Für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gibt es Gleiche und Gleichere. Die Gleicheren sind die Journalisten, die einem privaten Verein, der „Justizpressekonferenz“, angehören, und die Urteile des obersten deutschen Gerichts schon vorab erhalten – in der Regel einen Tag früher als der normalsterbliche und ganz gewöhnliche Journalisten. Die AfD hat deshalb vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe gegen das Bundesverfassungsgericht geklagt, wie ich bereits berichtete. Das Gericht wies die Klage zurück. Unter dem Beifall der Mainstream-Presse, etwa der Welt, in der zu lesen war: „Gut so.“
Und jetzt das: Wie die AfD hegt jetzt auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten deutliche Zweifel an der Praxis des Gerichts, die dessen Präsident, Merkel-Intimus Stephan Harbarth, vehement verteidigt, wie die „Bild“ berichtet.
Der Dienst schreibt: „In diesem Zusammenhang erscheint jedenfalls die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Pressemitteilungen nur einem exklusiven Kreis an Journalisten zur Verfügung zu stellen, für die benachteiligten Journalisten besonders schwerwiegend, zumal das Bundesverfassungsgericht bei der beabsichtigten Gewährleistung der Professionalität auf die Einschätzung eines privaten Vereins vertraut.“ Der Hintergrund: Der Verein entscheidet, wer Mitglied sein und bleiben darf. Wohin das führen kann, war bei meinem Ausschluss aus der Bundespressekonferenz sichtbar – die vergleichbar ist mit der „Justizpressekonferenz“.
Karlsruhe begründet die Doppelstandards seiner Pressearbeit mit der „Professionalität“ dieses ausgewählten Kreises, so die „Bild“. Die Vorab-Informationen ermöglichten es, „Entscheidungen des Gerichts im Rahmen der Berichterstattung besser inhaltlich zu erfassen und (…) einzuordnen“, hieß es in dem Beschluss der Karlsruher Verwaltungsrichter, die ihre Kollegen vom höchsten Gericht in Schutz nahmen.
Doch das Bundestags-Gutachten zweifelt das Kriterium der „Professionalität“ an, es sei „kein formales, meinungsneutrales Kriterium“, wie die „Bild“ schreibt. Und es sieht „einen informationellen Nachteil“ für andere Journalisten, der „auch von wirtschaftlicher Bedeutung“ sei.
Erschwerend kommt hinzu, dass fast die Hälfte der bevorzugten Journalisten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk tätig ist. Wäscht hier eine Hand die andere? Denn schließlich trifft das Bundesverfassungsgericht weitreichende Entscheidungen für die Gebührensender. Zuletzt wies es im August 2021 Anträge gegen die Erhöhung des Rundfunkbeitrags zurück. „Wie viel Kritik am Bundesverfassungsgericht kann man von ihnen erwarten, wenn das BVerfG ihre Finanzgrundlage sichert und ihnen Vorteile bei der Recherche gewährt?“, fragte die „Bild“ völlig zu Recht.
Mit dem neuen Gutachten steige der Druck auf Harbarth wegen seines ungleichen Umgangs mit Medienvertretern, schreibt das Blatt: „Denn bei kritischen Journalisten-Anfragen antwortet das BVerfG mitunter überhaupt nicht – um dann in Verfahren presserechtliche Informationsansprüche mit sehr teuren Anwälten auf Steuerzahler-Kosten mit mäßigem Erfolg zu bekämpfen.“
In dem Gutachten wird auch auf einen Präzedenzfall verwiesen: Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Das entschied, dass Mitglieder der Landespressekonferenz in Baden-Württemberg keine exklusiven Pressemitteilungen bekommen dürfen, die anderen Journalisten vorenthalten werden.
In meinen Augen sollte man noch einen Schritt weiter gehen: Solange die Bundespressekonferenz eine Art „Vorsortierung“ vornimmt und kritische Journalisten entweder nicht zulässt wie Henryk Broder von der „Achse des Guten“ oder Mitarbeiter von „Tichys Einblick“ und „Nachdenkseiten“, oder sie ausschließt wie mich, ist es ein Hohn auf die Pressefreiheit, dass die Bundesregierung ausgerechnet diesem willfährigen Verein von Hofjournalisten das Recht auf exklusive Regierungspressekonferenzen gibt. Dass nicht einmal die Opposition diesen Skandal aufgreift, zeigt, wie wichtige Grundregeln der Demokratie heute ohne jegliche Folgen und größere Kritik außer Kraft gesetzt werden können.
Bild: IMAGO / Markus Heine