Die DDRisierung unseres Alltags nimmt immer absurdere Formen an. „So reagiert der FCA auf den Pyro-Vorfall mit Verletzten“, lautet der Titel eines Beitrags in der „Augsburger Allgemeinen“. Der Hintergrund: Beim Anzünden von Bengalos durch sogenannte „Ultras“, also Hardcore-Fans, wurden in der Partie zwischen dem FC Augsburg und dem FSV Mainz 05 zwei Frauen verletzt. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft. In meinen Augen eine glasklare Angelegenheit, bei der es nicht vieler Worte bedarf: So etwas darf nicht passieren.
Umso mehr stolperte ich über die Stellungnahme des Vereins: „Die FCA-Familie steht für ein friedliches Miteinander, unser tägliches Handeln ist von gegenseitigem Respekt und Verantwortungsbewusstsein geprägt. Aktionen, bei denen Personen gefährdet oder andere Fans zu Schaden kommen, sind inakzeptabel und stehen nicht im Einklang mit unseren Werten, die gemeinsam mit Fans und Mitgliedern erarbeitet und auch fest in der Vereinssatzung verankert wurden.“
Was für ein DDR-Stil! So als würde es nicht reichen, den Vorfall zu verurteilen, wird mit einem Bekenntniszwang reagiert, der eher an eine Predigt erinnert – oder eben an den Geist der DDR. Wer wäre vor zwanzig Jahren auf die Idee gekommen, solche salbungsvollen Worte für einen Fußballverein zu machen? Ein solcher stand früher für Fußball, und nicht für „friedliches Miteinander, gegenseitigen Respekt und Verantwortungsbewusstsein“. Ein Verein erarbeitete auch keine „Werte“, sondern konzentrierte sich auf das Spiel. Wer Werte und Moral hat, trägt diese in sich. Wer ständig darüber spricht, dass er diese hat, hat sie in der Regel eben nicht – so meine Lebenserfahrung.
Diese Meldung ist nur ein Beispiel für viele für die DDRisierung des Lebens in der neuen Bundesrepublik. Ausgerechnet eine FDP-Politikerin hat nun ein Buch zu diesem Thema geschrieben. In ihrem Werk „Rolle rückwärts DDR?“ stellt die Bundestagsabgeordnete Katja Adler die tabuisierte Frage, wieviel DDR im angeblich „besten Deutschland aller Zeiten“ steckt. Die Diplom-Verwaltungswirtin, die auch noch einen zweiten Abschluss in Verhaltenswissenschaften hat, ist 1974 in Eisenhüttenstadt geboren und hat die DDR wenn auch kurz, so doch noch bewusst erlebt.
Kann, ja darf man die Verhältnisse in der DDR und im heutigen Deutschland vergleichen, fragt die Liberale zunächst. Und liefert die Antwort gleich: Natürlich kann und soll man sie vergleichen. Nur dass eben Vergleichen nicht Gleichsetzen bedeute. Vergleichen heiße, Unterschiede und Gemeinsamkeiten sichtbar zu machen.
In ihrem Buch schreibt Adler von ihren Hoffnungen, mit denen sie die Wiedervereinigung verknüpfte. In den letzten Jahren fühlt sie sich zunehmend an die DDR erinnert, schreibt Adler. Sie wehrt sich zwar dagegen, die Verhältnisse heute mit denen in der DDR gleichzusetzen – etwa, weil heute an der Grenze auf niemanden geschossen werde oder keine langjährigen Haftstrafen für bloße Regierungskritik drohen.
Umgekehrt würde von den großen Medien dagegen jeder Hinweis auf besorgniserregende Parallelen zwischen der DDR und der neuen Bundesrepublik tabuisiert. Wer sich über die Einschränkungen der Meinungsfreiheit beklage, das Wegsteuern von einer freien Marktwirtschaft hin zu einer Planwirtschaft, der müsse mit Diffamierung rechnen – ebenso wie jeder, der den Linksdrall des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beklagt. Der wecke teilweise sogar Erinnerungen an Eduard von Schnitzlers Propaganda und die „Aktuelle Kamera“ – harter Tobak aus dem Mund der Abgeordneten einer Regierungspartei.
Freiheitsentziehende Akte
Adler stellt zu Recht fest, dass ehemalige DDR-Bürger für all diese Missstände sensibler seien als „Wessis“. „Während die freiheitsgewöhnten Westdeutschen schier blind für jeden noch so offensichtlichen Schritt Richtung Freiheitsentzug zu sein scheinen, wird das ostdeutsche Aufbegehren gegen jeden noch so kleinen freiheitsentziehenden Akt als demokratiefremd definiert.“
Für ihr Buch hat Adler bei Insa eine Umfrage in Auftrag gegeben. Die belegt ihre These.
Das Meinungsforschungsinstitut befragte 498 Personen, die vor dem Jahr 1976 auf dem Gebiet der damaligen DDR geboren wurden. Sie waren also bei der friedlichen Revolution – die heute oft noch brav nach dem SED-Sprachgebrauch als „Wende“ bezeichnet wird, mindestens 14 Jahre alt.
81 Prozent der Befragten stimmten folgender Aussage zu: „Nach der friedlichen Revolution in der DDR hatte ich die Hoffnung, dass vieles besser wird.“ Nur 13 Prozent verneinten diese Aussage.
46 Prozent, also fast jeder zweite Ex-DDRler, stimmte folgender Aussage zu: „Was sich heute in der Bundesrepublik Deutschland negativ entwickelt, erinnert mich an die DDR.“ 43 Prozent verneinten das. Besonders Männer (51 Prozent) fühlen sich an die DDR erinnert, bei den Frauen sind es nur 41 Prozent.
Das Déjà-vu-Gefühl hängt auch von der politischen Ausrichtung ab. Knapp zwei Drittel der Befragten, die sich eher rechts der Mitte sehen, fühlen sich an die DDR erinnert. Bei den (eher) links positionierten ist es nur ein Drittel. Das ist logisch, denn wer eine linke Meinung hat, hat wenig Probleme mit der Meinungsfreiheit im Linksstaat Deutschland.
Bei denjenigen, die sich an die DDR erinnert fühlen, trifft dies in folgenden Bereichen zu:
71 Prozent: zu viele Vorgaben des Staates bezüglich der Lebensweise der Bürger
68 Prozent: Angst, die eigene Meinung zu sagen
60 Prozent: Propaganda für die Bundesregierung durch den staatlichen Rundfunk
56 Prozent: zu viele staatliche Eingriffe in die Wirtschaft
21 Prozent: in anderen Bereichen
Noch eines fällt bei der Umfrage auf, wie Rainer Zittelmann im „Focus“ schreibt: „Während es für Befragte, die aktuell in Westdeutschland leben, deutlich häufiger die Angst ist, die eigene Meinung zu sagen (76 Prozent), spielen für Befragte, die immer noch in Ostdeutschland leben, Propaganda durch den staatlichen Rundfunk (63 Prozent) und staatliche Eingriffe in die Wirtschaft (58 Prozent) eine besondere Rolle.“
„Ich finde diese Ergebnisse erschreckend“, so Adler, „aber sie bestätigen meinen Eindruck: Es geht vielen derer, die in der damaligen DDR geboren wurden, ähnlich wie mir: Sie hatten große Hoffnungen, doch diese Hoffnungen wurden nur teilweise erfüllt. Denn sie mussten erleben, wie sich Stück für Stück das neue Deutschland in verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen wieder in eine Richtung von mehr staatlicher Kontrolle entwickelt. Der Staat mischt sich dabei in vielen Bereichen in das Leben der Bürger ein, wo er sich eigentlich raushalten sollte.“
Ganz offen berichtet die FDP-Politikerin, dass sie im vereinten Deutschland immer wieder Situationen erlebt, die sie an schlechte DDR-Erfahrungen erinnern. Etwa, als Menschen, die keine Corona-Impfung wollten, massiv ausgrenzt wurden. Oder in den Abendnachrichten von ARD und ZDF, wo die Gebührenjournalisten die Zuschauer ihrer Ansicht nach immer unverfrorener manipulieren.
„So bitter die Erfahrungen vieler Ostdeutscher waren, so wichtig sind sie für ein Erkennen“, schreibt Adler. Auch den Umgang mit der AfD bemängelt sie. Auch wenn sie diese ablehne, vor allem wegen ihrer Nähe zu Putin, würde der Umgang mit der Partei viele Menschen, insbesondere im Osten, geradezu in ihre Arme treiben.
„Da sie die einzigen waren, die eine kritische Position zur Migration formulierten, sollte es niemanden wundern, dass diese Partei so viel Zuspruch erfuhr und erfährt. Die anderen Parteien und vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien gewährten der AfD gewissermaßen ein Monopol auf Kritik an der aktuellen Migrationspolitik“, so die Diagnose von Adler. Damit kritisiert sie auch ihre eigene Partei scharf.
Ihr Fazit: „So bitter die Erfahrungen vieler Ostdeutscher waren, so wichtig sind sie für ein Erkennen. Nehmen wir sie ernst und hören und sehen wir genauer hin, denn um entscheiden zu können, wohin wir gehen, müssen wir wissen, woher wir kommen.“
Dem kann man nur zustimmen. Viele werden nun entgegnen: Wie kann Adler, wenn sie das alles so kritisch sieht, Abgeordnete einer der „Ampel“-Parteien bleiben? Diese Frage ist berechtigt. Aber ich finde, statt persönlicher Angriffe sollte die Auseinandersetzung mit Adlers klugen Thesen im Vordergrund stehen. Und der positive Aspekt: Wenn selbst jemand aus einer Regierungspartei diese Ansichten bestätigt, für die wir, Sie sicher genauso wie ich, sonst als „Nazis“ oder „Schwurbler“ diffamiert werden, ist etwas in Bewegung geraten. Langsam, zaghaft, und vielleicht zu spät – aber immerhin! Das Tabu ist damit aber leider noch lange nicht gebrochen.
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