Der Name sagt alles: „Volksverpetzer“ nennt sich das Portal, in dem junge Aktivisten stramm die regierungsamtliche Wahrheit im Internet durchsetzen und versuchen, jeden an den Pranger zu stellen, der davon abweicht. Auch mich und meine Seite. Dafür bekommen sie auch Preise und Lob, etwa von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU).
Die Sprache ist oft etwas schwammig, was auch Sinn macht: weil mit verbalen Nebelkerzen agiert wird. Das Portal, das sich selbst als „Anti-Fake-News-Blog“ bezeichnet, führt die Leser regelmäßig in die Irre. Noch Ende Januar diffamierte „Volksverpetzer“ Menschen, die vor Corona warnten – vor dem Kurswechsel um 180 Grad, der auffällig parallel mit dem unserer Regierung verlief. Besteht in meinen Augen Journalismus darin, die Regierung kritisch zu hinterfragen, sieht „Volksverpetzer“ seine Aufgabe offenbar darin, immer diejenigen zu attackieren, die genau das tun. Also eine Art Internet-Meinungs-Hilfspolizei der Regierung, die an autoritäre Regime erinnert.
Kürzlich versuchte „Volksverpetzer“ etwa, den Berliner Abgeordneten Marcel Luthe (bis Oktober FDP, jetzt parteilos) vorzuführen. Stichworte: „Aluhüte“, „Fake-News“. Die ganze wortreiche Widerlegung hat nur einen Fehler: Sie ignoriert die Gesetzeslage (ebenso wie die im „Faktencheck“ des Leitmediums dpa). Und nur auf die bezog sich Luthe mit seinem Hinweis, dass der PCR-Test keine Infektion im Sinne des Infektionsschutzgesetzes feststellen kann. Luthe lieferte dazu eine glasklare Argumentationskette (siehe auch hier): Der Senat sagt offiziell, PCR–Tests seien nicht in der Lage, „zwischen einem ,vermehrungsfähigen‘ und einem ,nicht-vermehrungsfähigen‘ Virus zu unterscheiden“. Ein Blick ins Gesetz und etwas Logik reichen aus, um die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen:
Laut Nummer 2) des § 2 des Gesetzes ist eine Infektion nur vorhanden, wenn ein Erreger aufgenommen wurde und (!) sich entwickelt oder vermehrt. Genau das weist der PCR-Test aber eben laut Berliner Senat nicht nach. Glasklar. Eindeutig. Natürlich nur juristisch, nicht medizinisch. Aber es ging Luthe ja nur um die juristische Seite. Zu einem Blick ins Gesetz waren die „Volksverpetzer“ aber offenbar nicht in der Lage und versuchen stattdessen durch Wortnebel und Diffamierung („Falschdarstellungen eines Corona-Verharmlosers“), die Logik außer Kraft zu setzen – Sie können den Versuch hier nachlesen.
Auch Facebook hat diese Falschinformation übernommen. Dort wird mein Beitrag zu der Auskunft des Berliner Senats inzwischen als Falschinformation diffamiert. Und das, obwohl gerade erst ein Gericht bei einem Rechtsstreit festgestellt hat, dass solche Methoden nicht zulässig sind – denn es ist in etwa so, als könnte der Spiegel an allen Kiosken auf das Cover des Focus kleben, dass dort Falschinformationen verbreitet werden.
Wie groß müssen die Nervosität und die Angst sein, wenn mit solchen Methoden gegen Offensichtliches vorgegangen wird?
Die Demonstration von Corona-Maßnahmen-Gegnern in Leipzig versuchte „Volksverpetzer“ dadurch als rechtsextrem zu diffamieren, dass man aufführte, dass auch (!) Rechtsextreme zur Teilnahme aufriefen (siehe hier). Das ist nicht viel seriöser, als ARD und ZDF vorzuwerfen, dass sie auch von Nazis finanziert werden – denn Rundfunkgebühren müssen ja alle zahlen, und eine Distanzierung der Anstalten von rechtsextremen Beitragszahlern ist nicht bekannt (siehe meine Glosse dazu hier). Später titelte Volksverpetzer: „LEIPZIG: DIE POLIZEI KAPITULIERTE VOR GEWALTTÄTIGEN QUERDENKERN – WAS SOLL DAS? (DEMOBERICHT)“. Eine grob verzerrende Darstellung. Weiter schreibt Volksverpetzer: „Querdenken pfeift auf Demokratie und Rechtsstaat“. Bei der Polizei hat „Volksverpetzer“ nicht angefragt: Die fixierte am Samstag 144 Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der Corona-Verordnung bei der Demo. Ich selbst war Zeuge, wie die Organisatoren vehement auf Einhaltung der Mindestabstände drängten.
Der Volksverpetzer-Beitrag beginnt mit folgenden Worten: „Ich war gestern auf der Querdenker-Demo in Leipzig. Und habe erneut Wut im Bauch und die Schnauze gestrichen voll von diesem Kasperle-Theater, welches diese hochnäsigen Realitätsverweigerer in unserem Staat aufführen.“ Mit Wut im Bauch und gestrichen voller Schnauze sollte man nicht schreiben. Weiter steht da: „Die Rede ist von den Verfassungsfeinden von Querdenken und ihrem Führer Michael Ballweg, die im ganzen Land gefährlichen Schabernack treiben, der vernünftigen Mehrheit auf der Nase herum tanzen und ihre Anhänger:innen tausendfach dazu anstiften, gesundheitsgefährdenden Blödsinn zu treiben. Die Querdenker betreiben stochastischen Terror, sie sprechen mit einer wahnhaften Rhetorik und setzen Lügengeschichten von einer (drohenden) Diktatur in die Welt. Ein Wahn, der sich auf ihre Gefolgschaft überträgt.“ Das erinnert an Agitation aus finsteren Zeiten der Geschichte: Regierungskritik als „Wahn“ – das hatten wir schon mehrfach. Und manche haben nichts daraus gelernt.
Zum Vergleich hier die Richtlinie 1/76 der Stasi über „Maßnahmen der Zersetzung“: Die „systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben.“
»Diese Leute […] basteln sich ihre Realität passend.« pic.twitter.com/feE5iT6TOZ
— Argo Nerd (@argonerd) December 5, 2020
Beliebte Methode bei Volksverpetzer ist dabei, jemandem Aussagen zu unterstellen, die er gar nicht gemacht hat, und diese dann wortreich zu widerlegen, um den Eindruck zu erwecken, es würde Falschinformation betrieben – eine Methode, die einst KGB und Stasi perfektioniert hatten. So widerlegt der Volksverpetzer in einem ganzen Beitrag meine angebliche Behauptung, die WHO habe eine Kehrtwende beim Lockdown gemacht. Dabei ist der zentrale Punkt in dem Artikel, dass die WHO inzwischen vor Lockdowns warnt. Das hat sie früher nicht, insofern ist es ein Kurswechsel. Volksverpetzer fragte nun bei der WHO nach. Die Antwort: „Die WHO hat nie für den Lockdown als primäres Mittel geworben“. Hat auch niemand behauptet. Aber die WHO hat auch nicht öffentlich davor gewarnt, zumindest nicht lautstark. Und genau das ist durchaus ein Kurswechsel. Vom eigentlichen Thema, dass die WHO eben gegen einen Lockdown ist, hat Volksverpetzer damit erfolgreich abgelenkt. Durch einen Trick: Man stellt einen Pappkameraden auf, der gar nicht da stand, und verprügelt den dann lautstark. Hier finden Sie meinen Beitrag und den Verriss im Volksverpetzer. Typisch auch, dass die Volksverpetzer den Beitrag, den sie diffamieren, gar nicht verlinken – sonst könnte ja ein Leser selbst nachlesen und sich selbst eine Meinung bilden (hier sind alle Beiträge des Volksverpetzers, auf die ich Bezug nehme, korrekt verlinkt, wie es sich gehört).
Genau so wird auch auf Wikipedia agiert. Hier findet eine Auseinandersetzung zwischen feindlich gesinnten und neutralen Autoren statt, der Beitrag über mich wird öfter verändert. In der aktuellen (zumindest nicht mehr ganz so unfairen wie der vorherigen) Version wird mir unterstellt, wird ein Beitrag von mir zitiert, in dem ich geschrieben, „dass der Virologe Christian Drosten nicht wisse, ob Masken helfen.“ Das wird als Falschbehauptung dargestellt. Dabei zitiere ich in dem Beitrag eine Antwort von Drosten vom 30. Januar im Talk aus Berlin auf die Frage, ob Masken gegen Corona helfen: „Damit hält man das nicht auf“ (anzusehen hier). AufNachfrage des Moderators („ach, damit hält man das nicht auf?“) antwortete Drosten: „Da können wir nachher nochmal darüber reden, aber die technischen Daten sind nicht gut, für das Aufhalten mit der Maske“.
Mit den gleichen Methoden arbeitet auch das von George Soros finanzierte Netzwerk „Correctiv“, das sich als „Faktenfinder bezeichnet und als solcher auch auf Facebook engagiert ist. Dort heißt es über einen Artikel von mir: „Der Journalist Boris Reitschuster…suggeriert darin, dass Drosten nicht wisse, ob Masken helfen – und dass seine Aussage im Bundestag im Widerspruch zu seinen sonstigen Äußerungen in der Presse stehe. Und weiter: „Als Beispiel nennt Reitschuster einen Bericht der Deutschen Welle vom 18. September. Darin habe Drosten gesagt: ,Denn auch wenn wir mit den Impfungen beginnen, wird der größte Teil der Bevölkerung weiter Masken tragen müssen.'“ Der vermeintliche Widerspruch ist jedoch keiner, da Drosten vor dem Bundestag das Masketragen nicht grundsätzlich infrage gestellt hat. Im Bundestag nicht – aber in der oben zitierten Aussage von Drosten vom Januar, mit Masken halte man Corona nicht auf.
Wie weit die Diffamierungsversuche gehen, zeigt die Diskussion zum Artikel auf Wikipedia: So wird mir etwa unterstellt, ich hätte keine journalistische Ausbildung, obwohl genau die im Artikel selbst erwähnt wird.
Interessant ist auch die geradezu infantile Herangehensweise, die genau die Obrigkeitshörigkeit zeigt, die auch im stets braven Befolgen des Regierungskurses zum Ausdruck kommt: „‘Deutsche Medien verschweigen Kurswechsel‘? Mmh, vielleicht ‘verschweigen‘ deutsche Medien ja den Kurswechsel, weil es keinen gibt, und du hier Lügen verbreitest, lieber Boris Reitschuster (Quelle)? Die Mail an die WHO Pressestelle hat mich fünf Minuten Zeit gekostet. Nicht mal das war bei diesen “investigativen Recherchen” drinnen?“ Wie wäre es mal mit Googeln statt mit Anfragen an Pressestellen und blindem Vertrauen diesen gegenüber, liebe Volksverpetzer? Ich finde vor September keine Warnungen der WHO vor dem Lockdown!
Bemerkenswert ist auch, wie Volksverpetzer in der Überschrift mit einer Lüge anderen eine Lüge unterstellt: „PANDEMIE-LEUGNER LÜGEN WEITER: KEINE “LOCKDOWN KEHRTWENDE” BEI DER WHO„. Frage an den Volksverpetzer: Wie kommen Sie darauf, dass ich Pandemie-Leugner bin? Etwas Googeln hätte Sie zu der Erkenntnis gebracht, dass ich vor Corona warnte, als Sie noch schrieben, Rechte wollten davor Angst machen und das Virus verharmlosten.
In einem neuen Video will Volksverpetzer im Stile eines Förderschub-Unterrichts jetzt nachweisen, dass Corona zwölfmal so gefährlich sei wie Grippe.
Auch dieses Video ist ein Musterbeispiel für Agitation. Kein Wort über die Erkenntnisse von John Ioannidis. Der ist an der Stanford University School of Medicine Professor für Medizin, Epidemiologie und Bevölkerungsgesundheit. „Laut der Berliner Einstein-Stiftung gehört er aktuell zu den zehn meistzitierten Wissenschaftlern der Welt,“ heißt es bei n‑tv. In seiner von der WHO veröffentlichten Metastudie wertet Ioannidis mehr als 60 über die Welt verteilte Antikörperstudien aus und kommt zu einem Ergebnis, das n‑tv „erstaunlich“ findet. Denn: „Insgesamt errechnete Ioannidis eine durchschnittliche Infektionssterblichkeit über 51 Standorte hinweg von […] 0,23 Prozent. In Regionen mit weniger als 118 Todesfällen pro eine Million Menschen betrug die Rate lediglich 0,09 Prozent. Wo 118 bis 500 Covid-19-Tote pro eine Million Einwohner gezählt wurden, betrug sie 0,20 Prozent, an noch schlimmer betroffenen Standorten lag die Infektionssterblichkeit bei 0,57 Prozent. Betrachtet man nur Bevölkerungsgruppen mit Menschen unter 70 Jahren, betrug die durchschnittliche Rate sogar nur 0,05 Prozent.“
In dem Volksverpetzer-Video wird eine andere Metastudie als Quelle genannt. Wobei man nur aufmerksam zuhören muss, um die Sollbruchstelle zu erkennen: Man habe anhand von Antikörpertests rückblickend auch diejenigen Corona-Toten erfasst, die gar keine Symptome hatten. Hier taucht sofort die Frage auf: Gibt es dann irgendwelche Belege dafür, dass der Tod in irgendeinem Zusammenhang mit Corona stand? Und es nicht ein Autounfall oder ein Herzinfarkt war? Dazu ist in dem Video kein Wort zu hören.
Weiter heißt es: „Eine Metastudie nimmt alle Studien zu einem bestimmten Thema her, schmeißt davon alle weg, die nicht einem gewissen Qualitätsstandard entsprechen, und lässt nur die besten, robustesten Arbeiten in die Untersuchung einfließen“. Das muss dann aber für Ioannidis‘ Metastudie, die von der WHO publiziert wurde, erst recht gelten. Die von „Volksverpetzer“ genannte Studie kommt auf eine Infektionssterblichkeit, die dreieinhalb Mal so hoch ist wie die bei Ioannidis – 0,68 Prozent.
Aber auch das war den Volksverpetzern offenbar noch nicht allzu angsterregend genug gegenüber der Grippe, für die etwa „Helios Gesundheit“ eine Infektionssterblichkeit von 0,1 bis 0,2 Prozent annimmt. Deshalb werden als Vergleichsmaßstab einfach Zahlen aus der Winter-Grippe 2018–2019 genommen – 0,05 Prozent. Nur durch diese ebenso selektive Auswahl kommen die Volksverpetzer zur Schlussfolgerung, Corona sei zwölfmal so tödlich wie eine Grippe.
Kaum erwähnt wird die Warnung, die in der zitierten Metastudie ganz am Anfang steht: „Aufgrund der sehr hohen Heterogenität in der Metaanalyse ist es jedoch schwierig zu wissen, ob dies eine völlig unvoreingenommene Zahlen-Schätzung darstellt.“
Seriöser Journalismus wäre es gewesen, auf die unterschiedlichen Informationen bei der Infektionssterblichkeit hinzuweisen. Stattdessen werden mit einer regelrecht kindischen Begeisterung und Freude angstmachende Zahlen verkündet – so als sei es ein Kindergeburtstag. Finden die „Volksverpetzer“ die Infektionssterblichkeit generell wirklich so lustig? Für mich wirkt das wie: „Hurra, wir haben mehr Corona-Tote!“ Sehen Sie sich das Video noch einmal unter diesem Aspekt an (hier).Für mich hat das ganze etwas Gespenstisches.
Bild: SvetaZi / Shutterstock
Text: br