Süddeutsche entschuldigt sich für kritischen Beitrag Wie sich eine Zeitung selbst demaskiert

Früher war die Süddeutsche (SZ) meine Lieblingszeitung. Heute ist sie mein Lieblingsbeispiel dafür, wie Journalismus in Agitation abgleiten kann. Bisher nannte ich die SZ nur spöttisch „Alpen-Prawda“. Nun verdient sie sich diesen Titel redlich. Dabei hatte alles richtig hoffnungsvoll angefangen. Am 16. Oktober veröffentlichte die Zeitung einen Bericht, in welchem es auch um den linken Aktivisten und Pianisten Igor Levit ging: Den Mann, der mehrfach erklärt hat, AfD-Mitglieder hätten ihr Menschsein verwirkt. Und der dann kürzlich von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gemeinsam mit Christian Drosten mit der höchsten zivilen Auszeichnung im Land geehrt wurde – dem Verdienstorden.

Anderen Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung das Menschsein abzusprechen, knüpft in meinen Augen an die finstersten Zeiten der Geschichte an. Wer so etwas nicht nur sagt, sondern auch noch wiederholt, dokumentiert damit totalitäres Denken und eine zutiefst undemokratische Grundhaltung. So weit geht der nun entschuldigte Artikel in der Süddeutschen jedoch gar nicht. Er wagt nur, Levit und seinen politischen Aktivismus kritisch zu hinterfragen. Ich persönlich finde, dass dieser dabei noch glimpflich davonkommt. Dennoch: Ich habe Respekt vor dem Autor Helmut Mauró, seit 1990 Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung.

Und jetzt das! Die Süddeutsche macht den Kniefall und leistet Abbitte vor dem Zeitgeist für den kritischen Beitrag. Der Entschuldigungsartikel, unterschrieben von „Wolfgang Krach, Judith Wittwer, Chefredaktion“, ist das, was man im Mittelalter als Selbstgeißelung bezeichnet hätte. Fast fühlt man sich schon an die Selbstbeschuldigungen in Stalins Schauprozessen erinnert. Es ist ein Musterbeispiel für die Angst vor der (nicht vorhandenen) eigenen Courage. Und dafür, wie eine renommierte Redaktion Meinungsfreiheit und Vielfalt als Bedrohung wahrnimmt. Kundige Historiker könnten den Brief als Beleg für das Toleranz-Paradox der späten Ära Merkel analysieren: Keine Toleranz gegenüber dem, der der eigenen Meinung widerspricht.

Unter anderem heißt es in dem papiergewordenen Gang nach Canossa: „Etliche Redakteurinnen und Redakteure kritisieren, dass der Text nicht nur mit Levit abrechne, sondern auch mit den sozialen Medien als solchen. Diese Vermischung sei falsch, ebenso wie die Vermischung des künstlerischen und des politischen Wirkens von Levit und seiner Äußerungen auf Twitter.“

Wie bitte? Darf ein Autor nicht mehr abrechnen?
Darf ein Autor nicht kritisieren, wenn ein Künstler Politik und Kunst vermischt?
Und darf er politische Äußerungen auf Twitter nicht mehr kritisieren?

Und warum war bei Schlagerstar und „Corona-Ketzer“ Michael Wendler genau diese „Vermischung“ von dem, was er in den sozialen Medien schrieb, und seiner Arbeit statthaft? Auch die kann man als „künstlerisches Wirken“ bezeichnen…

Weiter steht im Text: „Harte Kritik gibt es in der Redaktion am Begriff „Opferanspruchsideologie“, der nach dem Wortlaut des Textes zwar auf soziale Medien allgemein bezogen sei, aber so verstanden werden könne, dass er Levit gilt.

Ja und? Darf man jemanden, der Andersdenkenden das Menschsein abspricht, nicht „Opferanspruchsideologie“ vorwerfen?

Weiter schreibt die SZ: „Viele unserer Leserinnen und Leser kritisieren diese Veröffentlichung scharf und sind empört. Manche empfinden den Text als antisemitisch, etliche sehen Levit als Künstler und Menschen herabgewürdigt. Auch er selbst sieht es so.“

Diejenigen, denen Levit das Menschsein abspricht, fühlen sich sicher als Menschen herabgewürdigt.

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Sind sie also für die Süddeutsche Zeitung Menschen zweiter Klasse?

Wenn Levit auf Kritik, die viel harmloser ist als seine Diffamierung von Andersdenkenden, so sensibel reagiert, sollte er vielleicht weniger austeilen.

Und was bitte soll an besagtem Text antisemitisch sein? Ich finde nicht einmal einen Anflug von Antisemitismus darin.

Weiter ist zu lesen: „Auch die im Text thematisierte Frage, ob Levits Einsatz gegen Rechtsextremismus „nur ein lustiges Hobby“ sei, sorgt in der Redaktion, ebenso wie außerhalb, für großen Unmut.“

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Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, kritische Fragen sorgen nun mal für Unmut.

Wenn Sie das nicht ertragen, sollten Sie den Beruf an den Nagel hängen.

Was nicht für Unmut sorgt, ist kein Journalismus, sondern PR.

Die Redaktion der Süddeutschen hat mit ihrer Entschuldigung für ein kritisches, journalistisches Stück dokumentiert, dass sie nicht mehr dem Journalismus verpflichtet ist, sondern der richtigen „Haltung“. Und dieser ist sie offenbar derart erlegen, dass sie nicht einmal merkt, wie sehr sie sich mit ihrer Entschuldigung selbst entlarvt.

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Bild: alphaspirit/Shutterstock
Text: br


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