Hand aufs Herz: Haben Sie es nicht auch satt, ständig negative Nachrichten zu lesen? Bei denen man denkt, es seien „Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“? Was sie aber leider nicht sind – denn es sind reale Neuigkeiten aus Deutschland. Ich möchte Ihnen ein Kontrastprogramm bieten, aus meiner Zeit in Russland. Zum Entspannen und Schmunzeln. Voilà:
Früher dachte ich, es läge an ungesundem Misstrauen und einer Portion übertriebener Skepsis, dass ich nie großes Vertrauen hatte in die Fahrkünste meines Freundes Wlad, wie ich ihn der Diskretion zuliebe hier nennen will. So virtuos Wlad, ein exzellenter Kameramann, alle Fragen des Blickwinkels und der Beleuchtung beherrscht, so wenig ruhmreich waren seine Erfahrungen am Steuer. Die Freude an seinem ersten Auto währte nur wenige Stunden – weil er es sodann derart heftig mit einem anderen Wagen bekannt machte, dass eine mehrtägige, grundlegende Reparatur notwendig war. Auch das Wiedersehen war nicht von Dauer – die nächste „Avaria“, so das russische Wort für Unfall, folgte auf dem Fuße.
In fast schon sträflicher Naivität dachte ich, Wlad sei einfach mehr zum Drehen von Filmen geboren als zum Führen von Kraftfahrzeugen. Bis er sich vergangene Woche ein Herz fasste und mich, nach fast anderthalb Jahrzehnten Freundschaft, einweihte in die geradezu tragikomische Beziehungsgeschichte, die hinter seinem nicht immer vorbildlichen Umgang mit des Menschen bestem Freund, dem Automobil, steckt. Wlad ist ordnungsliebender als die meisten Deutschen, die ich kenne, und so stellte sich heraus, dass es eigentlich eine ganz normale Beziehung hätte werden sollen, jedenfalls hatte Wlad ernsthafte Absichten, er wollte alles auf eine solide Grundlage stellen, und nicht nur einen flüchtigen Kontakt. So schrieb er sich in einer Fahrschule ein und hoffte, in die Geheimnisse des Moskauer Asphalt-Dschungels eingeweiht zu werden.
Unterricht im feuchten Keller
Schon der Theorie-Unterricht stellte die hehren Absichten von Wlad auf eine harte Probe. „Das war in irgendeinem Keller, da waren sogar Pfützen, und da saß ein alter Mann und las einfach monoton aus der Straßenverkehrsordnung vor.“ Wlad ist ein geduldiger Mensch, und so saß er in dem unterirdischen Biotop zwei Unterrichtsstunden ab – bevor er zu dem Schluss kam, dass er die Straßenverkehrsordnung auch selbst lesen kann, unter weitaus trockeneren Klimabedingungen, zuhause auf dem Sofa.
Dabei erschien der Unterricht im feuchten Keller noch geradezu wie Urlaub auf Hawaii im Vergleich zu den Nervenstrapazen, die das Schicksal Wlad auf dem Weg zum Führerschein als nächstes auferlegte: Als er das erste Mal jenen Kasten sah, der aus Metallstücken der unterschiedlichsten Farben zusammengeschweißt schien und sich als sein Fahrschul-Lada erwies, wäre ihm die Lust auf das Fahren fast für immer vergangen. So hatte es denn auch vielleicht seine guten Seiten, dass Wlad eine intimere Bekanntschaft mit diesem Lada erspart blieb: „Der Fahrlehrer kam entweder immer so spät, dass ich schon weiter musste oder schon der nächste Schüler dran war, oder er rief kurz vor der Stunde an und sagte, er habe entweder keine Zeit oder es sei wieder irgend ein Teil von seiner Karre weggebrochen und sie sei nicht fahrtüchtig.
„ Obwohl Wlad quasi „all inclusive“ gebucht hatte und die gesamte Fahrschule vorab komplett bezahlt hatte, deutete der „Instruktor“ – auf deutsch Fahrlehrer – bei den wenigen Treffen, die sie hatten, an, es wäre dem Lerneffekt sehr zuträglich, wenn Wlad noch einmal in die Tasche greifen würde. Der Mann erwies sich als weitaus talentierter in finanziellen Dingen denn in den Künsten des Fahrunterrichts. Und so war es nach drei, vier Stunden der Höhepunkt von Wlads frischgebackenen Fahrkünsten, dass er sich mehr oder weniger sicher vom Platz bewegen konnte, ohne den Motor brutal abzuwürgen. In einem dieser Momente des erbitterten Kampfes mit Kupplung, Gaspedal und Gangschaltung eröffnete der Fahrlehrer Wlad dann ganz neue Horizonte: „Er sagte, eine Mitschülerin, die genauso weit sei wie ich, mache diese Woche schon die Prüfung, und werde sie auch garantiert ablegen, alles sei weniger eine Frage des Schweißes als des Preises.“ Wlad fragte mehrmals dezent nach. Doch er hatte sich nicht verhört. Er habe zuverlässige Verbindungen zur Verkehrspolizei, die in Russland die Prüfung abnimmt, sagte der „Instruktor“.
'Wir fahren los
Nach diskreter Übergabe eines dreistelligen Dollar-Betrags bekam Wlad die Vorladung zur Führerschein-Prüfung – nach einer kleinen Panne, denn die Fahrschul-Verwaltung forderte noch ein eigenes Bakschisch für die benötigten Stempel. Brav fand sich Wlad dann um 10 Uhr morgens am vereinbarten Prüfungsort ein. Er stieß dort zwar auf ein Dutzend Leidensgenossen, nur von der Verkehrspolizei war niemand zu sehen. Ein menschliches Bedürfnis stürzte Wlad in größte Gewissensnöte, weil er einerseits dringend ein Örtchen aufsuchen musste, andererseits aber Angst hatte, eben dadurch seine Schicksalsstunde zu verpassen. Gegen 11 Uhr konnte Wlad dem Bedürfnis nicht mehr widerstehen und rannte eilig davon, offenbar wenige Sekunden, bevor nach einstündiger Wartezeit das Auge des Gesetzes zur Ausübung seiner Dienstpflichten an Ort und Stelle erschien. Jedenfalls hatte der „Inspektor“ seinen Namen bereits mehrmals ausgerufen und war gerade dabei, ihn von der Liste zu streichen, als Wlad zurückkam.
Obwohl soeben noch erleichtert, geriet Wlad nun sofort in den gegenteiligen Gemütszustand: In Ermangelung von Fahrstunden und jeglicher Prüfungsvorbereitung hatte er gehofft, zuerst den anderen Leidensgenossen zusehen und ihnen alles abschauen zu können. Dass nun ausgerechnet er als erster antreten sollte, ließ Wlad trotz Vorkasse das Herz auf Pedalhöhe rutschen. Der „Inspektor“ war ein kräftiger Mann, bei dessen Anblick man intuitiv verstand, dass der Fleischmangel in Russland seit einem Jahrzehnt der Vergangenheit angehörte, und allenfalls noch an Rasierklingen ein gewisser Mangel herrschen könnte. Die Uniform um ihn herum musste eine erstaunliche Dehnbarkeit aufweisen, und er selbst hatte offenbar die Anlagen eines Fakirs, denn nur so war zu erklären, wie er auf der Rücksitzbank eines engen Ladas nicht nur Platz gefunden hatte, sondern auch noch in tiefem Bass Kommandos erteilen konnte.
„Wir fahren los“, tönte es von hinten. Für Wlad keine einfache Aufgabe, war der Inspektor doch in einem anderen Modell vorgefahren, als dem, das Wlad aus der Fahrschule kannte. Und so scheiterte er schon an der ersten Aufgabe: dem Einstecken den Zündschlüssels. Die sind nämlich bei den älteren Ladas links vom Lenkrad einzustecken (offenbar aus Sorge um die Gesundheit des Fahrers, um ihm eine Art Morgengymnastik oder Dehnübung zu bescheren), während sie bei den neuen Ladas in westlicher Manier rechts vom Lenkrad zu finden sind. Der Inspektor erwies sich als Mann mit breiter Seele: „Wir stecken rechts ein“, tönte es fast schon väterlich von der Rücksitzbank.
Doch damit nicht genug. Auch mit der Gangschaltung des neuen Ladas kam Wlad nicht zurecht. Und in der Aufregung unterlief ihm auch noch ein folgenschwerer Fauxpas. Ganz auf die Milde des Auges des Gesetzes hinter ihm schielend, schüttete Wlad sein Herz aus und erklärte die ganze Misslichkeit der Lage – nannte dabei aber das falsche Lada-Model. „Dann ist alles wie gewohnt, hier funktioniert die Gangschaltung ganz so, wie Sie es von Ihrem Lada-Model gewohnt sind“, so erneut die väterliche Antwort, die zwar an sich richtig war, aber nicht zutreffend, da Wlad ja die Modell-Nummern verwechselt hatte.
Nichtsahnend legte Wlad den vermeintlichen ersten Gang ein, der sich als Rückwärtsgang erwies. Was er aber nicht gleich bemerkte, weil er in der Aufregung so robust zur Sache ging und die Kupplung so unsanft schleifen ließ, dass er den Motor laut heulend abwürgte – direkt vor den Augen der anderen Prüfungskandidaten, die ein paar Meter weiter warteten. „Immer mit der Ruhe“, tönte es von der Rücksitzbank, doch der Blick in den Rückspiegel zeigte Wlad, dass der durchaus gutmütige Mann eine gewisse Unmut in seiner Miene nicht mehr verbergen konnte. Just diese Beobachtung muss Wlad noch nervöser gemacht haben. Denn als er den Wagen beim zweiten Versuch abwürgte, gelang dies nicht mehr so sanft wie beim ersten Mal, das Gefährt machte einen kräftigen Ruck nach vorne, und der Inspektor, ohnehin eingezwängt wie eine Legehenne im Käfig, kam bei dieser russischen Mischung aus Dressurreiten und „Rodeo“ mit seinen Körperrundungen in unsanften Kontakt mit der Rückenlehne des Vordersitzes. „Immer mit der Ruhe“, wiederholte er, diesmal aber bereits etwas gereizt und mit den Augen zur Wagendecke schielend.
Beim dritten Versuch gelang es Wlad zwar in der Tat, den Wagen in Bewegung zu setzen, aber dies brachte ihm die Erkenntnis, dass er statt des ersten Gangs den Rückwärtsgang eingelegt hatte, und diese Erkenntnis erschreckte ihn derart, dass er die Pedale verwechselte und den Wagen noch unsanfter als beim vorherigen Versuch zum Stehen brachte. Der Inspektor hatte diesmal Feindkontakt mit der Rückenlehne. Und zwar so heftig, dass er sich trotz aller Gutmütigkeit einen kräftigen Mutterfluch nicht mehr verkneifen konnte. Auf die Wiedergabe sei hier aus Gründen des Jugendschutzes und unter Rücksicht auf die vorweihnachtliche Stimmung verzichtet. Jedenfalls beschied der Gesetzeshüter Wlad streng: „Es reicht! Sie steigen aus!“
Auf den Gesichtern der anderen Fahrschüler, die geduldig zugeschaut hatten, war Schadenfreude und Schrecken zugleich zu sehen. Wlad wusste nicht so recht, wie er die ganze Sache zu verstehen hatte. Und so war er denn doch selbst ein wenig überrascht, als er am nächsten Tag wie vereinbart bei der Verkehrspolizei vorfuhr – und dort sein Führerschein auf ihn wartete, mit dem Prüfungsprotokoll und dem Hinweis: „Bestanden“. Neben seinem Namen entdeckte Wlad einen kleinen, sauberen Punkt, mit dem Bleistift gemalt: „Das war offenbar das diskrete Zeichen, bei mir nicht allzu genau hinzusehen, nach dem Motto Preis geht vor Fleiß.“
Seit mir Wlad die Wahrheit erzählt hat, blicke ich mit ganz anderen Augen auf seine Fahrweise: Hut ab, dass er es trotz dieser widrigen Umstände, sozusagen einer unglücklichen „Kindheit“ am Steuer, doch so weit gebracht hat. Auch den anderen Fahrern gegenüber habe ich nun mehr Verständnis, wenn sie mir die Vorfahrt nehmen oder vor mir zwischen den Spuren hin und her wechseln wie Seerosen. So sehr mir die neue Erkenntnis zu mehr Nachsicht verhilft – sie jagt mir auch Schrecken ein. Denn im neuen Jahr droht Ungemach. Meine Freundin macht gerade ihren Führerschein. Für einen Schnäppchen-Preis, dank guter Bekanntschaften: 300 Dollar. Bei welcher Fahrschule, werden Sie fragen? Das ist es ja, was mich unruhig macht – ohne Fahrschule. Probleme wie die von Wlad werden ihr erspart bleiben: Eine Prüfung wird es auch nicht geben. Probleme werde dafür wohl ich haben. Bald werde ich mich wohl in der Haut jenes „Inspektors“ fühlen, der bei Wlad auf der Rücksitzbank zitterte. Dabei hatte es der noch gut. Er konnte wenigstens sagen: „Es reicht! Aussteigen.“
Nach dem wirklich unangenehmen „Job“ mit dem Lauterbach-Interview bin ich Ihnen für ein Schmerzensgeld besonders dankbar – und verspreche dafür, auch beim nächstem Mal wieder in den sauren Apfel zu beißen und wachsam an dem gefährlichen Minister dran zu bleiben! Aktuell ist (wieder) eine Unterstützung via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – trotz der Paypal-Sperre: über diesen Link. Alternativ via Banküberweisung, IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71. Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut.
Bild: ShutterstocvkLust auf mehr Geschichte über Igor und aus Russland? Die gibt es auch als Buch:
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