Von Kai Rebmann
Im Sommer 2020 einigte sich die Lufthansa mit einigen Gewerkschaften auf einen Krisentarifvertrag, um die Folgen der Corona-Pandemie sowohl für den Konzern als auch das Personal abzumildern. Zu den ersten Gewerkschaften, mit denen die Lufthansa einen Abschluss erzielen konnte, gehörte damals die UFO (Unabhängige Flugbegleiter Organisation), die insbesondere die Interessen des Kabinenpersonals vertritt. Während die Lufthansa mit einem aus Steuergeldern finanzierten Wirtschaftsstabilisierungsfond in Höhe von insgesamt knapp neun Milliarden Euro vor dem Aus gerettet werden konnte, arbeiten zahlreiche Flugbegleiter der Kranich-Airline auch heute noch am Existenzminimum. Aus der Kabine der größten deutschen Fluggesellschaft erreichte uns jetzt ein alarmierender Hilferuf, der sich nicht nur gegen die im Krisentarifvertrag festgehaltenen Kürzungen richtet, sondern auch von teilweise katastrophalen Arbeitsbedingungen bei der Lufthansa berichtet. Der Informant, dessen Name der Redaktion bekannt ist, ist eigenen Angaben zufolge in einem sogenannten saisonalen Arbeitsverhältnis (SMK), bei dem im Sommer mehr und im Winter weniger geflogen wird. Im Zuge des Krisentarifvertrags, der noch bis zum 31.12.2023 Gültigkeit besitzt, mussten die Flugbegleiter unter anderem auf 7,14 Prozent ihres Gehalts verzichten. Schon vor Corona verdienten die im SMK-Modell beschäftigten Flugbegleiter bei der Lufthansa deutlich weniger als der Rest der Belegschaft, wie Verdi im November 2019 mitteilte.
Neben einer Verringerung der Brutto-Grundvergütung um 7,14 Prozent sehe der Krisentarifvertrag zwischen Lufthansa und UFO auch eine Absenkung der Flugstunden sowie eine Mehrflugstundenvergütung erst ab der 68. Flugstunde vor, wie der Informant berichtet. Darüber hinaus seien Beschäftigten, die das Unternehmen verlassen wollen, Abfindungsmodelle angeboten worden. Im Gegenzug habe es von der Lufthansa die Garantie gegeben, während der Laufzeit des Krisentarifvertrags auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Viele seiner Kollegen hätten dem Krisentarifvertrag im Sommer 2020 nur aus Angst um ihren Job zugestimmt, da die Lufthansa ansonsten nicht mehr benötigte Mitarbeiter wohl nach einem Sozialplan gekündigt hätte. Bis zum März 2022 seien alle Lufthansa-Mitarbeiter der Kabine und des Cockpits in Kurzarbeit gewesen. Nachdem die Inflation in Deutschland inzwischen auf über sieben Prozent angestiegen ist, arbeiten unserem Informanten zufolge viele Flugbegleiter der Lufthansa am Existenzminimum und es stehe zu befürchten, dass diese „sich den Job bald nicht mehr leisten können“. Das finde er schade, da es für ihn und viele seiner Kollegen grundsätzlich ein „Traumberuf“ sei. Er wisse von Kollegen, die daher in bis zu drei Nebenjobs arbeiten oder zusätzlich Hartz IV beantragen müssen, um finanziell über die Runden zu kommen. Der Flugbegleiter habe „es nie für möglich gehalten, in einem großen deutschen Traditionsunternehmen am Existenzminimum zu arbeiten“.
Flugbegleiter mussten in der Economy Class schlafen
Da Fluggesellschaften nicht nur mit dem Transport von Menschen Geld verdienen, sondern auch mit Frachtflügen, ließ sich die Lufthansa eine besonders kreative Lösung einfallen, die allerdings schwer zu Lasten der Flugbegleiter ging. In den auf dem Flughafen Frankfurt stationierten Airbus-Modellen A330 und A340 hat die Lufthansa die mobilen Crew Rests (Schlafplätze des Kabinenpersonals) ausgebaut, um mehr Platz für zusätzliche Fracht zu erhalten. Auf Langstreckenflügen mussten die Flugbegleiter dann im hinteren Bereich der Economy Class schlafen. Auch wenn die dafür vorgesehenen Sitzreihen notdürftig mit Vorhängen abgedeckt wurden, sei es unserem Informanten zufolge nicht ausgeblieben, dass die schlafsuchenden Flugbegleiter von den Passagieren geweckt worden sind. Natürlich sei ihm bewusst, dass gerade während der vergangenen beiden Jahre „jeder sein Päckchen zu tragen“ hatte, betont der Flugbegleiter. Dennoch habe das SMK-Modell schon vor Corona nicht richtig funktioniert. Die Flugbegleiter seien kaum in die Mehrflugstunden (Überstunden) gekommen, um mehr Geld verdienen und etwas für den Winter zurücklegen zu können.
Doch fehlende wirtschaftliche Perspektiven und mangelhaft ausgestattete bzw. abgeschirmte Schlafplätze sind längst noch nicht alles, was die Flugbegleiter der Lufthansa zuletzt über sich ergehen lassen mussten und teilweise immer noch müssen. Die Lufthansa hat die konzerneigene Catering-Tochter LSG Sky Chefs im Dezember 2019 an Gate Gourmet verkauft, eine Investorengruppe aus Hongkong. Nachdem es dort zu Personalengpässen gekommen ist, wurden die Flugbegleiter von der Lufthansa „angehalten“, auch beim Verladen der „sogenannten Trolleys und Einschübe in die hintere Galley (Bordküche)“ mitzuhelfen. Man habe ihnen mitgeteilt, dass etwaige Arbeitsunfälle durch die Berufsgenossenschaft abgedeckt seien und so hätten die Flugbegleiter die Anweisungen aus dem Cockpit in der Regel befolgt, wie uns der Informant mitteilt. Er habe Verständnis für die Kapitäne, da diese ihre Flugpläne einhalten und insbesondere auf den Flügen der Kurz- und Mittelstrecke keine unnötigen Verspätungen riskieren wollten.
Hohes Frustpotenzial bei Mitarbeitern und Passagieren
Dass sich an den unbefriedigenden Arbeitsbedingungen der Flugbegleiter bei der Lufthansa bald etwas ändert, glaubt unser Mann aus der Kabine nicht. Er habe die Erfahrung gemacht: „Wer einmal nimmt, gibt auch nicht so schnell wieder her.“ Viele seiner Kollegen würden sich stattdessen fragen, „wie weit wird die Lufthansa da noch gehen“. Der Frust innerhalb der Belegschaft, aber auch bei den Passagieren, die nicht bekämen, wofür sie bezahlt haben, werde immer größer. Als Beispiele führte unser Flugbegleiter an, dass Beschwerden von Passagieren über verloren gegangenes Gepäck aufgrund von Personalengpässen teilweise monatelang nicht bearbeitet würden, im vergangenen Jahr die kostenlose Verpflegung auf innereuropäischen Flügen gestrichen wurde und bei einigen Flügen auch keine Getränke und Speisen gekauft werden können. Letzteres liege einmal mehr an den Personalengpässen beim verantwortlichen Caterer Gate Gourmet.
Nachdem der Flugbegleiter und seine Kollegen die Hoffnung aufgegeben haben, sich bei der Konzernspitze der Lufthansa oder durch Demonstrationen wie am gestrigen Montag auf dem Flughafen in Frankfurt ausreichend Gehör verschaffen zu können, sah sich unser Informant dazu gezwungen, sich über unser Portal an die Öffentlichkeit zu wenden. Und tatsächlich drängt sich die Frage auf, wofür die Lufthansa die neun Milliarden Euro aus dem steuerfinanzierten Wirtschaftsstabilisierungsfond verwendet, wenn sie an allen Ecken und Enden am Personal und damit am Service spart. Im ersten Quartal 2022 konnte die Lufthansa zwar einen Umsatz in Höhe von 5,4 Milliarden Euro erzielen, hat dabei aber trotzdem einen Verlust von 584 Millionen Euro eingeflogen. Düstere Aussichten also für die nach dem SMK-Modell beschäftigten Geringverdiener in der Kabine. Denn der bis 31.12.2023 geltende Krisentarifvertrag endet nur dann vorzeitig, wenn die Lufthansa einen Gewinn erwirtschaftet oder eine Dividende an ihre Aktionäre ausschüttet.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: Markus Mainka / ShutterstockText: kr
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