Von Alexander Wallasch
Eine große deutsche Zeitung meldete gestern Abend, dass die Protestaktion #allesaufdentisch bei Youtube gesperrt wurde.
Der Nachfolger von #allesdichtmachen bringt im Videoformat Künstler mit Experten zusammen, um über Corona und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu sprechen. Zuletzt konnte die Aktion sogar Oskar Lafontaine für sich gewinnen, reitschuster.de hatte über den prominenten Auftritt berichtet.
Idee der Künstleraktion ist es, „einen breitgefächerten, faktenbasierten, offenen und sachlichen Diskurs und auch eine ebensolche Auseinandersetzung mit den Videos“ anzuregen, heißt es auf der dazugehörigen Webseite.
Gleich vorweg, die Sperrung des Youtube-Kanals #allesaufdentisch, wie sie gestern von Anette Dowideit berichtet wurde – sie wird als Chefreporterin Investigativteam der „Welt“ vorgestellt – scheint nicht lange angehalten zu haben, der Kanal ist erreichbar, muss also, wenn er gestern gesperrt worden sein soll, mittlerweile wieder online gestellt sein.
Allerdings ist Sperrung nicht automatisch gleich Löschung. Zu kompliziert für Dowideit?
Man könnte in besagtem Fall auch darüber nachdenken, dass solche Portale automatisch auf Negativmeldungen ihrer Nutzer reagieren, ohne sofort zu prüfen, um dann nach Protest des Betreibers der gelöschten/gesperrten Seite wieder freizuschalten.
Unnötig zu sagen, dass damit Hass und Hetze viel Platz eingeräumt wird, wenn sich nerdige oder gar faschistoid veranlagte User verabreden, eine bestimmte Seite der Meinungsfreiheit vorübergehend durch massenhafte Beschwerde-Klicks lahmzulegen.
Die Seite #allesaufdentisch mit zahlreichen prominenten Gesprächen und sehr hohen Aufrufzahlen ist also weiter online. Aber da wäre noch der Bericht von besagter „Welt“-Reporterin Anette Dowideit. Der ist nämlich der eigentliche Skandal und bei der Zeitung gibt es keine Meldefunktion, die dazu führen würde, dass solche Hetzartikel gegen die Meinungsfreiheit im selben Tempo wieder gelöscht werden würden.
„Welt“-Reporterin Dowideit titelt zur vermeintlichen Löschung/Sperrung am Mittwochabend: „Gut, dass YouTube klare Haltung gegen Corona-Verharmlosung zeigt.“ Eine Headline, die sich irgendwo nass gemacht hat zwischen Lächerlichkeit und erschreckender Naivität.
Zum einen muss man sich intellektuell weit aus der Umlaufbahn jedweder Debatten um diese regelfernen Löschorgien sozialer Medien katapultiert haben. Zum anderen darf der Versuch, den diffamierenden Fake-News-Begriff „Corona-Leugner“ durch „Corona-Verharmlosung“ zu umschiffen, als Reparatur vergangener Verwendungen durch die Altmedien mindestens dilettantisch genannt werden.
Aber damit muss man sich nicht lange aufhalten, denn Dowideit liefert noch ganz andere Stinkbomben in ihrem auch stilistisch besonders flach verfassten Artikel. Die Autorin kann ihre Freude kaum zurückhalten über die vermeintliche Löschung.
Nun ist die „Investigativ-Chefin“ nicht einmal selber drauf gekommen, sie hat die Meldung beim Spiegel entdeckt und übernommen.
Und mutmaßlich in einer Art überschäumend gehetzter Euphorie hat Frau Dowideit vor lauter Vorfreude noch die wenigen vom Spiegel abgesaugten Fakten gleichzeitig (ein Kunststück!) aufgepumpt wie ein zu schnell gebackenes Soufleé:
Dowideit schreibt von der Sperrung des Kanals #allesaufdentisch. Aber der Spiegel selbst hatte – nach Gesprächsversuchen mit Youtube – lediglich davon berichtet, dass ein Video gesperrt sei und es dem Kanal untersagt wurde, weitere Videos hochzuladen. Beim Spiegel heißt es schon im Intro:
„Nun darf der Kanal nach SPIEGEL-Informationen eine Woche lang keine neuen Videos hochladen.“
Dowideit schreibt dennoch schon im ersten Satz ihres Meinungsartikels bei „Welt“: „YouTube hat den Kanal von #allesaufdentisch gesperrt.“ Das würde selbst der Chefredakteurin einer Schülerzeitung um die Ohren fliegen, zu schnell ist hier 1:1 nebeneinandergelegt. Tragisch für die Autorin, peinlich für das große Haus, das dahinter steht. Hätte sie doch wenigstens den Unterschied zwischen Löschen und Sperren verstanden, später schreibt sie über „Entfernung solcher Inhalte“, also doch über Löschung? Herrje.
Aber damit sind wir erst bei der journalistischen Schlechtleistung angekommen. Zu den Hass- und Hetze-Ausbrüche von Anette Dowideit kommen wir jetzt. Mindestens eine Umlaufbahn fernab der aktuellen Debatten um Meinungsfreiheit und nicht nachvollziehbarer politisch motivierter Löschorgien bedauert die Autorin unbeeindruckt die armen Portale: Youtube und Co würden „vor der kniffligen Aufgabe“ stehen, wie nun zu löschen (oder sperren?) sei. Der Gesetzgeber würde sie seit 2017 mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz ganz alleinlassen.
Spätestens da greift man doch zum Taschentuch. Aber da ist Dowideit erst richtig in Fahrt gekommen. Es gäbe den Vorwurf, dass fehlende Löschbereitschaft – oder Sperrbereitschaft – sie weiß es ja selbst nicht, jedenfalls schreibt sie: „ … zum Superspreader für demokratiefeindliche Verschwörungen“ werden könnte.
Fazit der Autorin:
„Dass YouTube in diesem Fall so klare Haltung zeigt, ist richtig, denn: Gerade dann, wenn Falschmeldungen zu Corona unter dem Tarnmantel der legitimen Gegenmeinung daherkommen, bieten sie Zündstoff für Wut – die sich im schlimmsten Fall als Gewalt gegen Politiker entladen kann.“
Allerdings scheint die im Artikel gefeierte/geforderte Sanktionsbereitschaft bei der „Welt“ selbst zumindest in diesem konkreten Fall versagt zu haben. Denn unter dem Artikel fragt die Online-Ausgabe der Zeitung: „Teilen Sie die Meinung des Autors?“ – korrekter wäre hier „der Autorin“, aber darum geht es nicht. Es geht vielmehr um die Antworten. 98 Personen teilen die Auffassung (Stand 13.1., 9:12 Uhr) von Anette Dowideit, während 1826 Hater die Meinung der Autorin nicht teilen.
Und da der Artikel heute am Morgen gleich nach 9 Uhr hinter der Bezahlschranke verschwunden ist, lässt sich auch nicht mehr anhand abrufbarer älterer Versionen des Textes nachprüfen, ob sich am Text selbst von gestern auf heute etwas geändert hat.
Eines allerdings bietet Google tatsächlich seinen Kunden an: Wenn „Welt“-Artikel zunächst ohne Bezahlschranke veröffentlicht werden, muss man bei Google den besagten Link lediglich ohne Leerzeichen an einen bestimmten Link anhängen und bekommt die Erstversion ohne Bezahlschranke zum Gratislesen präsentiert, weiß beispielsweise maclife.
Das hat tatsächlich etwas Anarchistisches: Da jubelt also die Investigativreporterin der „Welt“ über die Löschorgien der sozialen Medien. Sie diffamiert die Meinungen Andersdenkender als unter einem „Tarnmantel der legitimen Gegenmeinung“ verborgen. Gleichzeitig lacht sich Google eins ins Fäustchen und bietet seinen Millionen deutschen Nutzern eine ganz offizielle Umgehungsstraße der „Welt“-Bezahlschranke. Allerdings: Auch ohne dafür zu bezahlen, wird der Artikel der „Top-Autorin“, wie die „Welt“ sie an einer Stelle nennt, leider nicht besser. Es lohnt also auch nicht für umme.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: Screenshot Video
Text: wal
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