Impeachment – How to knock out Donald Trump Wie das Impeachment-Verfahren abläuft und welche Fußangeln auf die Beteiligten warten

Ein Gastbeitrag von Gregor Amelung*

Wenn man die deutschen Nachrichten zum Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump liest und hört, kann man den Eindruck gewinnen, die Sache wäre gegessen. Denn demnach ist Trump schuldig, zum gewaltsamen Sturm auf das US-Kapitol aufgerufen zu haben.

Eben deshalb sprach ZDF-Chefredakteur Peter Frey von einem versuchten „Staatsstreich“. Darüber hinaus ist Trump ohnehin ein „pathologischer Lügner“, wie die Frankfurter Rundschau mit Berufung auf seine Nichte Mary Trump berichtete. Und im Spiegel erfuhr man in einem Interview mit einem Psychologen, dass Marys Onkel „drei Persönlichkeitsstörungen“ habe. Unter anderem ist er Narzisst und Histrioniker, also ein Mensch, der sich nach Wichtigkeitssignalen sehnt und es liebt, im Mittelpunkt zu stehen.

Insofern ist nicht nur Trumps Schuld erwiesen, sondern auch sein Psychogramm bekannt. Weshalb das nun in die Wege geleitete Impeachment-Verfahren wohl nur noch ein formaler Akt sein sollte. Ähnlich wie der des Führerscheinentzugs. Und dem müssten eigentlich auch alle vernunftbegabten Menschen im US-Kongress zustimmen, denn wer will schon, dass der eigene Arbeitsplatz von einer Horde Vandalen überrannt wird, nur weil ein Histrioniker im Mittelpunkt stehen will?!

Nun ist das mit der Vernunft so eine Sache … was der eine für äußerst vernünftig und durchdacht erachtet, könnte ein zweiter für idiotisch oder gar lebensgefährlich halten. Beispielsweise beim gemeinsamen Renovieren der Wohnung oder beim Zusammenbau eines Ikea-Regals. Auch in diesen Fällen prallen Vernunft und Unvernunft aufeinander, weshalb man sie bei einem Impeachment-Verfahren vielleicht besser mal nicht bemühen sollte. Wesentlich hilfreicher wäre hier ein Blick auf das, was sich die einzelnen Beteiligten von dem Verfahren und seinem Ausgang versprechen.

Um einen US-Präsident des Amtes zu entheben, bedarf es einer einfachen Mehrheit im Repräsentantenhaus. Sie setzt das Verfahren in Gang, indem sie eine Art Anklageschrift aufsetzt und diese an die zweite Kammer des Kongresses, den Senat, weiterreicht. Hier findet dann das eigentlich Impeachment-Verfahren statt. Und da es sich dabei um so etwas wie ein Gerichtsverfahren handelt, sitzt dem Verfahren auch nicht Vize-Präsidentin Kamala Harris vor, sondern der Vorsitzende des Supreme Courts.

Nachdem in diesem Gremium der Fall verhandelt worden ist, schreitet der Senat zur Abstimmung, ganz ähnlich wie die 12 Geschworenen in einem US-Strafverfahren. In diesem Fall handelt es sich allerdings um insgesamt 100 Geschworene bzw. Senatoren. Um den Präsidenten seines Amtes zu entheben, müssen sie den Angeklagten mit einer Zweidrittel-Mehrheit für schuldig befinden. Damit wäre er impeached.

Im Moment sitzen im US-Senat 50 Demokraten und 50 Republikaner. Man kann davon ausgehen, dass die demokratischen Senatoren geschlossen für Trumps Amtsenthebung stimmen werden. 17 Republikaner müssten also mit ihnen votieren, um die Zweidrittel-Mehrheit zu erreichen.

Ein Blick auf das Abstimmungsverhalten der Republikaner im Repräsentantenhaus lässt erahnen, wie schwer es vermutlich werden wird, diese 17 zusammen zu bekommen. So hatten am 21. Januar von den 211 republikanischen Abgeordneten nur 10 für das Impeachment gestimmt. Weitere 4 hatten sich nicht an der Abstimmung beteiligt. Insofern votierte die überwiegende Mehrheit dagegen, Donald Trump des Amtes zu entheben. 93,3 % hielten ihm die Treue.

Die Prozentzahl aus dem Repräsentantenhaus lässt sich allerdings nicht eins zu eins auf den Senat übertragen. Denn die 211 im Repräsentantenhaus sitzenden Republikaner sind direkt verkoppelt mit ihren Wahlkreisen und damit mit der Trump-Basis. Die 50 republikanischen Senatoren dagegen sind von ihren jeweiligen Bundesstaaten gewählt und sehen sich zuerst und zuletzt als Repräsentanten dieser Staaten und deren Interessen in Washington. Vereinfacht könnte man es auch anhand der Zahlen – 211 Abgeordnete und 50 Senatoren – so ausdrücken: Senatoren sind etwa viermal weiter weg von der Basis oder viermal weniger anfällig für populistische Strömungen im gemeinen Wahlvolk.

Insofern kann man unter den republikanischen Senatoren von einer höheren Bereitschaft ausgehen, Donald Trump zu impeachen. Mitt Romney, der republikanische Senator aus Utah, hatte bereits im ersten Impeachment-Verfahren am 5. Februar 2020 gegen Trump gestimmt und wird es wohl auch diesmal tun. Zu Romney werden sich vermutlich noch der bisherige republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sowie einige andere gesellen. Wie viele es am Ende sein werden, ist im Moment allerdings noch völlig offen.

Eine Vorahnung, wie die Dinge bei den republikanischen Senatoren stehen, bekam man allerdings schon diese Woche. So hatte Senator Rand Paul am 27. Januar einen Antrag eingebracht, das Verfahren des Impeachments für verfassungswidrig zu erklären und einzustellen. Der Senator aus Kentucky argumentierte, der Senat könne nur einem amtierenden Präsidenten den Prozess machen. Trump sei nach seinem Ausscheiden aus dem Weißen Haus aber nun eine Privatperson. Dem widersprachen die Demokraten erwartungsgemäß. Ihr neuer Mehrheitsführer Chuck Schumer nannte Pauls Argumentation „schlichtweg falsch“. Trotzdem schlossen sich ihr 45 der insgesamt 50 republikanischen Senatoren an, was rein rechnerisch einer 90-prozentigen Ablehnung gleichkommt. Schumers Demokraten müssen also noch 11 republikanische Senatoren auf ihre Seite ziehen, wollen sie Donald Trump tatsächlich erfolgreich impeachen.

Würden die Demokraten in dem anstehenden Verfahren eine Verurteilung erreichen, käme es danach zu einer weiteren Abstimmung über das Strafmaß. Hierbei reicht eine einfache Mehrheit aus, die – bei einem möglichen Patt – Vize-Präsidentin Harris mit ihrer 101. Stimme herstellen würde. Dann würden die Demokraten dem ehemaligen Präsidenten voraussichtlich den Personenschutz durch den Secret Service entziehen sowie sein Anrecht auf Briefings durch die Geheimdienste. Auch eine Trump Library wird es dann wohl kaum geben, genauso wenig wie einen Flugzeugträger seines Namens. Neben diesen Privilegien würde Trump sehr wahrscheinlich das passive Wahlrecht verlieren, so dass er auf Bundesebene nicht mehr in ein Amt gewählt werden kann. Damit wäre auch eine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl 2024 ausgeschlossen.

Letzteres begrüßen die Demokraten nahezu unisono sowie einige Republikaner hinter vorgehaltener Hand. Denn Trumps Wählerbasis, die sogenannte MAGA-Movement – vom Wahlslogan „Make America great again“ abgeleitet – ist eben nur ein Teil der republikanischen Partei. Zwar lautstark und durchsetzungsfähig, aber eben auch weniger vernetzt in der Hauptstadt als die alteingesessenen Konservativen. Diese gewinnen zwar gerne Wahlen mit dem Zugpferd Donald Trump, mögen aber seine (politische) Eigenständigkeit und seine national-populistische Wirtschaftspolitik nicht. Und so fremdelt dieser Kreis mit dem Immobilienmogul, denn er kann sich eine Zukunft der Partei auch ganz ohne Donald Trump und MAGA-Movement vorstellen. Trotzdem hält sich die Begeisterung der Anti-Trump-Republikaner über das nun angestoßene Impeachment-Verfahren in Grenzen, denn sie wissen um Trumps Beliebtheit.

Wenn es nun in naher Zukunft zum Impeachment kommen wird, dann mag dies den deutschen Betrachter vielleicht wundern, aber eingefleischte Trumpianer begrüßen das Verfahren. Denn sie sehen in ihm die Chance, endlich mal in einem Gerichtsverfahren ihre Sicht der Dinge darzulegen. Ihre Sicht auf die Wahl und den Umgang mit den Betrugsvorwürfen, ihre Sicht auf die Rede von Donald Trump, die mutmaßlich den Sturm auf das Kapitol ausgelöst hat, und ihre Sicht auf die Umstände des Sturms selbst. Hier kritisieren sie vor allem den geringen Schutz des Kapitols, die Ablehnung von polizeilicher Hilfe durch die Washingtoner Behörden und die Anwesenheit von linken Aktivisten unter dem „Mob“, der sich Zutritt zum Kapitol verschaffen konnte.

Die weniger von Trump begeisterten Republikaner freuen sich dagegen kaum auf das Impeachment-Verfahren, denn es wird sie so oder so dazu zwingen, Farbe zu bekennen. Entweder schicken Sie Donald Trump in die politische Verbannung und werden dafür von der MAGA-Movement gehasst. Tun sie es jedoch nicht, ziehen sie sich die Wut der Demokraten zu und müssen sehr wahrscheinlich 2024 einen Come-back-Wahlkampf von und mit Trump ertragen.

Ganz anders sieht es im Lager der Demokraten aus. Ein gelungenes Impeachment-Verfahren gegen Trump würde sie nicht nur von der Angst befreien, 2024 abermals gegen den Wüterich antreten zu müssen, sondern auch die tiefe Scharte des ersten geplatzten Amtsenthebungsverfahrens von Anfang 2020 auswetzen. Das wäre der best case für die Demokraten, denn dann könnten sie zufrieden sagen: Wir ham’s ja schon immer gesagt: Trump ist unmöglich. Man hätte ihn vorher absetzen müssen. Das hätte dem Land eine Menge Leid und Ärger erspart.

Um diesen best case zu erreichen, brauchen die Demokraten aber nicht nur 17 republikanische Stimmen, sondern sie müssen auch die in der Anklageschrift vorgebrachten Untaten des Angeklagten beweisen. Und das wird voraussichtlich wesentlich schwieriger sein, als es die Kommentare der deutschen Mainstream-Medien bisher erahnen lassen. Denn:

  1. Trump hat in seiner Rede vor dem Sturm auf das Kapitol nicht zu Gewalt aufgerufen. Vielmehr sagte er wörtlich: „Ich weiß, dass alle hier gleich zum Kapitol marschieren werden, um dort friedlich und als Patrioten ihre Stimmen zu erheben.“ Daraus einen Aufruf zum gewaltsamen Sturm zu machen, wird schwierig.
  2. Der Tumult auf den Treppen des Kapitols begann bereits, als der ehemalige US-Präsident noch zu seinen Anhängern sprach. Die Vorstellung, dass ausgerechnet Trump-Fans 15 bis 20 Minuten vor dem Ende der Rede ihr Idol verlassen, um schon mal zum Kapitol zu gehen, um es zu stürmen, wirkt nicht gerade gerichtsfest.
  3. Anders als oft berichtet wollte Trump von seinem Vize-Präsidenten Mike Pence gar nicht, dass der die zertifizierten Biden-Votes einfach zerreißt und in den Mülleimer wirft. Trump forderte Pence hingegen dazu auf, die umstrittenen Umschläge an die Bundesstaaten zurückzusenden, so dass sich die dortigen Parlamente der Sache annehmen könnten. Darum war Mike Pence im Übrigen auch in Briefen von Abgeordneten und Parlamentsausschüssen gebeten worden. – Aus dieser komplexen Gemengelage einen Trump’schen Alleingang auf einer wütenden Rallye zu machen, ohne rechtliche Grundlage, wird wahrscheinlich ebenfalls schwierig.

Hinzu kommt, dass Donald Trump seit dem 20. Januar 2021 12 Uhr mittags nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten ist. Am selben Tag hatte bereits der ehemalige Harvard-Rechtsprofessor Alan Dershowitz in einem Zeitungsartikel geschrieben: „Jetzt, da Donald Trump eine Privatperson ist, sollte der Senat das Amtsenthebungsverfahren gegen ihn wegen mangelnder Zuständigkeit abweisen, denn die Verfassung besagt eindeutig: „Der Präsident … wird bei der Amtsenthebung aus dem Amt entfernt …“ Nicht der ehemalige, frühere oder Ex-Präsident. 

Inzwischen ist offenbar auch den Demokraten um ihren neuen Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, bewusst geworden, dass sie Donald Trump nicht so einfach werden schuldig sprechen können. Die Beweislage ist dafür einfach zu diffus, zu dünn. Darüber hinaus haben die Demokraten keinerlei Interesse an einem endlosen Theater, in welchem Trump und seine Anwälte Zeugen vorladen und ihrerseits mit bohrenden Nachfragen in die Offensive gehen könnten. Das Verfahren zieht ohnehin schon viel zu viel Aufmerksamkeit vom Beginn der Biden-Präsidentschaft ab. Dabei sind die ersten 100 Tage im neuen Amt traditionell in den USA eine wichtige Wegmarke, um die politische Neuausrichtung im Volk und in den Medien zu verkaufen und zu verankern. Je länger das Ringen um Trumps Verurteilung geht, desto eher wird sich Joe Bidens Stab bei Schumers Demokraten im Kongress melden und sie ermahnen, den Publikums-Magneten „Impeach Donald Trump!“ zu beschleunigen oder gar ganz abzustellen.

Deshalb favorisieren Schumer und seine Leute auch ein möglichst schnelles Verfahren gegen Trump, weshalb sie an den Verfahrensregeln selbst herumbasteln. Parallel hat dazu ein Großteil der Presse eine neue Richtung eingeschlagen bzw. die Vorwürfe gegen Donald Trump erweitert. Dessen „Aufruhr“ (insurrection) gegen den Staat und seine verfassungsgemäße Ordnung soll nun nicht nur in Form seiner Rede vom 6. Januar 2021 bestanden haben, sondern auch darin, dass er die Bevölkerung seit der Wahlnacht mit seinen Wahlbetrugsvorwürfen aufgewiegelt habe. Das, so die Argumentation, sei dann letztendlich im gewaltsamen Sturm auf das US-Kapitol gemündet.

Nun kann man das als kommentierender Journalist durchaus so sehen, allerdings ist dieses Narrativ – gerade aus demokratischer Sicht – nicht ganz so wünschenswert für das Impeachment-Verfahren. Trumps Anwälte würden nämlich möglicherweise vor Begeisterung platzen. Endlich kämen sie in ein Gericht hinein, noch dazu in ein ganz großes, in dem sie darlegen könnten, dass die Wahlbetrugsvorwürfe doch begründet sind. Rudy Giuliani und die anderen könnten all ihre über Monate gesammelten Hinweise, Beweissplitter, Zeugenaussagen, Analysen und ihre verfassungsrechtlichen Bedenken endlich vortragen. Noch dazu auf der ganz großen Bühne und vor dem obersten Richter des US Supreme Courts. Das wäre perfekt!

Ach, was ist eigentlich, wenn Trump doch nicht schuldig gesprochen werden würde? – Klar, aus rein juristischer Sicht wäre so eine Entscheidung des US-Senats auch ein Freispruch aus Mangel an Beweisen. Aber so würde man die Nachricht nicht an der republikanischen Basis aufnehmen. Dort wäre sie ein Freispruch. Der zweite innerhalb von rund 12 Monaten. Unkaputtbar, einfach unbreakable, dieser Trump!

Es ist ein wenig wie beim Boxen. Das Wiegen ist vorbei. Jetzt geht’s in den Ring. Und Apollo Creed muss Rocky Balboa k.o. hauen. Tut er es nicht, hat der underdog gefühlt gewonnen. Und der wäre in dieser Konstellation Donald Trump. Und so besteht die Möglichkeit, dass die Demokraten Nancy Pelosi’s Schritt, ein Impeachment-Verfahren loszutreten, noch bitterlich bereuen. Dann nämlich, wenn sie spüren, dass sie ihren Gegner nicht rasch auf die Bretter schicken können, sondern im zähen Infight mit jeder weiteren Runde aufbauen. Gelingt ihnen dann nicht der finale Knock-down, haben die Demokraten nicht nur einen „unbesiegten“ Donald Trump 2024 vor der Brust, sondern sie dürfen ihrer eigenen Basis auch noch erklären, wie sie gleich zwei Impeachment-Verfahren innerhalb von nur 12 Monaten versemmeln konnten.

 

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
 
*) Der Autor ist in der Medienbranche tätig und schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: YES Market MediaS/Shutterstock
Text: Gast

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