Was hinter der allgegenwärtigen Täter-Opfer-Umkehr steckt Leserbrief der Woche

„Neue Opfergruppe: Vergewaltiger“ – Täter-Opfer-Umkehr bis zum Exzess: Unter diesem Titel habe ich einen Artikel geschrieben über die 140 Ermittlungsverfahren, die in Hamburg eröffnet wurden wegen Beleidigung der Stadtpark-Vergewaltiger. Von den insgesamt neun Tätern, die sich an einer 15-Jährigen vergriffen haben, musste nur einer ins Gefängnis – alle anderen wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Hinter Gitter musste dagegen eine junge Frau, weil sie einen der Täter, der nie ein Gefängnis von innen sah, beleidigte (siehe hier). Zu dem Phänomen erreichte mich ein Leserbrief, den ich für so interessant und wichtig halte, dass ich ihn Ihnen einfach nicht vorenthalten kann:

Lieber Boris Reitschuster,

in dem Artikel „Neue Opfergruppe: Vergewaltiger“ schreiben Sie: „Die Täter-Opfer-Umkehr hat in Deutschland ganz offensichtlich eine lange Tradition. Vor Gericht kommt es regelmäßig vor, dass dem Täter jede Form von Verständnis entgegengebracht wird – dem Opfer hingegen weniger. … Woher dieser deutsche Drang zur Täter-Opfer-Umkehr kommt, kann ich Ihnen als Journalist nicht fundiert beantworten. Da kann nur ein Psychologe oder Psychiater wirklich triftige Erklärungsansätze geben.“

Eleonore Tatge, Kriminalhauptkommissarin und Beauftragte für Kriminalprävention, hat in der Fachzeitschrift Kriminalistik Heft 11/2011, einen Erklärungsansatz geliefert, das sogenannte Drehbuch der Gewalt (siehe hier).

Zum Drehbuch der Gewalt gehören Rechtfertigungsstrategien der Täter, welche die Täter vorsorglich immer bereit haben, und die gesellschaftlich mit vielen Mythen unterstützt werden, z.B. dass der Täter gar nichts anders hätte handeln können, der Täter ist Opfer z.B. seiner Familiengeschichte oder seiner Perspektivlosigkeit.

Diese und andere Rechtfertigungsstrategien werden laut Tatge nicht nur vom Täter, sondern auch von Opfern, Zeugen und der gesamten Gesellschaft verwendet. u.a. als Abwehrmechanismen zum Schutz des eigenen Sicherheitsgefühls. Tatge listet auf, wer aus welchen Gründen welche Abwehrmechanismen verwendet: Verbrechensopfer, potentielle Opfer, Zeugen und verantwortliche Personen, die handeln könnten/müssten und die Verantwortung aber nicht übernehmen wollen. Tatge nennt hier als Beispiel Eltern von gewalttätigen Kindern. In Ihrem Artikel sind es Schulleitung, Lehrer und ggf. noch weitere verantwortliche Akteure, die sich aus der Verantwortung stehlen.

Und hinzukommt meines Erachtens noch folgender Aspekt: Wenn die Täter aus anderen Kulturkreisen kommen, in denen nicht argumentiert, sondern auf Kritik handgreiflich reagiert wird, ist m.E. hier auch schlicht Angst im Spiel, Gewalttaten anzusprechen und abstellen zu wollen. Der Rassismus-Vorwurf gegen das Opfer ist dann nur der Deckelmantel für die Angst von Schulleitung, Lehrern und ggf. weiteren verantwortlichen Akteuren.

Sie schreiben am Ende des Artikels: „Eine solche Auto-Aggression wäre auch die Erklärung für viele andere Phänomene in unserer Politik. Denn wer keine rot-grün-rosa Brille aufhat, muss ganz klar erkennen, dass Deutschland sich abschafft.“

Rosarote Brillen

Die Mehrzahl der Menschen hat rosarote Brillen auf. Tatge beschreibt, wie Menschen die Bedrohung ihres Sicherheitsgefühls abwehren (auf Kosten der Verbrechensopfer) und in Tatges Artikel heißt es in einem sehr anschaulichen Zitat:

„Das Ziel besteht darin, ruhig und sicher weiterleben zu können und die bedrohliche Realität vergessen zu können mit der uns das Schicksal der Betroffenen konfrontiert.“

Und trauriges Detail hier: Die Menschen wehren sich nicht gegen die Bedrohung selber, sondern (nur) gegen die Bedrohung ihres Sicherheitsgefühls.

Was Tatge beschreibt, deckt sich mit Erkenntnissen der Autoren Roland Bénabou und Jean Tirole aus der Verhaltensökonomie zum Thema, wie die meisten Menschen mit schlechten Nachrichten und unangenehmen Entscheidungen umgehen, nämlich: Nicht-wissen-wollen, Wunschdenken und Realitätsverweigerung (not wanting to know, wishful thinking, and reality denial).

Dieser Dreiklang sorgt dafür, dass in der Zukunft dann umso schmerzhaftere Ereignisse anstehen (much pain down the line).

Das ist weit verbreitetes menschliches Handeln. Es ist aus Sicht des jeweiligen Menschen, der z.B. auf diese Weise sein bedrohtes Sicherheitsgefühl schützt, zielorientiertes Handelns, in einem rationalen Sinn ist es aber nicht erfolgreich oder brauchbar. Link und Textauszug siehe unten am Ende der Mail.

Auf gesellschaftlicher Ebene führt das laut Autor Raphaël Levy zu sog. beruhigender Politik (Soothing Politics): Wähler wollen sich in ihren rosigen Träumen nicht stören lassen und wählen daher entsprechende Politiker. Link und Textauszug siehe unten am Ende der Mail.

Sie müssen also nicht Auto-Aggression, Verachtung und Hass gegenüber sich selbst heranziehen, um eine Erklärung zu finden für das, was Sie in Ihrem Artikel schildern.

Und die Erklärungsmodelle der Autoren Bénabou, Tirole und Levy beinhalten verschiedene Möglichkeiten: Wähler können sich für beruhigende oder für Real-Politik entscheiden.

Das finde ich schon mal gut. Ich wage aber keine Prognose, ob und wann sich genügend Wähler in diesem und in anderen Ländern für realistische Politik entscheiden.

Sie leisten mit Ihrer Arbeit jedenfalls einen wichtigen Beitrag dazu.

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