Medien: „Wir haben es mit Erziehern zu tun“ Interview mit Norbert Bolz

Stuttgart hat es wieder sehr deutlich gemacht: Die Realität und ihre Wahrnehmung in den Medien gehen oft sehr weit auseinander. Dies liege am Ansatz vieler Journalisten, ihre Leser, Zuhörer und Zuschauer umzuerziehen, glaubt Professor Norbert Bolz, Medienwissenschaftler und einer der bekanntesten Medien-Experten in Deutschland. Im Interview mit reitschuster.de erklärt er, wie es zum Quasi-Monopol der „Haltungsjournalisten“ gekommen ist, und was das System Merkel so gefährlich macht.

Frage: Wie werden die Medien ihrer Aufgabe in der Coronakrise gerecht?
Bolz: Wenn wir die öffentlich-rechtlichen Medien betrachten, und die vielen anderen Medien, die sich ihnen anschließen, so würde ich bei diesen von einem Merkel-Kult sprechen. Wir haben einerseits Zahlen, die Deutschland recht gut dastehen lassen im Vergleich zu anderen Ländern, aber andererseits ist sehr fragwürdig, ob dies ein Erfolg der Politik ist. Es hat wohl mehr mit Hygienemaßnahmen, medizinischer Ausstattung und medizinischer Kompetenz zu tun. In vielen Medien wird es dagegen mehr oder minder der guten Führerschaft unserer Mutter Merkel zugeschrieben.

Frage: Dabei sind die Zahlen ja in Wirklichkeit gar nicht so gut, innerhalb der EU liegt Deutschland im letzten Drittel, während in vielen Medien der Eindruck erweckt wird, wir sind die Weltmeister….
Bolz: Sie haben Recht. Wir bekommen ja immer die Schreckenszahlen vorgehalten, Italien, Spanien, Amerika. Viel wesentlicher scheint aber zu sein, dass offenbar das Ziel ist, dass sich die Bürger nicht frei ihre Meinung bilden können über das, was passiert. Der Extremfall war der Kommentar von ARD-Chefredakteur Reinold Becker, der skeptische Stimmen als irre bezeichnete. Ich habe mir überlegt, warum immer mehr bisher unabhängige Journalisten auf diesen Kurs einschwenken. Wir begegnen in letzter Zeit Begriffen wie „systemrelevante Medien“. Ich halte das für absurd. Aber wenn sich das durchsetzen sollte, wird natürlich jeder alles tun, um auf die Seite der Systemrelevanz zu kommen, und dann unterstützt zu werden vom Staat. Wenn so etwas auch nur denkbar ist, gibt es überhaupt keine Chance mehr für kritischen Journalismus.

Frage: Tatsächlich bekommen heute auch schon Zeitungshäuser Millionensubventionen, und es gibt auch Pläne für eine Gebühr für die Print-Presse, die der Fernsehgebühr ähneln könnte.
Bolz: Der Verdacht beschleicht mich immer mehr, dass viele Journalisten auf Regierungslinie gehen, aus Angst, ihren Job zu verlieren. Selbst wenn es nur eine Aussicht auf solche Staatsgelder gibt, hat das schon Auswirkungen. Anders kann ich mir den Einheitsbrei der Berichterstattung kaum erklären. Allerdings gibt es auch noch einige unabhängige Medien, und es gibt vor allem die sozialen Medien. Natürlich gibt es noch Journalisten, die Rückgrat zeigen, aber deren Lage wird immer prekärer. Selbst bei der Welt, die ich gerne lese, habe ich den Eindruck, die sind viel politisch korrekter als früher. Bei der FAZ ähnlich.

Frage: Liegen die Nerven blank?
Bolz: Ja. Der Journalismus war ja schon vor Corona in der Krise. Jetzt brechen die Werbeeinnahmen noch stärker weg. Ich glaube, dass fast alle deshalb noch in das rettende Schiff der Regierung wollen. Gleiches haben wir in der Wirtschaft, wo viele Manager regelrecht Kreide fressen, aus Angst, sie werden bei der nächsten China-Reise der Kanzlerin nicht mitgenommen. Es zittern alle vor ihr. Denken Sie an die Canossa-Rede von Lindner, oder Seehofer, oder Merz. Das ist reinster Machiavellismus, was die Kanzlerin betreibt. Die Angst vor ihr scheint gigantisch zu sein.

Frage: Ich muss dabei immer an ihre Sozialisierung in der FDJ, einer kommunistischen Kaderorganisation denken, wo sie ja nicht einfach eine Karteileiche war, sondern als Sekretärin aktiv mit für den Sozialismus kämpfte, zuständig für Agitation und Propaganda. Die Kenner dieser Kaderorganisationen sagen, die Politiker im Westen hätten unterschätzt, mit welchen Wassern Merkel aufgrund dieser Schule gewaschen ist.
Bolz: Das sehe ich genauso. Früher habe ich etwas gezögert bei dem Thema, weil mir das zu schablonenhaft schien. Mittlerweile sehe ich aber zu viele Leichen, die ihren Weg pflastern, und vor allem zu viele Kastrierte.

Frage: Man hat den Eindruck, sie lässt in ihrem Umfeld nur schwache Persönlichkeiten zu.
Bolz: Sie braucht treue Erfüllungsgehilfen und den rhetorischen Panzer Altmaier, der alles platt walzt, aber ihr nie gefährlich werden könnte.

Frage: Nicht einmal die Opposition scheint ihr gefährlich werden zu können. Oder will sie das gar nicht?
Bolz: Man hat in der Tat den Eindruck, die Oppositions-Parteien bis auf die AfD seien mit Merkel hochzufrieden, selbst die Linke. So etwas hat es noch nie gegeben in unserer Demokratie, eine von Opposition weitgehend befreite Regierung.

Frage: Opposition ist Grundlage für Demokratie. Die Gewaltenteilung ist unter Merkel ausgehebelt. Wird sich das nach ihrem Abgang normalisieren oder werden wir das Problem behalten?
Bolz: Ganz entscheidend für die Gewaltenteilung ist die Unabhängigkeit der Justiz. Bei uns ist sie aber extrem politisiert. Die Spitzenposten werden politisch besetzt, etwa im Bundesverfassungsgericht. Bei den europäischen Gerichten ist das noch extremer. Von einer Kontrolle kann da nicht mehr die Rede sein. Und das Parlament kontrolliert eh nicht mehr. Die Kontrolle durch die Journalisten findet auch so gut wie gar nicht mehr statt, seit es das System Merkel gibt. Umgekehrt manövriert sich die AfD selber immer mehr ins Abseits. Ich hatte sehr auf die FDP gehofft, aber die ist wie ein Kartenhaus in sich zusammengebrochen. Die kritischen Stimmen sind buchstäblich ins Netz verschwunden.

Frage: Wie konnte das passieren?
Bolz: Die tiefere Ursache ist die Strukturkrise der SPD. Sie war nicht in der Lage, ihre programmatischen Änderungen mit einer charismatischen Persönlichkeit zu besetzen. Merkel hat den genialen Coup geleistet, die Agenda 2020 der SPD zu übernehmen, und dann auch noch die Grünen zu überholen. Sie hat sie quasi absorbiert. Und ihnen nur eine einzige Perspektive gelassen: quasi Juniorpartner für die Union zu werden. Sie hat die SPD überflüssig gemacht, die Grünen dazu degradiert, dass sie nur noch die Religiös-Umweltbewegten vertritt, aber ihre Politik wird von der CDU übernommen. Sie hat potentielle Gegner durch Schlucken ausgeschaltet. Warum die FDP nicht auf die Beine kommt, warum Liberalismus in Deutschland keinen Boden hat, verstehe ich nicht. Die Linke ist genauso anachronistisch wie die AfD, die leben beide in vergangenen Zeiten. Eine halbwegs repräsentative, gut artikulierte Partei, die ein paar Ideen oder Programmpunkte hat, ist weit und breit nicht zu sehen. Das schadet nur der CDU nicht, weil die noch nie ein Programm hatte. Konservative brauchen kein Parteiprogramm. Das braucht man, wenn man Sozialist ist oder kämpferischer Liberaler.

Frage: Wie erklären Sie sich die Faszinationskraft von Merkel?
Bolz: Sie ist eine Frau mit null Charisma. Sie hat keinerlei Ausstrahlung. Ich würde sogar von Anti-Charisma sprechen. Aber das erkläre ich mir so, dass die ihr vorangegangenen Superstars das Entertainment etwas überzogen haben: Schröder und Fischer. Das waren die Charismatiker, die Superstars, die großen Redner und Demagogen. Weil die überzogen haben, lockte plötzlich diese scheinbar naturwissenschaftliche Nüchternheit, Sachlichkeit und Anti-Rhetorik. Das wirkte nun nicht mehr als Schwäche, sondern als eine Art Säuberungsaktion. Und als sie sich dann auch noch als Mutter der Nation präsentieren konnte, hat sie mit ihrer scheinbaren Fürsorglichkeit ein Image aufgebaut, das bis zum heutigen Tag getragen hat. Was aber nur ging aufgrund der Gleichschaltung der Medien.

Frage: Wie kam es zu diesem Systemversagen im Journalismus – nicht bei allen, aber doch generell. Ich habe den Eindruck, wir haben es mit vielen Journalisten mit Agenda zu tun. Ich habe den Journalismus noch so gelernt, dass seine Hauptaufgabe die Kontrolle der Mächtigen ist. Heute hat man den Eindruck, sehr viele Kollegen verstehen das gar nicht mehr und sehen als ihre Hauptaufgabe die Vermittlung von dem, was sie subjektiv als Wahrheit wahrnehmen.
Bolz: Sie haben vollkommen Recht. Das ist das Kreuz des Haltungsjournalismus. Dass sich Journalisten als politisierende Aktivisten verstehen statt als Berichterstatter und Analytiker. Das hat einen längeren Vorlauf. Wir haben es ja größtenteils mit Leuten zu tun, die direkt aus den Universitäten in die Redaktion kommen. Und ich glaube, deshalb muss man letztlich die Universitäten betrachten bzw. die Geisteswissenschaften dort. Die haben sich seit Jahrzehnten genau in diese Richtung entwickelt: nämlich eine Politisierung der Wissenschaft. Es gab schon vor 20 Jahren das Schimpfwort „Otherhandedness“ – dass man die Dinge auch von einer anderen Seite betrachten könnte, galt als dumm und verwerflich. Geisteswissenschaftler, nicht nur die Journalisten, Soziologen, Politologen arbeiten nicht mehr nach Max Webers Methode der Wertfreiheit, sondern genau im Gegenteil: Sie verstehen sich als engagierte Aktivisten, die statt Fakten und Analysen zu unterbreiten, Ratschläge und Handreichungen geben. Genau so werden sie heute auch interviewt: So, dass sie sagen, wo es lang geht. Das ist genau das Gegenteil dessen, was Wissenschaft leisten kann. Diese Entwicklung, die wir in den Universitäten seit Jahrzehnten haben, hat sich jetzt auch in den Redaktionen niedergeschlagen. Ich habe das früher immer am Habermanismus fest gemacht.

Frage: Also an Jürgen Habermas, dem Soziologen und Vordenker der Linken?
Bolz: Ja. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Leute, die Habermas Frankfurter Schule in sich aufgesaugt haben, heute in den Schaltstellen in den Redaktionen sitzen. Übrigens auch in Brüssel, und in allen möglichen Ministerien.

Frage: Wofür steht die Frankfurter Schule?
Bolz: Für Re-education, also Umerziehung. Er sagt selbst, er sei ein Kind derselben, und er mache es sich zur Aufgabe, die Deutschen umzuerziehen. Das Motto von Habermans ist: Wir produzieren nicht nur wissenschaftliche Analysen, sondern die sollen auch politische Interessen voranbringen, das ist den meisten Geisteswissenschaftlern in Fleisch und Blut übergegangen. Deshalb wird an Universitäten seit Jahrzehnten geisteswissenschaftlich nur noch Quatsch produziert. Das schlägt sich auch im Journalismus nieder: Dass man weg gekommen ist vom Ideal der Objektivität. Auch deshalb, weil man alle möglichen Dekonstruktionstheorien aufgesaugt hat.

Frage: Welche?
Bolz: Dass es ein absolutes Ideal gibt, dass nur Parteilichkeit möglich ist, politische Korrektheit alternativlos ist. Der Superstar der politischen Korrektheit der Wissenschaftler Stanley Fish, hat einmal gesagt, den meisten Menschen würde eine Gehirnwäsche sehr gut tun. Das ist heute genau die Überzeugung der meisten Journalisten und auch der meisten Geisteswissenschaftler, Politologen und Soziologen, die glauben, sie müssten als Erzieher auftreten. Ich empfehle sehr, in die Habilitationsschrift von Habermas zu schauen. Ihr Titel: „Der Strukturwandel der Öffentlichkeit“.

Frage: Was ist die Quintessenz dort?
Bolz: Da wird all das Beschriebene ganz klar entwickelt. Da tritt der Intellektuelle, also der Zeitungsmann oder Journalist, als Mandatar der bürgerlichen Öffentlichkeit auf. Das heißt, er muss sein aufgeklärtes Wissen auch gegen diese Öffentlichkeit durchsetzen. Er ist Erzieher, so Habermas. Als Erzieher kann er sich nicht der Meinung der Mehrheit unterwerfen. Im Gegenteil er muss sie erziehen und seine Meinung durchsetzen. Und genau diese Vorstellung, Lehrer der Deutschen zu sein, das ist mittlerweile die Überzeugung vieler Journalisten. Sie glauben, es mit Unmündigen zu tun zu haben. Und das bedeutet, dass der Paternalismus, den wir bereits aus der Politik kennen, jetzt auch in den Journalismus und in die Universitäten übergeschwappt ist. Wir haben es mit Erziehern zu tun, die uns an der Hand nehmen wollen.


Norbert Bolz (67) ist ein deutscher Medien und Kommunikationstheoretiker sowie Designwissenschaftler. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2018 lehrte er als Professor für Medienwissenschaften an der Technischen Universität Berlin.

Er ist Autor zahlreicher Schriften und einer der namhaftesten Medien-Experten in Deutschland. Wegen seiner Kritik an Angela Merkels Migrationspolitik wurde er von der Universitätsleitung zu einem Gespräch einbestellt.

Auf twitter hat der Wissenschaftler mehr als 24.000 Follower: https://twitter.com/NorbertBolz


Bild: Pixabay/privat

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