Hätten Sie vor einem Jahr so eine Schlagzeile gelesen, hätten Sie ihren Augen nicht getraut: „Kanzlerin Merkel gibt Tipps für kalte Klassenräume: ,Mal eine kleine Kniebeuge´ machen und klatschen“, titelte das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Das ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen, weil eine Regierungschefin sich quasi als Ober-Schulmeisterin fühlt und Verhaltenstipps für die Schüler im ganzen Land ausgibt. Hätte man sich so etwas bei einem Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Gerhard Schröder vorstellen können? Eher nicht. Es zeigt, wie weit wir in den Bevormundungs- und Erziehungsstaat abgerutscht sind.
Zum anderen ist es auch erstaunlich, dass ausgerechnet das RND, das zu Teilen der SPD gehört und ausgesprochen Merkel-freundlich ist, die Worte der Kanzlerin zur Überschrift macht – weil die Journalisten dort offenbar so sehr auf Kanzlerinnen-Kurs sind, dass sie gar nicht mehr merken, wie peinlich ihre Aussage ist. Und wie weit sich die Kanzlerin ganz offensichtlich von der Realität entfernt hat, wenn sie meint, ein Klatschen in die Hände würde vor winterlichter Kälte retten. Hier kommen die Arroganz und der Zynismus der Macht ziemlich ungefiltert zum Ausdruck.
Besonders erstaunlich in diesem Zusammenhang: Die gleichen Medien hatten früher eine ganz andere Einstellung zu Kälte-Tipps aus der Politik. „Empörung über Sarrazins Pulli-Provokation“, titelte 2008 der Spiegel, wie der auf solche Vergleiche spezialisierte Blogger „Argo Nerd“ auf Twitter postet: „Einfach warm anziehen und die Heizung drosseln: Berlins Finanzsenator Sarrazin provoziert mit kühl kalkulierten Energiespartipps. Empörung ist ihm sicher: ,Zynisch‘, zischt die CDU, die Grünen empfehlen eine kalte Dusche, und sogar die mitregierende Linke wettert gegen ‘so viel soziale Kälte‘.“
„Quod licet iovi non licet bovi“, hieß es im alten Rom: Was dem Jupiter erlaubt ist, ist nicht dem Rindvieh gestattet. Im neuen Deutschland müsste es wohl heißen: Was der grün angehauchten Kanzlerin gestattet ist, ist konservativen Sozialdemokraten nicht erlaubt.
Merkels „Tipp“ erinnert etwas an den Ausspruch „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!“, der fälschlicherweise der französischen Königin Marie Antoinette zugeschrieben wird und zum Symbol für die Arroganz der adeligen Eliten des Ancien Régime gegenüber den sozialen Problemen des Volkes wurde. Motto: „Wenn sie frieren, sollen sie doch klatschen!“
PS: In der Bundespressekonferenz (BPK), aus der ich diese Ergänzung schreibe, habe ich heute auch Merkels Sprecherin Martina Fietz nach dieser Aussage befragt. Frei zusammengefasst war ihre Auskunft, es habe sich um eine Gesprächssituation gehandelt, in der die Kanzlerin diese Worte wählte, und „keine Anweisung“. Darüber hinaus gab es noch viel Interessantes in der Bundespressekonferenz. Unter anderem gestand die Bundesregierung faktisch ein, dass die Schließung von Restaurants etc. ohne valide Daten über die Ansteckungsgefahr dort erfolgte. Heute Nachmittag bringe ich einen Artikel mit den Details aus der Bundespressekonferenz, in der heute zwei Kollegen anwesend waren, die auch für meine Seite schreiben: Frank Wahlig und Olaf Opitz. Ansehen können Sie sich die gesamte BPK hier.
Bild: Alexandros_Michailidis/Shutterstock
Text: br
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