So bitter es ist, sich das einzugestehen: Immer öfter hadere ich mit meinen Landsleuten. Nein, nicht mit allen. Aber mit einem Teil, der in meinen Augen wenig aus der Geschichte gelernt hat und einen Fanatismus an den Tag legt, der Angst macht. Beim Thema Corona und Masken haben wir das ganz dramatisch erlebt. Auch beim Klimaschutz ist es mitzuverfolgen. Und nun kommt es bei einem artverwandten Thema – beim Energiesparen. Nachdem viele bei Corona einen fast schon religiös anmutenden Eifer an den Tag legten, erreicht der Fanatismus nun die Körperpflege – das Duschen. Etwas, was ich bisher immer für einen Teil des besonders geschützten Bereichs eines jeden Menschen hielt – gehört es doch zur Intimsphäre. Aber – mitnichten!
Das musste jetzt auch der pensionierte Bergmann Heinz Mattner im hohen Alter von 95 Jahren erleben, wie die „Bild“ berichtet: Er wohnt in einem Genossenschaftsbau im Sächsischen in Dippoldiswalde. Warmes Wasser gibt es dort jetzt nur noch von 5 bis 22 Uhr: „Nachts ist es bibberkalt. Grund für die Rationierung: Energiesparmaßnahmen!“ Der Rentner klagt: „So schlimm war es nur nach dem Zweiten Weltkrieg. Was sollen Schichtarbeiter machen, die nachts von Arbeit kommen?“ Dabei hat er noch Glück. In 600 anderen Genossenschaftswohnungen fließt dem Blatt zufolge warmes Wasser nur noch zwischen 4 und 8, 11 und 13 sowie 17 und 21 Uhr: Waschen nur nach Stundenplan!
Radikale Stimmen wie das Internetportal mit dem passenden Namen „Utopia.de“ (das muss man sich erst mal ausdenken) erklären bereits, „Warum wir mehr Duschscham brauchen“: „Gaskrise, Klimakrise und Inflation: Es ist eine selten angespannte Situation, in der wir uns im Moment befinden. Die logische Konsequenz aus allen drei Krisen ist aber dieselbe: Energie sparen. Wenn’s sein muss darf das auch zu „Duschscham“ führen – auch wenn es nicht allen passt.“ Vielleicht muss man künftig in den Öffentlichen Verkehrsmitteln neben Maske auch noch eine Wäscheklammer tragen – auf der Nase.
„Die Dusche wird politisch“, schreibt das Portal – bei älteren Lesern mit Sozialismus-Erfahrungen kommen da sicher Erinnerungen hoch (wobei man der DDR Unrecht tut, wenn man annimmt, sie habe sich in die Duschgewohnheiten ihrer Bewohner eingemischt). Zweifel lässt das Portal nicht zu – wie es sich für Ideologen gehört: „Einen vernünftigen Zweifel daran, dass Energiesparmaßnahmen dringend notwendig und unvermeidlich sind, kann es eigentlich nicht geben. Aber Vernunft kann man den Herren, die sich nun über Kurzduscher:innen ärgern, vielleicht auch gar nicht unbedingt vorwerfen.“ Weiter geht es wie im Lehrbuch des Sozialismus: „Aber positiv umgedeutet könnte die neue Duschscham helfen, ins Bewusstsein jedes und jeder Einzelnen dringen zu lassen, dass es gesamtgesellschaftliche Anstrengungen braucht, wenn wir alle halbwegs gut durch den kommenden Winter kommen wollen.“
Alles nur radikale Außenseitermeinungen? Mitnichten. Die Politik gibt den entsprechenden Ton vor. Und das Echo ist breit. Matthias Gaede, einst Chef von „Geo“, meint, ein wenig Duschscham täte gar nicht weh, sondern könnte „ein Beitrag zu einer gesamtgesellschaftliche(n) Geste der Vernunft und Solidarität sein“.
Wie wäre es mit Wiederanschalten bzw. Nicht-Abschalten von Atomkraftwerken – wo wir deren Wegfall doch eh mit Importstrom aus ausländischen Atommeilern kompensieren? Entschuldigung, ich weiß, das ist Ketzerei. Lieber die neuen Wahrheiten „ins Bewusstsein jedes und jeder Einzelnen dringen zu lassen“.
Duscher sind schließlich böse Menschen. Das erfährt man in der „Welt“: „Früher war eine ausgiebige Dusche der perfekte Start in den Tag. Heute gewinnt die Non-Bathing-Bewegung an Einfluss – sie hält Duschen für narzisstisch und umweltschädlich.“
Bin ich jetzt Narzzist, weil ich mich gewöhnlich jeden Tag – kurz – dusche? Ich hielt das bisher immer auch für eine Form der Rücksichtnahme und Höflichkeit gegenüber meinen Mitmenschen bzw. deren Nasen.
Die „Welt“ zitiert den Arzt und Bestsellerautor James Hamblin, der beklagte, dass „in der Werbung und in Filmen“ so häufig Menschen gezeigt würden, „die sich am ganzen Körper einseifen, als wären sie ein Auto in der Waschanlage“: Der US-Amerikaner mahnt: „Man verbringt dann mehr Zeit als nötig unter der Dusche, verbraucht mehr Wasser als nötig, kauft Produkte, deren Inhaltsstoffe mehrmals um die halbe Welt transportiert und dann in Plastikflaschen abgefüllt wurden.“
Deshalb diagnostiziert Hamblin laut „Welt“ im Sinne „der amerikanischen Non-Bathing-Bewegung ein narzistisches Verhältnis von Gewohnheitsduschern zu ihrem Körper. Dessen Regenerationsfähigkeit werde durch die Verwendung von zu viel heißem Wasser und Seife ebenso geschädigt wie das Klima. Non-Bathing-Anhänger lehnen das tägliche Duschen aus Gründen des Gesundheits- und Umweltschutzes ab.“
Da passt es, dass Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstin ankündigte, Hamburg könnte das Warmwasser rationieren – im Notfall solle es „nur zu bestimmten Tageszeiten“ verfügbar sein. Wie jetzt schon in der Baugenossenschaft in Sachsen. Der Reeder-Sohn Kerstan, der dreimal im Jahr zu seiner Finca auf Mallorca fliegt und neben dieser noch ein Eigenheim in der Hansestadt sein eigen nennt, fordert zudem einen Verzicht aufs Auto und ein Bauverbot für Einfamilienhäuser.
Früher machten Politiker Politik.
Heute erziehen sie die Bürger.
Text: br