Warum die Regierung die Modellierungen des Expertenrats geheim hält… ...will sie nicht begründen

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, sagte einst Michail Gorbatschow, dessen Übersetzer zu sein ich die Ehre habe. Doch nicht immer und überall gilt dieser Spruch. Aufgrund des Weihnachtsstresses kam ich nicht dazu, über die letzte Bundespressekonferenz vor dem Fest zu schreiben, die am 22. Dezember stattfand. Dort habe ich zwei Fragen an die Bundesregierung gestellt, die ich nicht unter den Tisch fallen lassen möchte. Dafür sind die Antworten bzw. deren Vermeidungen zu aussagekräftig. Deshalb dokumentiere ich hier beide. Wenn Sie sich wundern, warum ich trotz meines Ausschlusses weiter in der Bundespressekonferenz Fragen stellen kann: Dies liegt daran, dass der Widerspruch, den ich eingelegt habe, aufschiebende Wirkung hat. 

VORSITZENDE WEFERS: „Ich habe eine Frage von Boris Reitschuster zum Coronathema. Er fragt, warum die Modellierungen des Expertenrats nicht öffentlich gemacht werden.

HEBESTREIT: „Der Expertenrat tagt vertraulich. Er hat danach eine gemeinsame Stellungnahme formuliert, und die ist öffentlich.“

In meinen Augen hat der Scholz-Sprecher damit nicht nur eine Antwort verweigert. Er hat das in einer geradezu demonstrativen Weise getan – mit einem Zynismus, wie er in demokratischen Gesellschaften nicht an den Tag gelegt werden sollte von Staatsdienern.  

Meine zweite Frage wurde ebensowenig beantwortet – aber wenigstens nicht in einer so demonstrativen Art und Weise und nicht so zynisch wie die erste.

VORSITZENDE  WEFERS: „Dann habe ich noch eine Frage von Boris Reitschuster an das Gesundheitsministerium zum Coronathema. Er fragt: Für private Zusammenkünfte im öffentlichen oder privaten Raum gelten jetzt die gleichen Personenbeschränkungen. Warum? – Er begründet das damit, dass doch die Ansteckungsgefahr im Freien laut Experten gering sei.“

GÜLDE (Sprecher Gesundheitsministerium): „Es geht jetzt natürlich darum, das haben ja sowohl Herr Prof. Lauterbach als auch Herr Prof. Wieler deutlich gemacht, Kontakte maßgeblich zu reduzieren, um weitere Infektionen und eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Genau das ist der Grund. Man muss an verschiedenen Settings ansetzen, und private Zusammenkünfte sind eines dieser Settings.“

Gerne führe ich hier noch zum Vergleich alle anderen Fragen und Antworten vom Mittwoch von der Bundespressekonferenz zum Thema Corona auf:

JENNEN (zur COVID-19-Pandemie): Im Anschluss an die gestrige Ministerpräsidentenkonferenz wurde jetzt ja schon das Datum 7. Januar für das nächste Zusammentreffen in Aussicht gestellt. Könnten Sie trotzdem noch einmal den Weg dahin beschreiben? Was ist da jetzt noch zu erwarten und welche Maßnahmen werden dann eventuell noch in Betracht gezogen, auch vor dem Hintergrund der RKI-Empfehlungen?

HEBESTREIT: Gestern hat die Bund-Länder-Runde getagt und hat sehr einvernehmlich die Beschlüsse, die es jetzt umzusetzen gilt, beschlossen. Darin steht unter anderem, dass spätestens bis zum 28. Dezember Kontaktbeschränkungen, aber auch das Verbot von Großveranstaltungen mit Zuschauern anstehen. Einige Länder haben heute gesagt, dass sie davon schon zu einem früheren Datum Gebrauch machen am 24. und, ich glaube, am 26. oder 27. Baden-Württemberg. Das sind die Maßnahmen, auf die sich Bund und Länder verständigt haben, um diese jetzige Situation zu bewältigen.

Sie haben gleichzeitig gesagt, dass man sich am 7. Januar wieder zusammensetzen wird. Im Vorlauf dazu wird man natürlich das weitere Pandemiegeschehen genau beobachten und wird dann sehen, ob und, wenn ja, welche zusätzlichen Maßnahmen zu treffen sind. Im Augenblick geht man davon aus, dass das, was man jetzt beschlossen hat, unter anderem auch das Feuerwerksverbot zu Silvester, die Kontaktbeschränkungen, die ich bereits genannt habe, und die massiven Kontaktbeschränkungen, die es für Ungeimpfte schon seit Längerem gibt , die Maßnahmen sind, die jetzt angesagt sind.

Es gab hier eben eine Pressekonferenz mit dem Bundesgesundheitsminister und auch RKI-Chef Wieler, in der ja auch deutlich geworden ist, dass man da auf einer Linie ist. Der Expertenrat hat am Sonntag eine einhellige, gute Grundlage formuliert, auf der sich die Bundesregierung dann mit den Ländern schnell auf diese Maßnahmen verständigt hat. Insoweit sieht man sich da auch gut aufgestellt.

JESSEN: Ist der Kanzler mit dem Gesundheitsminister auch in der Frage auf einer Linie, dass ein harter Lockdown je nach Entwicklung der Fallzahlen nicht vom Tisch sei? Herr Lauterbach hat das ja erklärt.

HEBESTREIT: Der Bundeskanzler ist mit seinem Gesundheitsminister grundsätzlich auf einer Linie und hat ja auch an verschiedenen Stellen immer deutlich gemacht, dass es keine roten Linien in dieser Pandemie geben kann und dass man immer wieder das Pandemiegeschehen genau beobachten muss, sich auf den wissenschaftlichen Ratschlag stützen muss, um zu entscheiden, wie man angemessen darauf reagiert. Dass man etwas nicht ausschließt, heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass es zwangsläufig kommen muss. Das ist eben genau das, was wir immer wieder tun müssen. Wenn man sich zurückerinnert: Auch Ende November haben wir ja massive Einschränkungen beschlossen. Da gab es auch Kritik daran, ob sie denn ausreichen würden und ob das denn diese Welle brechen würde. Im Augenblick sieht man, dass es zumindest bei der Deltavariante zwar noch nicht ausreicht, aber dass das doch vorsichtig in die richtige Richtung geht. Jetzt kommt mit der Omikronvariante eine neue Herausforderung, die noch einmal ganz andere Anforderungen stellt. Aber auch da wird man die Lage immer wieder neu betrachten und beurteilen.

JESSEN: Deswegen habe ich auch wirklich nur gefragt, ob die Aussage „Das ist nicht vom Tisch“ im Hinblick auf die Omikronvariante auch für den Kanzler gilt. Das ist offenbar so.

FRIED: Herr Hebestreit, der Bundeskanzler hat ja gestern davon gesprochen, dass er gerne auch ehrgeizige Ziele formuliert und hat als eines dieser Ziele eine Impfquote von 80 Prozent genannt. Was er nicht genannt hat, war ein Zeitraum, und der Ehrgeiz bemisst sich ein bisschen daran, welcher Zeitraum vorgegeben wird. Könnten Sie das konkretisieren?

HEBESTREIT: Damit bringen Sie mich natürlich in die schwierige Zwangslage, dass ich den Ehrgeiz des Bundeskanzlers terminieren soll. Ich versuche es einmal so: Im Augenblick haben wir, glaube ich, eine Impfquote von 73,5 Prozent. Wenn man sagt, dass wir spätestens bis zum nächsten Treffen oder zum nächsten terminierten Treffen der MPK mit dem Bundeskanzler am 7. Januar eine Impfquote von 80 Prozent erreichen werden, dann ist das doch sehr ehrgeizig.

WEFERS: Dann habe ich noch eine Frage von Boris Reitschuster an das Gesundheitsministerium zum Coronathema. Er fragt: Für private Zusammenkünfte im öffentlichen oder privaten Raum gelten jetzt die gleichen Personenbeschränkungen. Warum? – Er begründet das damit, dass doch die Ansteckungsgefahr im Freien laut Experten gering sei.

GÜLDE: Es geht jetzt natürlich darum, das haben ja sowohl Herr Prof. Lauterbach als auch Herr Prof. Wieler deutlich gemacht , Kontakte maßgeblich zu reduzieren, um weitere Infektionen und eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Genau das ist der Grund. Man muss an verschiedenen Settings ansetzen, und private Zusammenkünfte sind eines dieser Settings.

FRIED: Es tut mir leid; ich muss noch einmal, Herr Hebestreit, nach dieser Impfquote von 80 Prozent und dem Ehrgeiz des Bundeskanzlers fragen. Bezieht sich das dann auf eine vollständige Impfung derzeit sind nämlich, glaube ich, nur etwas mehr als 70 Prozent vollständig geimpft, also zumindest zweimal, oder werden bis dahin 80 Prozent mindestens eine Spritze bekommen haben?

HEBESTREIT: Ich glaube, er hat das auf die erste Impfung bezogen, weil er weiß, dass nach der ersten in der Regel auch die zweite und, wenn es gut läuft, dann auch die dritte, also die Boosterimpfung, folgt. Insofern, wenn Sie mich festnageln, nehme ich die erste Impfung erst einmal als Standard.

Wir haben ja vor gut einer Woche darüber diskutiert, was denn der Stichtag für die 30 Millionen Boosterimpfungen ist. Da sieht es im Augenblick, wenn ich es richtig überblicke, so aus, als könnte es an Heiligabend tatsächlich auch das zu feiern geben. Auch da hat das ehrgeizige Ziel, das sich die Bundesregierung gesetzt hat, einigermaßen hingehauen. So, hoffen wir, werden wir das auch am 7. Januar schaffen.


Bild: RTL/Ekaterina Quehl
Text: br

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