Veröffentlichung der Suizidzahlen für 2020 erneut verschoben Schlimmste Auswirkungen der Corona-Maßnahmen zu befürchten?

Von Alexander Wallasch

Man benötigte Mitte 2021 keine Glaskugel mehr, um zu mutmaßen, dass die Suizidzahlen in Deutschland vom Statistischen Bundesamt für 2020 möglicherweise erst nach dem Wahltag veröffentlicht werden.

Sei es Zufall oder anderen Gründen geschuldet – wir kommen gleich dazu -, tatsächlich standen die Zahlen der Suizide 2020 in Deutschland nicht wie in den Vorjahren spätestens Mitte September zur Verfügung. Jetzt wurde die Veröffentlichung vom Statistischen Bundesamt vorerst auf Mitte Oktober 2021 verschoben.

Die Zahlen erscheinen traditionell immer erst im September des Folgejahrs, weil diese erst von den einzelnen Gesundheitsämtern an die Landesgesundheitsämter und dann an die Bundesstatistiker gemeldet und dort zentral ausgewertet werden.

Dieses Jahr – mit besonderem Blick auf die Corona-Maßnahmen und ihre Folgen – ist das öffentliche Interesse größer als in den Vorjahren, aber anstatt die Zahlen deshalb schneller auszuwerten, früher zu veröffentlichen, verzögert sich die Bekanntmachung seltsamerweise sogar noch.

Das Statistische Bundesamt schreibt dazu entschuldigend:

Bei der Aufbereitung der Ergebnisse der Todesursachenstatistik gibt es derzeit Verzögerungen, die eine Veröffentlichung der Jahresergebnisse zum geplanten Termin verhindern werden. Wir arbeiten intensiv daran, die Verzögerung so gering wie möglich zu halten. Wir planen, die Daten für das Berichtsjahr 2020 Mitte Oktober 2021 zu veröffentlichen.

Und das Amt nennt zwei Gründe, warum es dieses Jahr länger dauert:

Die Datenlieferungen von den Gesundheitsämtern an die mit Statistik befassten Ämter der Länder würden ausstehen. Warum hier nicht streng interveniert wurde auf dem Dienstweg, wird nicht erklärt. Stattdessen heißt es: „Es fehlen damit Angaben zu den Todesursachen Verstorbener. Ohne diese Angaben kann die Todesursachenstatistik nicht abschließend bearbeitet werden.“

Aber warum fehlen diese Angaben 2021, welche in den Vorjahren pünktlich für eine Veröffentlichung beigebracht wurden?

Und als zweiter Grund werden „Personalengpässe“ in den Statistischen Landesämtern genannt. Offensichtlich hat hier die Presseabteilung bei der Veröffentlichung den Widerspruch nicht erkannt: Denn wenn die Zahlen von den Gesundheitsämtern (Grund 1) gar nicht geliefert werden an die Landesämter, dann könnte man noch so viel Personal aufstocken, um diese Zahlenangaben zu bearbeiten, sie sind ja noch gar nicht da.

Der verschobene Termin im Oktober ist auch nicht gesichert: „Ein Abschluss der Aufbereitungsarbeiten ist erst nach Vorlage der Ergebnisse aller Länder möglich.“

Suizidzahlen sind erheblich für Kritik an Corona-Maßnahmen

Das ist alles sehr unbefriedigend. Denn es fördert den Gedanken, dass hier absichtsvoll zunächst die Bundestagswahl abgewartet wurde und jetzt auch noch die Zahlen selbst zweifelhafter erscheinen könnten – was immer auch irgendwann vermeldet werden wird, wenn die Zahlen dann doch einmal vorliegen sollten.

Interessant hingegen ist, dass das Statistische Bundesamt schon im Juli eine Schätzung veröffentlicht hatte, die im Widerspruch zu den Befürchtungen einer Reihe von Fachleuten steht.

So schrieb die Deutsche Depressionshilfe: „Durch die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie ist eine Zunahme der Suizidversuche zu vermuten.“ Aber um Genaueres zu sagen, ist die Organisation natürlich ebenfalls auf die Veröffentlichungen der Zahlen angewiesen.

Interessant auch besagter vorläufiger Hinweis des Bundesamtes im Juli, der sogar einen Rückgang der Suizidzahlen vermuten will:

Die Zahl der Suizide lag im Jahr 2020 nach der vorläufigen und noch nicht vollständigen Auswertung bei 8565. Sie lag damit bislang leicht unter der Zahl von 2019 (9041 Suizide).

Diese geschätzten Angaben widersprechen aber nicht nur der Deutschen Depressionshilfe, auch auf UN-Ebene wird von einem weltweiten Phänomen der Zunahme von Selbstmorden berichtet. Und hier aktuell insbesondere Suizid-Gedanken gerade bei jüngeren Menschen.

Tagesschau.de zitiert aus einer gerade veröffentlichten, alarmierenden Studie von UNICEF:

Psychische Erkrankungen unter Jugendlichen nehmen laut UNICEF zu: Jedes Jahr begehen weltweit rund 46.000 Zehn- bis 19-Jährige Suizid. Experten fordern ein schnelles Gegensteuern. 

Dezidiert wird hier also gewissermaßen auch das Vorfeld von Suiziden untersucht – mit erschreckenden Befunden: Jeder siebte Heranwachsende zwischen zehn und 19 Jahren weltweit lebe schon mit einer diagnostizierten psychischen Störung. Darunter würden Verhaltensauffälligkeiten und Angststörungen ebenso fallen wie Depressionen. Und die wären zum Teil so schwer, dass die Betroffenen sie nicht überlebten.

UNICEF-Studie zeigt eine verstörte Generation junger Menschen

Die UNICEF-Studie befragte in 21 Ländern junge Menschen. Jeder fünfte Befragte gab an, häufig deprimiert zu sein. In Deutschland war es sogar jeder vierte für die Studie Befragte.

Die Folgen der Covid-Pandemie seien hier die Spitze des Eisbergs, zitiert der Nachrichtensender aus der Studie. Die landesweiten Lockdowns und die pandemischen Einschränkungen hätten eine ganze Generation Heranwachsender stark beeinträchtigt, Kinder wären in prägenden Abschnitten ihres Lebens isoliert von Freunden, Spielgefährten und Verwandten.

Während also auch internationale Hilfsorganisationen wie UNICEF via Studie einen Warn- bzw. Weckruf in die Welt entsenden, verschiebt das deutsche Statistische Bundesamt die Veröffentlichungen der Suizidzahlen in dieser kritischen Phase und macht die Veröffentlichungen von bisher nicht erfolgten Datenlieferungen der Landesämter abhängig.

Aber wo ist hier auf einmal die Lieferkette gestört? Oder wer stört hier die Datensammlung und Auswertung? Das Statistische Bundesamt ist eine deutsche Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat. Bundesminister ist hier aktuell noch Horst Seehofer (CSU).

Wir haben uns in diesem Fall entschieden, über das Thema Suizid zu berichten. Leider kann es passieren, dass depressiv veranlagte Menschen sich nach Berichten dieser Art in der Ansicht bestärkt sehen, dass das Leben wenig Sinn habe. Sollte es Ihnen so ergehen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge: www.telefonseelsorge.de. Hilfe finden Sie bei kostenlosen Hotlines wie 0800-1110111oder 0800 1110222. Telefonberatung für Kinder und Jugendliche: 116 111

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: Shutterstock
Text: wal

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