnahmen beibehalten werden, so auch bei der Rechtfertigung für die letzte Verlängerung des Infektionsschutzgesetzes im September: da wurde, auch vom FDP-Justizminister, behauptet, andere Länder planten Ähnliches – was schlicht nicht stimmt. Als Fazit bleibt: Die Ratio für politische Entscheidungen wurde ausgeschaltet. Und genau das halte ich für gefährlich.“

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Eine Gefahr für die Zukunft, so Lütge, bestehe darin, dass die Durchsetzung von Entscheidungen „ohne rationale Begründung und Verhältnismäßigkeit“ sich wiederholen könne. Als Beispiel nennt er gegenüber der „Welt“ die Maskenpflicht in Zügen, die in Europa anderswo nicht mehr vorhanden sei: „Wenn eine Regel am Ende nur noch damit begründet wird, dass es sie nun mal gebe, dann kann man im Grunde in Zukunft regieren, wie es einem beliebt. Man muss doch fragen: Warum verhält sich das unmittelbare Ausland komplett anders? Haben die ein anderes Virus? Gerade bei einer Pandemie muss es eine rationale und verhältnismäßige Begründung für das eigene Handeln geben. Fehlt diese, dann können jegliche autoritäre Maßnahmen gerechtfertigt werden. An dem Punkt befinden wir uns in Deutschland immer noch.“

Die Interviewerin Anna Kröning hält Lütge entgegen, er „beschreibe ein autoritäres Staatssystem“. Seine erschütternde Antwort: „Ansätze davon sind tatsächlich zu erkennen. Denn spätestens Anfang 2022 konnte man wie andere Länder die Corona-Krise aus gesundheitspolitischer Perspektive für beendet erklären. Dennoch brachen die Regierungsparteien das im Wahlkampf gegebene Versprechen, wonach die letzten Maßnahmen im März 2022 fallen sollten. Spätestens hier hätte man den Ausweg finden müssen, doch tatsächlich glitt man weiter in Autoritarismus ab. Wenn die Ratio bei politischen Entscheidungen in den Hintergrund tritt, entsteht Vertrauensverlust – und die öffentliche Diskussion wird auch nicht befriedet, sondern im Gegenteil dauert sie immer weiter an und behindert die Beschäftigung mit wesentlich drängenderen Problemen.“

Deutsche Selbstgerechtigkeit

Deutschland habe „in der Corona-Krise viel vom Kernbestand der Demokratie aufgegeben“, so der Wissenschaftler zur „Welt“: „Wenn man sich daran erinnert, dass das Sitzen auf einer Parkbank verboten war, dass scharfe Ausgangssperren wie in Bayern verhängt wurden, dass der Impfstatus über Grundrechte entschied, dann sind das nicht nur unverhältnismäßige und ethisch fragwürdige Regeln, sondern verfassungswidrige Eingriffe.“ Das Bundesverfassungsgericht mit seinem jetzigen Präsidenten, dem Merkel-Intimus Harbarth, weigere sich bis heute, „das anzuerkennen und den eigenen Fehlern ins Auge zu sehen. Es beschädigt damit die gesamte Demokratie, in der sich doch die Gewalten gegenseitig kontrollieren sollen. Und ich halte es seither für schwierig, anderen Ländern Autoritarismus vorzuwerfen.“

Nach Ansicht Lütges ist „durch die schwerwiegenden und lange andauernden Eingriffe eine Art Trauma entstanden“. Dies müsse nicht unbedingt sofort und „in der Breite sichtbar werden“. Wenn die jüngere Generation älter werde und sich dann traue, „darüber zu sprechen, wird es noch stärker zutage treten“. Im Grunde habe „man versucht, Angst und Panik zu erzeugen. Das werfe ich der Politik auch ausdrücklich vor. Angst bewirkt höchstens, dass viele Menschen folgsam sind. Sie ist auf Dauer aber kontraproduktiv.“ Fehler des Ethikrates?

Völlig unglaubwürdig gemacht

Dem Ethikrat wirft Lütge vor, er „hätte auch, und gerade in einer Krise, die Aufgabe gehabt, gegenüber der Politik – neben Verhältnismäßigkeit und Risikoabwägung – andere wesentliche Elemente der Demokratie wie die Einhaltung von Meinungsfreiheit und Pluralismus einzufordern.“ Stattdessen habe er Kritiker „durchweg in bestimmte Ecken gestellt und versucht mundtot zu machen“. Spätestens jetzt, „wenn deutlich wird, dass die Kritiker in vielem Recht hatten, hat sich ein solches Gremium völlig unglaubwürdig gemacht.“ Der größte Fehler des Ethikrats sei, „dass man sich unbesehen an die politische Linie angeschlossen hat, das war im bayerischen Ethikrat genauso der Fall wie im deutschen Ethikrat.“

Lütge fordert, „die Aufarbeitung der Fehler gründlich anzugehen.“ Auf keinen Fall dürfe man einfach sagen: „Wir sind hier durchgekommen und jetzt sehen wir nach vorn. Denn dann kann so etwas wieder passieren. Auch Länder wie Schweden haben anfangs Fehler gemacht, aber sie haben es noch 2020 geschafft, sich zu korrigieren.“

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