Ein Gastbeitrag von Aaron Clark
Der ehemalige Justizminister und studierte Jurist verwechselt Grundrechte mit privatwirtschaftlicher Vertragsfreiheit und erntet für seinen Vorschlag der temporären Zwei-Klassen-Gesellschaft harsche Kritik.
Dem bisher recht überschaubaren Grüppchen deutscher Politiker, die in der Vergangenheit eine Debatte um bestimmte Sonderrechte für geimpfte Bürgerinnen und Bürger angestoßen haben, hat sich am Wochenende ein prominentes Gesicht hinzugesellt: Als erstes Mitglied der Bundesregierung wird Außenminister Heiko Maas in der Bild am Sonntag mit den Worten zitiert: „Geimpfte sollten wieder ihre Grundrechte ausüben dürfen.“
Nachdem sich in den letzten Wochen sowohl Gesundheitsminister Spahn, Innenminister Seehofer als auch Maas‘ indirekte Nachfolgerin Christine Lambrecht zumindest vordergründig klar gegen „unzulässige Privilegierung“, „gefährliche Sonderrechte“ und eine „Impfpflicht durch die Hintertür“ ausgesprochen haben, bekräftigt Maas in der BamS, dass es hier jedoch mitnichten um die „irreführende“ Debatte über Privilegien ginge, sondern darum, durch die Regierung eingeschränkte Grundrechte an die Betreiber von Kinos, Restaurants, Theater oder Museen zurückzugeben: „Die haben ein Recht darauf, ihre Betriebe irgendwann wieder zu öffnen, wenn es dafür eine Möglichkeit gibt. Und die gibt es, wenn immer mehr Menschen geimpft sind.“
Obwohl es als juristischer Laie schon etwas „An-Maas-endes“ hat, den Forderungen eines studierten Juristen und ehemaligen Justizministers so etwas wie Ahnungslosigkeit zu unterstellen, springt einem hier die Diskrepanz aus Wollen und Können – die symptomatisch für die derzeitige Polit-Kaste zu sein scheint – geradezu ins Gesicht. Zunächst bezieht sich Maas‘ Vorschlag ja konkret auf den Artikel 12 GG: die Freiheit der Berufsausübung. Hier hat die Regierung durch die Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes verfügt, dass Betreiber (und Angestellte) zahlreicher Betriebe in diesem Grundrecht massiv eingeschränkt werden. Von der bestehenden Einschränkung der Grundrechte auf Seiten der Allgemeinbevölkerung, wie z.B. der freien Entfaltung der Persönlichkeit, der Versammlungsfreiheit oder der ungestörten Religionsausübung, ist in Maas‘ Äußerungen bisher keine Rede.
Jetzt ist es allerdings so, dass die Wiederherstellung des Grundrechts auf freie Wahl der Berufsausübung anders zu bewerten ist, als der für Private geltende Grundsatz der Vertragsfreiheit. Das heißt: jeder Gastronom, Kino-, Hotel- oder Clubbetreiber darf im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes heute schon selbst entscheiden, wer Zutritt erhält, und wer nicht – beispielsweise anhand des Alters oder der Garderobe. Aus Sicht des Gastes ist ein möglicherweise „nur für Geimpfte“ erlaubter Zutritt (womit der Betreiber sogar werben dürfte) also ausdrücklich kein Grundrecht – sondern ein Privileg im Rahmen der Vertragsfreiheit. Juristisch betrachtet bedeutet Maas‘ Forderung „Geimpfte sollten wieder ihre Grundrechte ausüben dürfen“ daher zunächst einmal, dass sich der Restaurantbetreiber und seine Leute impfen lassen müssten, um ihren Laden wieder aufmachen zu dürfen.
Aber natürlich hat Maas das so nicht gemeint. Denn für BamS begründet er seinen Vorschlag folgendermaßen: „Es ist noch nicht abschließend geklärt, inwiefern Geimpfte andere infizieren können. Was aber klar ist: Ein Geimpfter nimmt niemandem mehr ein Beatmungsgerät weg. Damit fällt mindestens ein zentraler Grund für die Einschränkung der Grundrechte weg.“ Das bedeutet, es geht hier natürlich um die Normalbevölkerung, die in naher Zukunft nur in geimpftem Zustand in die Restaurants dürfen soll: „Denn wenn erst mal nur Geimpfte im Restaurant oder Kino sind, können die sich nicht mehr gegenseitig gefährden.“
Hier handelt es sich allerdings, werter Herr Außenminister, um Entscheidungen, die der Staat gar nicht treffen kann. Insofern verwechseln Sie in Ihrer „Gespenster-Diskussion“, wie es Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz treffend formuliert hat, leider doch Grundrechte mit Privilegien. Erstere haben den Staat verpflichtenden und die Privaten berechtigenden Charakter, sind unveräußerlich, dauerhaft und gelten stets für alle. Sie sind keine Belohnung oder Bonus, die man sich erst durch ein bestimmtes Verhalten verdienen muss. Und der Staat ist verpflichtet, etwaige Grundrechtseinschränkungen von dem Augenblick an wieder zurückzunehmen, wo sie nicht mehr gerechtfertigt sind – und zwar ebenfalls für alle. Ansonsten würde der im Grundgesetz verankerte Gleichheitsgrundsatz verletzt. Was für Maas anscheinend kein Problem ist: „Ja, das wird in einer Übergangszeit auch zu Ungleichheiten führen, aber solange es dafür einen sachlichen Grund gibt, ist das verfassungsrechtlich vertretbar.“ Vor dem Hintergrund, dass die Impfreihenfolge jedoch nicht vom Gesetzgeber festgelegt wurde – wie es für eine so wesentliche Entscheidung im rechtsstaatlichen Einmaleins allerdings vorgesehen ist – sondern vom Bundesministerium für Gesundheit, steht Maas‘ Äußerung auf juristisch tönernen Füßen.
Abgesehen davon, dass es aus der Politik für Maas‘ Vorschlag überwältigend ablehnende Reaktionen gibt – das Spektrum reicht von „Populismus“ über „sozialer Sprengstoff“ bis „verfassungswidrige Ungleichbehandlung“ – lässt der Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Gesundheitsausschuss durchblicken, dass eine solche Diskussion erst dann geführt werden könne, wenn das Impfangebot deutlich in die Breite gehe. Nachtigall, ick hör‘ Dir trapsen! Und für eine Sekunde ertappe ich mich bei der Vorstellung, wie Annalena Baerbock in ein paar Monaten eine Querdenker-Impfbommel für den freien Zugang zu Demonstrationen ins Spiel bringt …
Eine letzte Anmerkung zu Maas‘ „sachlichem Grund“ für eine (vorübergehende) Ungleichbehandlung. Sachlich richtig ist, dass nach den vorliegenden Studiendaten über die Wirkungsweise der Impfstoffe von BioNTech und Moderna – zu denen sich aktuell erste Erhebungen der beiden größten israelischen Krankenversicherer gesellen – die Geimpften selbst vor einem schweren Verlauf geschützt zu sein scheinen und sich untereinander daher auch keine Beatmungsgeräte mehr streitig machen sollten. Jedoch haben wir hier noch keine validen Langzeitdaten, die uns die von den Herstellern angegebene Wirksamkeit von 95 Prozent – welche sich bei genauer Betrachtung ohnehin als Milchmädchenrechnung entpuppt – bestätigen. Das RKI geht bei den bekannten Influenza-Impfstoffen in seinem aktuellen Saisonbericht von einer Wirksamkeit in Höhe von 40 bis 75 Prozent aus – mit dem Alter abnehmend. Es ist also sehr wohl möglich, dass auch gegen das neuartige Coronavirus Geimpfte sowohl andere Menschen anstecken als auch schwer erkranken können.
Zu guter Letzt, verehrter Herr Außenminister, wurden auch in diesem Jahr wieder im Eiltempo Kliniken dichtgemacht – im zweiten Halbjahr 2020 allein siebzehn (!) Häuser mit ca. 1800 Betten, von denen fast alle über Notaufnahmen, Intensivbetten, Chirurgie und innere Medizin verfügten, Corona-Patienten hätten behandeln oder den benachbarten Kliniken den Rücken freihalten können. Wenn hier also etwaige Engpässe beanstandet werden, sei es nun bezogen auf Menschen oder Material, so sieht ein vernünftiger Bürger das primär als Handlungsanleitung an seine Regierung – und nicht andersherum. Dabei fällt mir ein: welcher Ihrer Kollegen war das noch gleich, der im Zuge der Bertelsmann-Studie vorletztes Jahr besonders laut nach einer Ausdünnung der Klinikstandorte gerufen hat? Der hatte so einen einprägsamen Namen, irgendwas wie Leiserfluss oder so ähnlich …
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Aaron Clark lebt in Berlin, schreibt unter Pseudonym und ist seit 2020 begeisterter Leser von reitschuster.de. (Das ist kein Eigenlob, genau diese Worte hat er mir als Autorenzeile übermittelt).Bilder: Alexandros Michailidis/Shutterstock
Text: Gast
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