Von Mario Martin
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach steht wieder einmal in der Kritik. Der Unions-Fraktionsvize Sepp Müller stellte unlängst der Regierung über das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Fragen hinsichtlich der Beschaffung und Aufbewahrung von Impfstoffen.
Die Antworten zeichnen ein übles Bild des Missmanagements bei der Beschaffung der Impfstoffe. Stellvertretend steht Karl Lauterbach (als Jens Spahns Nachfolger) als Bundeseinkäufer der Impfstoffe an erster Stelle für eine Regierung, die jedes budgetäre Maß vermissen lässt und den Herstellern astronomische Gewinne beschert. Biontech vermeldete jüngst einen Nettogewinn von mehr als 10,3 Milliarden Euro.
Deutschland hat bislang Verträge über die Lieferung von 554 Millionen Impfdosen abgeschlossen, was bei der derzeitigen Einwohnerzahl (83.129.000) 6,66 Dosen pro Person entspricht.
Zahlen seit Lauterbach unter Verschluss
Das Interesse an Aufklärung über die aktuellen Zahlen der Impfstoffe besteht überhaupt nur, da das BMG seit dem Amtsantritt Lauterbachs keine aktuellen Zahlen mehr zu vorrätigen Impfdosen und der geplanten Belieferung mit neuem Impfstoff veröffentlicht hat.
Die Zahlen zum Fortschritt der Impfkampagne sind weiterhin über das Impfdashboard abrufbar. Anhand des Graphen ist zu sehen, dass die Impfkampagne derzeit stagniert. Es werden kaum noch Impfungen durchgeführt. Im ersten Quartal waren es gerade einmal 16 Millionen verimpfte Booster-Impfungen.
Auf das Konto der alten Regierung gehen bis zum Ende letzten Jahres 554 Millionen bestellte Impfstoff-Dosen. Während die EU für ihren Megadeal mit Pfizer noch 15,50 Euro pro Schuss berappen musste, bestellte Karl Lauterbach im Dezember erneut 92 Millionen Impfdosen bei Biontech/Pfizer für 2,2 Milliarden Euro; also für 23,91 Euro pro Spritze.
Nun lag der von den Firmen ausgewiesene Listenpreis pro Dosis aber wesentlich niedriger. Lauterbach kaufte also viel zu teuer ein. Die Differenz zwischen Listenpreis (Biontech: 19,90 Euro) und der gezahlten Summe beträgt 369 Millionen Euro.
Lauterbach hatte Ende letzten Jahres Druck gemacht, die Dosen zu bestellen, da angeblich der Impfstoff ausginge. Wie sich später herausstellte, waren noch ausreichend Dosen vorhanden.
Lager laufen über – Haltbarkeit läuft ab
Wegen der zu viel bestellten Impfdosen in Verbindung mit der geringen Abnahme durch die Bundesbürger laufen die Lagerbestände also inzwischen über. Die oben angesprochene Anfrage, deren schriftliche Beantwortung dem Tagesspiegel Background (Paywall) vorliegt, deckt nun auf, dass die Impfdosen bald das Haltbarkeitsdatum überschreiten werden.
Aus der Anfrage geht hervor, dass im Januar noch 22,3 Millionen Moderna-Impfdosen auf Lager waren (was knapp 45 Millionen Booster-Dosen entspricht). Bis zum Ende des ersten Quartals wurden weitere 63,9 Millionen Moderna-Booster-Dosen geliefert, womit insgesamt 86,2 Millionen Moderna-Booster vorliegen. Zusätzlich kommen nochmal verfügbare 42,5 Millionen Biontech-Impfdosen, die im Januar geliefert wurden, was die Gesamtmenge auf 131,7 Millionen Impfdosen bringt.
Weiterhin teilte das BMG mit, dass „alle im Dezember 2021 an das zentrale Lager des Bundes gelieferten“ Biontech-Impfstoffe „eine Haltbarkeit von Mai und Juni 2022“ aufweisen. Die im Januar gelieferten Dosen verfallen im Juli und August und die Kinderimpfstoffe von Biontech im Juni und Juli.
Zur Erinnerung: Im ersten Quartal wurden 16 Millionen Dosen verimpft und es sieht noch so aus, als ob die Impfkampagne in absehbarer Zeit wieder anläuft. Würde die Impfpflicht ab 50 Jahren beschlossen (eine Impfpflicht ab 18 ist seit heute wohl vom Tisch), würde sie erst zum Herbst greifen. Bis dahin wären aber viele Impfdosen bereits über dem Haltbarkeitsdatum.
Anzahl vernichteter Dosen unbekannt
Müllers Anfrage legte weiterhin offen, dass seit Dezember keine Impfdosen mehr vernichtet wurden. Zumindest habe die Bundesregierung darüber keine Informationen. Anders ausgedrückt: Man weiß nicht darüber Bescheid, wie viele Impfdosen tatsächlich vernichtet werden, da die Beschaffung über den pharmazeutischen Großhandel und die Arztpraxen läuft, die inzwischen den Großteil der Impfungen durchführen.
Die „sachgemäße Handhabung“ der zentral beschafften Impfstoffe obliege „mit der Annahme des Impfstoffs […] dem pharmazeutischen Großhandel bzw. im Anschluss den Apotheken sowie Ärztinnen und Ärzten“, geht aus der Antwort des BMG hervor.
Bis zum Dezember wurden laut Angaben der Apotheker Zeitung 11.590 Impfdosen vernichtet. Wie viele Dosen tatsächlich vernichtet worden sind und angesichts der riesigen Bestände noch vernichtet werden müssen, wird wohl nur über weitere Regierungsanfragen zu ermitteln sein, die gestellt werden, wenn die Haltbarkeit der Dosen abgelaufen ist.
Geschenke über COVAX
Was will die Bundesregierung also mit dem verschmähten Impfstoff anfangen, bevor sie ihn vernichten muss? Aus der Anfrage geht hervor, dass bis Ende des Jahres 175 Millionen Impfstoff-Dosen größtenteils über die COVAX-Fazilität an andere Länder abgegeben werden sollen. Bislang seien 114,1 Millionen Dosen gespendet worden.
Das macht 289,1 Millionen verschenkte Impfdosen bis Ende des Jahres. Legen wir einen hypothetischen Durchschnittspreis von 18 Euro pro Dose zugrunde, dann wird die Regierung bis Ende des Jahres 5,2 Milliarden Euro an Impfstoff verschenkt haben.
Da davon auszugehen ist, dass die Bundesregierung den Fortlauf der Impfkampagne zu positiv eingeschätzt, liegt der Wert vermutlich noch höher. Das Ausmaß der Verschwendung erreicht damit zwar noch nicht die Misswirtschaft im Bereich Corona-Tests, aber schlägt ebenfalls mit rund einem Prozent des Bundeshaushalts (Gesamtvolumen 547,7 Milliarden Euro) zu Buche.
Vierte Impfung soll Lagerbestände abbauen
Da Lauterbach bewusst ist, dass er über COVAX keine Abnehmer für die zu viel bestellten Impfstoffe findet, da auch die anderen Länder die Impfstoffe nicht haben wollen, klagt er: „Somit müssen wir befürchten, dass in Europa Impfstoff vernichtet werden muss.” Es wäre tragisch, wenn über 60-Jährige ihre Chance auf eine zweite Boosterimpfung nicht wahrnähmen, so Lauterbach weiter.
Er mahnt nun zur vierten Impfung für über 60-Jährige. Die Senioren sollen also nun herhalten, um die überlaufenden Lager als Abnehmer der ungewollten Impfstoffe zu leeren.
Man wolle innerhalb kürzester Zeit auf Basis wissenschaftlicher Expertise eine Empfehlung der EU-Kommission zur vierten Impfung erarbeiten, so Lauterbach am Dienstag nach einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel.
Menschen über 60 sollen dann also mit ihrer vierten Impfung über den Sommer kommen, die nicht auf die aktuelle Variante des Virus abgestimmt ist und daher bereits nach wenigen Monaten ihre Wirkung verliert und die Ansteckungsgefahr sogar erhöht. Im Herbst wartet dann schon der an die Omikron-Variante angepasste Impfstoff, der mit der fünften Dosis verabreicht werden könnte.
Wenn Lauterbach bis dahin noch im Amt ist, dann ist wohl klar, was die Impfstoffhersteller zu erwarten haben: Mehr Bestellungen aus Deutschland. Veranlasst von einem Gesundheitsminister, der die Finanzen der Bundesrepublik mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln schröpft, wo er nur kann. Unterstützt von einem Finanzminister Lindner, der dieser perversen Verschwendung nicht nur zusieht, sondern Lauterbach nun über einen Ergänzungshaushalt (zum ohnehin schon mit über 100 Mrd. Euro neuen Schulden finanzierten regulären Bundeshaushalt) neue Mittel in Aussicht stellt.
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Mario Martin ist Ökonom und arbeitet als Software-Projektmanager in Berlin.
Bild: ShutterstockText: mm