Von Alexander Wallasch
Im März dieses Jahres hatte Schauspieler Jan Josef Liefers noch kritisch-ironisch in seinem knapp eineinhalb Minuten langem #allesdichtmachen Film u.a. über die wenig kritische Haltung der Medien zu den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung gespottet. Sein Kurzfilmbeitrag wurde zwischenzeitlich über eineinhalb Millionen Mal aufgerufen – ein 3-nach-9-Interview mit ihm zum Thema bei Youtube sogar zwei Millionen Mal geschaut.
Jetzt kam es offensichtlich zu so etwas wie einer Kehrtwende des populären Dresdners. Und der Anlass dafür: Liefers wurde im Zusammenhang mit seinem Engagement für #allesdichtmachen aufgefordert, einmal selbst in einer Corona-Intensivstation tätig zu werden. Und Liefers nahm das Angebot an.
Ein Horrortrip mit Taucherbrille
Ein Tag im Leben des Schauspielers, der für den streitbaren 57-Jährigen zu so etwas wie einem persönlichen Wendepunkt wurde:
Bild-Online widmet dem Tag des „Tatort“-Stars auf einer Covid-Intensiv-Station in Essen einen längeren Artikel. Als Überschrift wurde eine Beobachtung Liefers von diesem Tag in der Klinik ausgewählt: „Keiner wäre hier mit Impfung“.
Präziser: Jan Josef Liefers berichtet selbst von diesem Tag. Nicht gleich danach brühwarm von ihm aufgeschrieben, sondern nach einer zweiwöchigen Phase des Nachdenkens. Der Schauspieler hat für seinen Artikel ein Selfie aus der Intensivstation mitgebracht, Liefers in Schutzkleidung mit 3M-Maske, Taucherbrille und grüner OP-Schutzhaube.
Was als Fotografie zunächst noch ganz amüsant ausschaut, entpuppt sich für ihn allerdings als eine Art Horrortrip live. Liefers berichtet von zwei schwangeren Frauen, die er dort als Patientinnen erlebte, deren Nachwuchs per Kaiserschnitt geholt wurde, während die Mütter – wie er später erfuhr – zwischenzeitlich verstorben sind:
„Auch die beiden hochschwangeren Frauen, deren Kinder per Not-OP geholt wurden und leben, während die Mütter es nicht geschafft haben, wie ich inzwischen weiß.“
Liefers hatte spontan zugesagt, sich an der Gegenaktion #allemalneschichtmachen zu beteiligen und Wort gehalten. „Doc Caro“, eine Medizin-Bloggerin, hatte alle an #allesdichtmachen beteiligten Schauspieler aufgerufen, für eine Schicht beispielsweise auf einer Intensivstation mitzuarbeiten.
Liefers weiter für Bild: „Alle Covid-Patienten hier auf Intensiv waren schwer erkrankt, dem Tod näher als dem Leben. Alle jung, von 28 bis 48 Jahre alt. Alle ungeimpft.“
Besonders viele seien übergewichtig gewesen. Übergewichtige gäbe es aber viele, warum diese nun hier lägen, kann sich Liefers selbst nur damit erklären, dass sie ungeimpft sind.
Leicht macht es sich der Schauspieler für seinen Tagebuch-Beitrag für Bild dennoch nicht. Sein Text ist ein nach außen gestülptes inneres Ringen um die eine befriedigende, für ihn denkbare, Wahrheit.
Einige Fragezeichen beenden seine einleitenden Sätze:
Ist Corona wirklich vorbei? Was bedeutet das alles? Wie sieht es mit der Exitstrategie aus? Und wie mit der Pandemiepolitik der Bundesregierung?
Liefers erinnert eingangs auch an jene Länder, die ihren Freedom Day schon hinter sich hätten – nur Deutschland stände noch da, wie zuvor:
„Und wir hängen hier im Schacht, ohne richtige Ansage, ohne richtige Perspektive. Okay, derzeit auch ohne richtige Regierung, da will wohl von den Altvorderen keiner mehr was entscheiden. Oder?“
'Mach doch einen Impfaufruf, Jan!'
Sieben Patienten hat Liefers in Essen auf der Intensivstation gesehen:
„Sieben Patienten lagen an diesem Tag mit Covid-Pneumonie dort, alle im künstlichen Schlaf, alle intubiert und maschinell beatmet, alle zusätzlich an der ECMO, einem Gerät, das unter Umgehung der zerstörten Lungenfunktion das Blut der Patienten direkt mit Sauerstoff anreichert und wieder in den Körper zurückpumpt.“
Die ECMO, so erklärt es Liefers weiter, sei das Ende der Stange, wenn nicht bald eine Verbesserung einträte, rücke ein Ableben in greifbare Nähe.
Liefers schaut hin und beschreibt akribisch, was er erlebt hat, erzählt davon, dass immer zwei Infektiöse in einem abgeschlossenen, verglasten Raum liegen würden. Und er berichtet von den festen Zeitabständen, in denen die Lage der Patienten verändert werden müsse, um die Beatmung zu erleichtern:
„Etwa von der Rückenlage in die Bauchlage, oder von einer Seite auf die andere, um die Durchblutung der Haut an den Druckstellen zu gewährleisten.“
Körperpflege sei auch so eine typische Aufgabe. Bei allem müssten die Intensivpfleger und Ärzte immer das Gewirr der vielen Schläuche übersichtlich und in Ordnung halten: „Das ist körperlich anstrengende Arbeit. Übergewicht war optisch die auffälligste und immer wiederkehrende Vorerkrankung der Covid-Patienten hier.“
Einen längeren Satz hat Liefers als Zwischenüberschrift ausgewählt: „Allerdings, da waren sich Pfleger wie Ärzte einig, wäre keiner hier gelandet mit einer Impfung.“ Und das Personal, mit dem er zusammenarbeiten durfte, hätte ihn inständig darum gebeten, einen Impfaufruf zu machen:
„Mach doch einen Impfaufruf, Jan! Du bist selbst auch geimpft! Vielleicht hören noch ein paar Leute da draußen auf dich! Das war die Botschaft, so habe ich sie verstanden.“
Anschließend berichtet Liefers auch von seiner eigenen Impfung, darüber, dass er kein ängstlicher Typ sei und wie er sich am Ende doch für die mRNA-Impfung entscheiden hätte.
Liefers begründet, warum er sich impfen ließ:
Das größte Schreckgespenst bezüglich der Impfung sei ADE gewesen, „die antikörperbedingte Verstärkung der Krankheit, wenn der eigene Körper nur sogenannte „nichtneutralisierende Antikörper“ bildet.“ Aber die vielen Fälle wären ausgeblieben und wenn, dann auch nach der Erkrankung selbst, so Liefers:
„Es gibt ADE tatsächlich, aber selten. Manchmal durch einen Impfstoff ausgelöst, manchmal aber auch durch eine Infektion selber. Ein Alptraum.“
Er hätte sich die Funktionsweise einer mRNA-Impfung genau erklären lassen, schreibt Liefers weiter. Dann hätte er sich für die Impfung entschieden, er sei da „nicht so zimperlich“. Und er hätte dann auch nur einen muskelkaterähnlichen Schmerz um die Einstichstelle gehabt, „das war alles.“
Später hat der Schauspieler sich dann auch noch testen lassen, um zu schauen, ob seine Impfung überhaupt gewirkt hätte:
„Das Ergebnis kam nach ein paar Tagen: hoher IgG-Titer, hohe T-Zell-Reaktivität, 95% neutralisierende Antikörper, sehr gute humorale und zelluläre Immunantwort auf SARS-CoV-2. Man könnte auch sagen: Impfung hat top funktioniert.“
Final fragt sich Liefers selbst, ob das nun ein Impfaufruf sei. Ja, er befürworte die Impfung Erwachsener, „absolut klarer Fall.“ Aber er würde keine medizinischen Ratschläge verteilen. Die Entscheidung läge bei jedem selbst. Aber war das nicht gerade ein medizinischer Ratschlag?
Sein kleines Tagebuch für Bild schließt mit dem Absatz:
„Wenn ich nun zurückdenke an meinen Tag auf der ITS und daran, wie die seltsame und bisweilen unbarmherzige Lotterie des Lebens für die Sieben dort ausgegangen ist, dann weiß ich jedenfalls, ich habe keinen Fehler gemacht.“
Und dann lässt Liefers seine Leser doch noch ziemlich ratlos zurück. Erst macht er sich quasi zur Speerspitze einer Bewegung, die durchaus auch viele Menschen davon abgehalten hat, sich impfen zu lassen. Dann sagt er über sich selbst, er sei froh, dass er sich habe impfen lassen.
Aber was bedeutet das? Reue? Schlechtes Gewissen? Geht es etwa um eine Art Abbitte aus Sorge vor Berufsverboten, so wie es einigen der über fünfzig teilnehmenden Künstlern erging, die ebenfalls einen filmischen Beitrag geleistet haben zu #allesdichtmachen?
Aber Liefers scheint nicht der Typ, der sich einschüchtern lässt. Und sein Tag auf der Intensivstation war sicher auch kein leichter Gang, er wollte sich selbst ein Bild machen, wollte real vor Ort sein.
Dann aber wieder der große Bogen zum Bericht in der Bild. Das will auf den ersten und zweiten Blick alles nicht recht zusammenpassen.
Möge sich einfach jeder selbst ein Bild machen und seine Meinung in den Kommentaren zur Diskussion stellen. Eines steht aber wohl fest, von #allesdichtmachen bis zur Intensivstation in Essen: Jan Josef Liefers hat es sich nicht leicht gemacht. Mindestens das verdient Respekt. Aber zuletzt wirkt der Auftritt des Schauspielers dann aber auch wie eine Antwort auf #allesaufdentisch, den Nachfolger von #allesdichtmachen, an dem Liefers nicht mehr teilgenommen hat.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: ShutterstockText: wal