Offener Antisemitismus auf der Documenta Zentralrat der Juden sieht bei Kunstfreiheit rote Linie überschritten

Von Kai Rebmann.

Die Documenta gilt als weltweit wichtigste Ausstellung für zeitgenössische Kunst und findet derzeit in Kassel statt. Schon am Tag nach der offiziellen Eröffnung der 15. Auflage hat ein Gemälde mit offen antisemitischen Motiven für einen Skandal gesorgt. Das Kunstwerk mit dem Titel „People’s Justice“ wurde am Friedrichsplatz in Kassel enthüllt und zeigt unter anderem einen Soldaten mit Schweinegesicht, der ein Halstuch mit dem Davidstern sowie einen Helm mit der Aufschrift „Mossad“ trägt. Mossad ist die gängige Bezeichnung für den israelischen Geheimdienst, der Davidstern ist das Symbol des Judentums und des Volkes Israel. Einen weiteren Hinweis auf „antisemitische Bildsprache“ sieht das American Jewish Commitee Berlin (AJC) in der Darstellung eines orthodoxen Juden „mit Schläfenlocken und einer Kippa, monströsen Gesichtszügen und SS-Rune“. Hinter dem umstrittenen Werk steht das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi.

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Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Das AJC kritisiert in einer Pressemitteilung aber noch ein weiteres Kunstwerk, das in der medialen Berichterstattung bisher kaum Beachtung fand. „An anderer Stelle betreibt der Künstler Mohammed Al Hawajri eine antisemitische Täter-Opfer-Umkehr, indem er mit seiner Serie „Guernica Gaza“ die Luftangriffe Nazi-Deutschlands auf die spanische Stadt Guernica 1937 mit der Terrorbekämpfung der israelischen Luftwaffe gegen Ziele der islamistischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen gleichsetzt“, befindet die Organisation. Angesichts dieser antisemitischen Vorfälle fordert das AJC, dass die Documenta-Chefin Dr. Sabine Schormann umgehend von ihren Aufgaben entbunden wird. Es habe im Vorfeld unzählige Beteuerungen gegeben, dass die Documenta Antisemitismus und Judenhass keinen Raum bieten werde und nun sei genau das eingetreten.

Aber auch von Claudia Roth (Grüne), der Kulturbeauftragten der Bundesregierung, fordert das AJC persönliche Konsequenzen: „Wir erwarten von ihr eine umgehende und ausführliche Stellungnahme, wie es trotz der vorangegangenen Debatten zu diesem unverhohlenen Antisemitismus kommen konnte. Eine erneute Einberufung von Expertenkreisen oder Kommissionen erachten wir angesichts des derart offensichtlichen Antisemitismus für obsolet. Die politischen Verantwortlichen müssen sich erklären und unverzüglich die entsprechenden Konsequenzen ziehen“.

Politiker und Organisatoren flüchten sich in hohle Phrasen

Neben Claudia Roth fühlte sich offenbar auch Hessens Kunstministerin Angela Dorn-Rancke (Grüne) angesprochen, die in Personalunion auch das Amt der stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Documenta ausübt. In einer erstaunlich unkreativen Stellungnahme versuchten sich die beiden Grünen von der Kritik, die sich nicht zuletzt gegen sie selbst richtete, zu distanzierten und wiederholten dabei jeweils den schon vom AJC verwendeten Begriff der „antisemitischen Bildsprache“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte in seiner Eröffnungsrede noch darauf hingewiesen, dass die Kunstfreiheit dort ihre Grenzen habe, wo das Existenzrecht Israels in Frage gestellt werde und in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Verantwortung der Documenta-Leitung betont. Die Worte des Staatsoberhaupts müssen in den Ohren von Juden nach dem Antisemitismus-Skandal wie blanker Hohn klingen.

Und auch Dr. Sabine Schormann will von einem Rücktritt nichts wissen. Die Geschäftsleitung sei „keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur Prüfung vorlegen lassen kann und darf das auch nicht sein“, ließ die Documenta-Chefin per Pressemitteilung wissen. Dabei verschweigt Schormann allerdings, dass die während der Ausstellung gezeigten Kunstwerke eben doch vorab in Augenschein genommen werden. In den Tagen vor der Eröffnung fand auch in diesem Jahr die obligatorische Führung von Pressevertretern durch die Ausstellung statt, die am vergangenen Samstag eröffnet wurde. Warum die antisemitischen Kunstwerke dabei niemandem aufgefallen sind? Ganz einfach, das Gemälde „People’s Justice“ wurde erst im Laufe des späten Freitagnachmittags am Friedrichsplatz installiert. Angeblich, so die Documenta-Chefin, weil an der 20 Jahre alten Arbeit noch „restauratorische Maßnahmen“ vorgenommen werden mussten. Wen will Schormann mit einer derart fadenscheinigen Begründung eigentlich für dumm verkaufen? Man könnte gerade meinen, Taring Padi habe erst vorgestern vom Beginn der Documenta erfahren. Aber immerhin konnten die „restauratorischen Maßnahmen“ gerade noch rechtzeitig zur Eröffnung der Ausstellung zum Abschluss gebracht werden – eine echte Punktlandung sozusagen.

Documenta und Künstlerkollektiv lenken widerwillig ein

Auch der Zentralrat der Juden warf der Documenta-Leitung Versagen vor. Die Vorfälle auf der Ausstellung zeigten, „dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus auf Seiten der Documenta nicht stattgefunden hat“, kritisierte die Organisation in einer Pressemitteilung. Dr. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, wird darin wie folgt zitiert: „Für seine Bedenken gegenüber der diesjährigen Documenta wurde der Zentralrat der Juden von vielen Seiten kritisiert. Sogar Rassismus wurde uns indirekt vorgeworfen. Es spielt jedoch keine Rolle, woher Künstler stammen, die Antisemitismus verbreiten. Kunstfreiheit endet dort, wo Menschenfeindlichkeit beginnt. Auf der Documenta wurde diese rote Linie überschritten. Die Verantwortlichen der Documenta müssen jetzt ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und Konsequenzen ziehen“.

Nachdem auch der mediale Druck am Wochenende immer größer geworden war, „haben wir beschlossen, das Banner zu verdecken“, erklärte Schormann am Montag. Man werde darüber hinaus noch eine „externe Expertise“ einholen. Die Künstler von Taring Padi drückten in einer Stellungnahme ihr Bedauern darüber aus, „dass die Arbeit, die in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird, nun abgedeckt wird.“ Das Werk werde so „zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment“, glauben die Indonesier. Wenig plausibel erscheinen auch die Erklärungsversuche zu der Aussage, die die Künstler mit ihrem Werk treffen wollten. Das Banner sei „Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt, die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt“, so Taring Padi. Was aber die Abbildung eines Davidsterns und der Hinweis auf den israelischen Geheimdienst damit zu tun haben, konnten oder wollten die Indonesier nicht verraten.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Shawn Goldberg / Shutterstock
Text: kr

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