Von reitschuster.de
Von hintenrum durchs Auge geht so: Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, hat sich gegenüber dem Tagesspiegel gegen eine Triage ausgesprochen. Also dagegen, dass behandelnde Krankenhäuser bei Engpässen nicht nach Eingang behandeln, sondern eine Auswahl treffen – aktuell wohl zwischen geimpften und ungeimpften Patienten.
Von hinten durchs Auge ist das, weil sie sich zwar dagegen ausspricht, aber die Triage selbst damit neu thematisiert hat, als wäre der Zeitpunkt nun bald gekommen, hier als Ethikrat zu intervenieren. Buyx sagte:
Solche Kriterien sollten bei der Triage keine Rolle spielen. Natürlich ist erkennbar, wo die Intuition herkommt, aber es gilt kein Schuldprinzip bei lebensrettenden Maßnahmen im Gesundheitswesen. So schwer das für die Betroffenen ist: Lebensrettende Maßnahmen vorzuenthalten, weil der Zustand vermeidbar gewesen wäre, widerspricht wichtigen ethischen Prinzipien der Medizin.
Alles richtig. Aber die Diskussion um eine „Triage“ gehörte während der Pandemie bisher immer zu jenen Debatten, die nur theoretisch geführt wurden. Zu keiner Zeit gab es eine Situation, die so eine Triage-Entscheidung denkbar gemacht hätte.
Und mittlerweile ist die Mehrheit der Deutschen doppelt geimpft. Folgt man zumindest den Verwaltern der Pandemie, wäre die Bevölkerung damit über den Berg, die Situation müsste heute wesentlich entspannter sein als noch vor den Impfungen.
Worum geht es also? Der Ethikrat unterstützt hier schon mit der Thematisierung eines altbekannten Drohorchesters auf passive Weise die Impfkampagne der Bundesregierung.
Triage der Ungeimpften
Ja doch, Ende 2020 soll es in einer Klinik einmal die Überlegung gegeben haben, welcher Patient nun eine bestimmte Behandlung erfährt, die man nicht mehr jedem anbieten konnte, aber direkt bestätigt wurde das nicht. Hier ging es wohl auch darum, dass Verlegungen von Patienten in weniger überfüllte Kliniken nicht rechtzeitig organisiert wurden.
Aber vor allem ging es hier nicht – und das ist der entscheidende Unterschied ein Jahr später: Es ging hier nicht um eine Triage, die Ungeimpfte schlechter stellt als Geimpfte, sondern im Sinne einer Abwägung, bei welchem Patienten bestimmte knappe Behandlungen erfolgsversprechender wären. Aber auch das war hier nicht der Fall. In Zittau könnte es so gewesen sein, dass damit schon im Vorfeld auf kommende Engpässe hingewiesen werden sollte, wo auch Verlegungen planmäßig hätten funktionieren sollen, können und sogar müssen.
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zitierte im selben Zeitraum Dezember 2020 einen Intensivmediziner, der erklärte, es seien noch Klinikbetten frei – eine Triage wäre nicht notwendig. Die sächsische Sozialministerin formulierte es damals so: Sie habe die „Äußerung als Warnung, als Weckruf verstanden, dass sie dort bald nicht mehr wissen, wie sie alle Patienten versorgen können und dass wir alle die Schwere der Situation begreifen“.
Aber der Pressesprecher der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Jochen Albrecht, weiß es im April 2021 rückblickend besser: „Bis jetzt musste trotz steigender Belegung von Intensivbetten seit Beginn der Pandemie keine Triage vorgenommen werden.“ Seine Aussage wurde von Christian Karagiannidis, dem wissenschaftlichen Leiter des DIVI-Intensivregisters, bekräftigt.
Es gab also niemals in Deutschland eine Triage im Zusammenhang mit einer Corona-Erkrankung. Der Logik der Impfkampagne folgend muss man sich zudem fragen, warum das jetzt anders sein sollte, wo mehr als zwei Drittel der Bevölkerung geimpft sind. Schließlich wurde immer und mit Drohkulisse darauf hingewiesen, dass auch solche Triage-Überlegungen zu vermeiden wären, wenn nur genug Menschen geimpft wären. Im zweiten Aufguss allerdings wirkt diese Bedrohungslage nicht mehr.
Wie unabhängig ist der Deutsche Ethikrat?
Was die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates da macht, ist so neu auch nicht. Das hatte u.a. der Deutschlandfunk schon im April dieses Jahres durchgespielt: Ohne dass es dafür irgendwann Hinweise gegeben hätte, nahm sich der Sender ebenfalls der Absagen an eine Triage an. Unter der Überschrift „Corona; In Deutschland geht es ohne Triage“ erzählte der Deutschlandfunk – fast so, als stände es auf Kippe und wäre zu befürchten: Die gute Nachricht sei, in Deutschland würde es auf absehbare Zeit wohl keine Triage geben.
Die 26 Mitglieder des Ethikrates werden zur Hälfte von der Bundesregierung und zur anderen Hälfte vom Bundestag vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten für vier Jahre berufen.
Um kurz die Arbeit des Ethikrat zu verdeutlichen: Der Rat hatte sich in einer 55-seitigen Stellungnahme im Dezember 2020 beispielsweise zur Frage der Ausstellung von Immunitätsausweisen geäußert. Der Bundesgesundheitsminister hatte den Rat gebeten, die ethischen Voraussetzungen für so einen Ausweis zu prüfen und u.a. folgende Antwort bekommen:
„Für Einzelne könnte die (Wieder-)Erlangung von Freiheit aufgrund der eigenen Immunität als Anreiz wirken, sich selbst zu infizieren und so möglicherweise Immunität zu erlangen. Für die allgemeine Kontrolle des Verlaufs einer Pandemie und das Ziel, die Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten, wäre dies kontraproduktiv.“
Das ist schon deshalb brisant, weil eben diese Ansteckung mittlerweile eine Empfehlung (Allerdings nur für Geimpfte) geworden scheint, alternativ zur dritten so genannten Booster-Impfung und im mittlerweile gesicherten Wissen, dass der Genesene gegenüber dem Geimpften den besseren Immunitätsschutz hat.
Ironie der Geschichte, dass dennoch eine Impfkampagne für Kinder und Jugendliche angestoßen wurde, obwohl bei Kindern nicht einmal offiziell gesichert scheint, was mehr seltene Risiken birgt: Impfung oder Ansteckung?
Zurück zur Triage-Debatte
Es gab niemals in Deutschland eine auf Engpässen basierende Triage-Entscheidung. Im Gegenteil: Während der Pandemie kam es sogar zu einer Reihe von Klinikschließungen, ohne dass es hier verschärfend zu Engpässen gekommen wäre.
Die ARD-Sendung Plusminus recherchierte dazu: „Beispiel Krankenhaus Ingelheim. Erst noch zur Corona-Spezialklinik aufgerüstet. Und dann Ende Dezember geschlossen. Nach 80 Jahren. Alles muss raus. Auch die 190 Mitarbeiter: alle entlassen – auf dem Höhepunkt der zweiten Welle.“ Und selbstverständlich könnten solche Klinikschließungen im ländlichen Raum zu Engpässen führen.
Allerdings führten solche Engpässe bisher nie zu einer wie auch immer gearteten, auch vom Ethikrat jetzt erneut thematisierten, sogenannten Triage-Entscheidung. Das allerdings intensivmedizinische Plätze in Kliniken eine hohe Auslastung benötigen, liegt in der Natur der Sache, so diese nicht in einem Pandemiegeschehen bewusst subventioniert und also für zu erwartende Engpässe freigehalten werden.
Und der sogenannte „Faktenfinder“ der Tagesschau bestätigte im Februar 2021 dann auch:
„Tatsächlich werden jedes Jahr Krankenhäuser geschlossen. Die Zahl der Krankenhausbetten fiel seit 1998 um 25 Prozent.“ Interessant ist hier der Rückverweis auf 1998, denn der Zeitraum ab Beginn der Pandemie wäre ausreichend und viel brisanter gewesen, einen Rückgang aufzuzeigen. Und weiter heißt es da: „Allerdings stieg die Zahl der – in der Pandemie besonders relevanten – Intensivbetten deutlich an.“
Gerätemedizin ist teuer, Mitarbeiter müssen hochqualifiziert sein und wollen entsprechend vergütet werden. Wenn aber wirtschaftliche Erwägungen noch innerhalb einer pandemischen Lage die Auslastung von Intensivstationen in Kliniken mitbestimmen, dann ist die Debatte kontaminiert.
Lebensrettende Maßnahmen vorenthalten
Mitte Juni 2021 gab es Diskussionen darüber, ob Kliniken in der Corona-Krise die Zahl freier Intensivbetten künstlich verringert hätten, um dadurch Ausgleichszahlungen durch die Regierung zu erhalten. Erhoben hatte die Vorwürfe der Bundesrechnungshof in seinem ersten Bericht über die Corona-Politik der Bundesregierung.
Auch diese Vorwürfe müssen bei einer Stellungnahme des Ethikrates mit einfließen. Denn wenn die Aufgaben des Rates fest umrissen sind, reicht es hier nicht, nur darauf hinzuweisen, dass eine Triage ethisch nicht zu vertreten ist, wie die schon eingangs zitierte Alena Buyx erklärt hatte: „Lebensrettende Maßnahmen vorzuenthalten, weil der Zustand vermeidbar gewesen wäre, widerspricht wichtigen ethischen Prinzipien der Medizin.“
Hier muss die ketzerische Frage erlaubt sein, ob dann nicht auch die Schließung von Kliniken und die künstliche Verknappung von Intensivplätzen aus finanziellen Erwägungen aus ethischer Perspektive ebenso verwerflich sind. Dem Notfallpatienten, der verstirbt, weil eine Klinik zu weit entfernt liegt, ist es gleich, ob er verstarb auf Grund einer unmittelbaren Triage-Entscheidung oder weil seine regionale Klinik geschlossen wurde.
Und der hier zitierte sogenannte „Faktenfinder“ der Tagesschau sagt es ja selbst: „Um Kapazitäten für COVID-19-Patienten freizuhalten“ sollen „planbare und nicht dringende Operationen verschoben worden sein“. Und weniger kranke Patienten wären zurück auf andere Stationen verlegt worden.
Es wurden also für eine bestimmte Zahl von zukünftigen Corona-Patienten Intensivplätze freigehalten und dafür wurden Patienten zurückverlegt auf andere Stationen, weil man festgestellt hat, dass diese „weniger krank“ seien als andere. Die Prognosen zur Zahl der Corona-Patienten haben ebenfalls dafür gesorgt, dass Operationen verschoben oder abgesagt wurden.
The next big Angstmache
Verheerend kommt noch hinzu, dass im Verlauf der Pandemie zudem festgestellt wurde, dass möglicherweise Corona-Intensivpatienten viel zu früh intensivmedizinisch behandelt wurden, wie beispielsweise der MDR berichtete.
Der Ethikrat hat hier also die Triage neuerlich thematisiert. Nicht so eine, die nach Überlebenschance schaut, sondern nach geimpft oder ungeimpft. Und der Rat hat hier zukünftigen Überlegungen eine Absage erteilt. Aber was nicht akut ist, was es aus der Erfahrung von 2020 auch nicht wird, dem muss man auch keine wie auch immer geartete Absage erteilen.
So wird nur dem Ungeimpften Angst eingejagt, dass er sich im Falle einer ernsthaften Erkrankung vielleicht doch hinten anstellen müsste, obwohl der Ethikrat sich gegen die Triage ausgesprochen hat. Und viel drückender sind hier sowieso die geschilderten Fälle von Zurückweisung von Operationen und Patienten während der Pandemie.
Bild: Shutterstock
Text: Gast
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