Wagenknechts linksradikale Vergangenheit – ist sie wirklich Vergangenheit? Wie Alice Weidel im TV-Duell mit der BSW-Gründerin das Schachmatt verpasste

Im TV-Duell bei der „Welt“ konfrontierte Sahra Wagenknecht AfD-Chefin Alice Weidel geradezu genüsslich damit, dass sie 2017 einen Brief zu einem Parteiausschluss-Verfahren gegen Björn Höcke mit unterzeichnete. Darin wurde der Thüringer Landeschef als nationalistisch und rechtsextrem bezeichnet. Es hieß in dem Brief unter anderem, Höckes Positionen würden die Partei in ein rechtsextremes Licht rücken und könnten ihr langfristig schaden. Weidel fand keine Antwort auf diesen Vorhalt Wagenknechts. Sie schwieg sich einfach aus. Wagenknecht spürte diese Schwäche und bohrte mit Unterstützung des Moderators immer genüsslicher und immer tiefer nach. Das Lächeln von Weidel wurde immer gequälter, ihr Schweigen immer lauter.

Wagenknecht hatte hier klar einen Punktsieg errungen. Später versuchte Weidel, die Chefin des nach ihr benannten Bündnisses, das an eine stramm von oben geführte Kaderorganisation wie bei den Kommunisten erinnert, mit ihrer eigenen linksradikalen Vergangenheit zu konfrontieren. Doch Wagenknecht redete sich raus, meinte, es handle sich um Jugendsünden: „Da habe ich Dinge aus Trotz gesagt.“ Das alles sei 20 Jahre her, man könne ihr das heute deshalb nicht mehr vorwerfen.

Leider hakte Weidel nicht ausreichend nach. Anders als Wagenknecht, die Auszüge aus dem damaligen Anti-Höcke-Brief mit ins Studio gebracht hatte und deshalb wörtlich daraus zitieren konnte, war die AfD-Chefin offenbar nicht genauso gut vorbereitet. Denn sonst hätte sie Wagenknecht genauso wie diese ihr einiges vorhalten können. 

Sie hätte dazu den Historiker Hubertus Knabe befragen können, der viele Jahre die Stasi-Gedenkstätte im einstigen Stasi-Knast in Hohenschönhausen leitete. Und dort von Wagenknechts ehemaliger Partei, der SED-Nachfolgerin „die Linke“, auf eine Art und Weise aus dem Amt gemobbt wurde, die an Stasi-Methoden erinnert.

Knabe hat jetzt im „Focus“ akribisch das zusammengetragen, was Wagenknecht als „Jugendsünden“ abtut. Und er belegt: Wagenknecht macht es sich damit zu einfach, und sie kam im TV-Duell zu billig davon. Wie generell bei ihrem Versuch, ihr linksradikales Image abzustreifen, das sie unter anderem der Verherrlichung von Josef Stalin und Walter Ulbricht zuzuschreiben hat.

Knabe nimmt ihr den angeblichen Wandel nicht ab – wobei es noch das nebensächlichste Indiz für ihn ist, dass sie bei öffentlichen Auftritten eine Frisur wie Rosa Luxemburg trägt – die Gründerin der KPD, die 1918 gegen freie Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung kämpfte und aus Deutschland eine Räterepublik nach sowjetischem Muster machen wollte.

Wagenknecht lobte nicht nur Stalin, wie Knabe mit einem Zitat von ihr aus dem Jahr 1992 belegt: „Was immer man – berechtigt oder unberechtigt – gegen die Stalin-Zeit vorbringen mag, ihre Ergebnisse waren jedenfalls nicht Niedergang und Verwesung, sondern die Entwicklung eines um Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großmacht während eines weltgeschichtlich einzigartigen Zeitraums.“

„Voll des Lobes war Wagenknecht auch über Walter Ulbricht, dem von Stalin eingesetzten Statthalter in der DDR“, wie Knabe schreibt: „Insbesondere seine Wirtschaftspolitik in den späten 1960er Jahren hatte es ihr angetan. Im Unterschied zu Gorbatschow hätte Ulbricht dafür gesorgt, dass die „Befreiung der Wirtschaft vom direkten Zugriff der zentralisierten Apparate“ und die „Befestigung der politisch führenden Rolle der Partei“ parallel erfolgt seien.

Wagenknecht lobte auch den „verstärkten Kampf gegen sämtliche Spielarten des Revisionismus und der bürgerlichen Ideologie in den Geisteswissenschaften und den Künsten“, wie Knabe berichtet – und was er wie folgt erläutert: „Wer sich in der DDR-Geschichte auskennt, weiß, was Wagenknecht damit meinte. Nach dem sogenannten Kahlschlag-Plenum wurde in der DDR nicht nur westliche Beatmusik verboten, sondern auch ein Großteil der eigenen Spielfilme. Der Liedermacher Wolf Biermann bekam Berufsverbot.“

„Gleichwohl meinte Wagenknecht, dass die DDR damals auf dem besten Wege gewesen sei, sich zu einem blühenden und über seine Grenzen hinaus anziehenden Sozialismus zu entwickeln“, schreibt Knabe weiter: „Erst mit Ulbrichts Sturz hätten die ‚Niedergangserscheinungen‘ eingesetzt. Ihre Begeisterung für die SED-Diktatur brachte Wagenknecht nicht nur einmal zum Ausdruck. 1994 bezeichnete sie die DDR als ‚das friedfertigste und menschenfreundlichste Gemeinwesen, das sich die Deutschen im Gesamt ihrer Geschichte bisher geschaffen haben.‘ Erich Honecker gebühre deshalb „unser bleibender Respekt.“

Selbst den Mauerbau verteidigte Wagenknecht als eine Maßnahme zur Grenzbefestigung, „die dem lästigen Einwirken des feindlichen Nachbarn ein (längst überfälliges) Ende setzte“, wie der Historiker ausführt: „Die friedliche Revolution sei dagegen ‚im Kern eine Gegenrevolution‘ gewesen.“

Solche Ungeheuerlichkeiten aus dem Mund Wagenknechts zählt Knabe in erschreckender Anzahl auf. Ein paar weitere Beispiele aus seinem Text: „Auf die Frage, ob die DDR demokratischer gewesen sei als die Bundesrepublik, sagte sie 2001: ‚Sie war jedenfalls nicht undemokratischer.‘“ Und als die PDS, wie sich die Linke damals noch nannte, den Mauerbau als ‚Symbol des Demokratiedefizits in der DDR‘ verurteilte, verweigerte sie als einziges Mitglied des Parteivorstands ihre Zustimmung.“

Noch 2008 bekräftigte sie im „Spiegel“, dass sie „den Begriff Diktatur für die DDR nicht für angemessen“ halte, wie Knabe schreibt. Sogar der Linken-Politiker Gregor Gysi sagte damals über sie: „Sahra Wagenknecht vertritt eine Sicht, die ich nicht in Form einer Stellvertreterin in der Partei haben will.“

Sicher keine „Jugendsünde“ mehr ist auch, dass Wagenknecht im Alter von knapp 40 Jahren 2009 im Bundestag erklärte, dass sie das marktwirtschaftliche System der Bundesrepublik entschieden ablehne: „Wir brauchen eine andere Wirtschaftsordnung“, sagte sie damals. Und beklagte, dass „eine kleine Schicht von Leuten, nämlich die Besitzer großer Kapitalvermögen, in beispielloser Weise gegenüber allen anderen Gruppen der Gesellschaft privilegiert“ werde.

Erforderlich sei deshalb „eine radikale Umverteilung der Einkommen und Vermögen von oben nach unten“. Wie diese zustande kommen soll, ließ sie offen, so Knabe: „Doch wer die Geschichte des Kommunismus kennt, weiß, dass solche Forderungen stets dazu führten, dass erfolgreiche Unternehmer enteignet, inhaftiert oder erschossen wurden.“

Auch in ihrer Rolle als Wortführerin der „Kommunistischen Plattform“ (KPF) zeigte Wagenknecht immer wieder linksradikale Überzeugungen, wie Knabe ausführt: „Die KPF wird als linkextrem vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie war Ende 1989 ‚von dogmatischen SED-Genossen gegründet worden, um aufgrund der marxistisch-leninistischen Analyse der realen Gesellschaftsentwicklung Strategie und Taktik zu bestimmen und Politik zu organisieren‘“.

Wagenknecht war noch im Frühjahr 1989 der SED beigetreten, obwohl der Zusammensturz der linksextremen Diktatur damals schon in der Luft lag. Die KPF bezeichnet sich als „offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei Die Linke“ und wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz seit Jahren als extremistisch eingestuft. Beim PDS-Parteitag 2003 weigerten sich die Vertreter von Wagenknechts KPF dem Parteiprogramm zuzustimmen, weil es „das Ziel einer Überwindung kapitalistischer Verhältnisse aufgegeben“ hätte, so Knabe: „Im selben Jahr protestierte die KPF gegen den damaligen Parteichef Lothar Bisky, weil der erklärt hatte, dass es in der Bundesrepublik auch durchaus Bewahrenswertes gebe – etwa das Grundgesetz, das parlamentarische System oder die Gewaltenteilung.“

Auch in Sachen Stasi-Verstrickungen zeigte sich Wagenknecht als strammer sozialistischer Kader, wie Knabe darlegt: „Als der PDS-Vorstand 2006 bekräftigte, dass Kandidaten für ein Abgeordnetenmandat ihre Stasi-Vergangenheit offenlegen müssten, bezeichnete dies Wagenknecht als ‚Kniefall vor den Medien‘. Im selben Jahr gehörte sie zu den Erstunterzeichnern eines Aufrufs ‚Für eine antikapitalistische Linke‘, in dem linksradikale Parteifunktionäre vor einer Anpassung an die SPD warnten, um koalitionsfähig zu werden. ‚Eine solche Partei wollen wir nicht und brauchen wir nicht.‘“

Wagenknechts KPF bekräftigte 2007, der Kapitalismus müsse „überwunden“ werden, so Knabe. Er ziert die Plattform wie folgt: „Wir treten für einen Systemwechsel ein.“ Die Solidarität mit Kuba sei für die KPF ebenso „unverbrüchlich“ wie die Sympathie für Länder wie Venezuela. Die Plattform stellte sich laut dem Historiker auch hinter ein Grußwort des früheren RAF-Terroristen Christian Klar, nachdem dieser behauptet hatte, Europa würde jedes Land der Erde, das sich seiner „Zurichtung“ widersetze, „in einen Trümmerhaufen verwandeln“.

Man könnte nun entgegnen: Menschen machen Fehler und lernen daraus. Auch ich war in meiner Jugend Mitglied bei den „Jungsozialisten“, der Jugendorganisation der SPD – die aber zumindest formell immer auf dem Boden des Grundgesetzes war (allerdings nicht immer, wenn hinter verschlossenen Türen für die DDR geschwärmt wurde). Wenn jemand auf Irrwegen war, dann klüger wurde und einen klaren Schlussstrich zieht, finde ich das völlig okay.

Aber bei Wagenknecht ist das eben nicht so. Sie versucht sich durchzumogeln. Knabe bringt das wunderbar auf den Punkt: „Das alles – da hat Wagenknecht recht – liegt inzwischen eine ganze Weile zurück. Doch von den meisten ihrer linksradikalen Vorstellungen hat sie sich bis heute nicht distanziert. Statt sich mit ihren Irrtümern auseinanderzusetzen, tat sie im Duell mit Alice Weidel so, als hätte es sich dabei um eine Art politische Trotzphase gehandelt, die sie lange hinter sich gelassen hätte.“

Knabe bezweifelt, dass Wagenknecht sich wirklich gewandelt hat, wie sie behauptet: „So veröffentlichte sie noch 2016 eine Erklärung zum Tod des kubanischen Diktators Fidel Castro, in der sie die ‚große Leistung dieses Revolutionärs‘ und seine ‚standhafte Haltung gegenüber den mächtigen USA‘ würdigte. Angeblich sei Castro ‚durch und durch ein Demokrat‘ gewesen. Zwei Jahre später feierte sie in einem Facebook-Post erneut ihr Vorbild Rosa Luxemburg.“

Wie es in der DDR begann

Auch die wirtschaftlichen Vorstellungen Wagenknechts hält Knabe für problematisch – nicht nur wegen ihrer Forderungen nach Preisbindungen nach dem Vorbild der DDR: „Wie der einst von ihr bewunderte Ulbricht strebt sie eine Art sozialistische Marktwirtschaft an, in der es zwar weiterhin private Unternehmen geben soll. Die Banken sollen jedoch verstaatlicht und Großkonzerne nicht mehr den Aktionären, sondern den Arbeitnehmern gehören. So ähnlich begann auch der Sozialismus in der DDR.“

Knabe zitiert den Wagenknecht-Biografen Klaus-Rüdiger Mai, der ihr bescheinigt, sie habe „zwar ihre Inhalte geändert, aber nicht die Art und Weise ihres Denkens.“ Dazu Knabe: „Tatsächlich gab es in ihrer 30-jährigen politischen Laufbahn nie eine wirkliche Zäsur. Und sie tritt immer noch mit demselben rechthaberischen Duktus auf, der sie schon früher für viele anstrengend machte. Während andere nur an den Symptomen herumkurieren, so ihre Überzeugung, besitzt sie den Schlüssel für die Lösung aller Probleme. Damit entspricht sie dem alten Selbstbild der kommunistischen Bewegung, die sich stets als ‚Avantgarde des Proletariats‘ verstand. Auch ihre Partei, in die sie nur wenige zuverlässige Genossen hineinlässt, ähnelt einer kommunistischen Kaderpartei. Und die ihren Wählern zumeist unbekannten Mandatsträger stammen überwiegend aus dem linken Flügel der Linken.“

Schlupfloch für Wagenknecht

Wie schade, dass Weidel nicht – genauso wie Wagenknecht in Sachen Höcke – mit ein paar von diesen Zitaten in das TV-Duell gegangen ist. Sie hätte Wagenknecht damit Schachmatt setzen können – so aber ließ die AfD-Chefin der Linken das Schlupfloch mit der „Jugendsünde“, das diese dankend annahm.

Das Fazit von Knabe: „Allerdings – das konnte man im TV-Duell mit der rhetorisch unterlegenen AfD-Chefin Alice Weidel studieren – ist Wagenknecht geschickter geworden als früher. Sie bietet weniger Angriffsflächen und garniert ihre Botschaften mit dosiert verzerrten Fakten. Nach jahrelanger Schulung im Medienbetrieb wirkt Sahra Wagenknecht wie eine Wölfin, die einen Schafspelz übergezogen hat, um das verhasste kapitalistische System der Bundesrepublik zu beseitigen.“

Stellen Sie sich einmal umgekehrt vor, ein Politiker wäre anders als Wagenknecht nicht durch linksradikale, sondern durch rechtsradikale Ansichten aufgefallen. Und hätte sich bis heute nicht überzeugend davon distanziert. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie er an den Dauer-Pranger gestellt würde in den Medien. Bei Wagenknecht ist es genau umgekehrt: Sie genießt die Meistbegünstigungsklausel in den Medien. Ohne ihre „Dauerkarte“ für die Talkshows der öffentlich-rechtlichen Medien wäre der kometenhafte Aufstieg ihres Bündnisses kaum möglich gewesen.

Kritiker sehen dahinter denn auch einen Versuch, der im politischen Sterben liegenden „Linken“, die rechtsidentisch ist mit der SED, in einem neuen Gewand neues Leben einzuhauchen. Mitgeholfen haben dabei auch merkwürdige Millionenspender. Weswegen Skeptiker in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass die SED-Milliarden bis heute verschwunden sind. Aber das wäre noch einmal ein neues Thema. Fakt ist: Wagenknechts Partei tauchte wie aus dem Nichts auf, als der „Linken“ der endgültige Absturz bevorstand – und der AfD ungeahnte Höhen. Hätte es das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ nicht gegeben – man hätte es aus stramm linker Sicht geradezu erfinden müssen.

PS: Die überaus interessante Internet-Seite von Hubertus Knabe finden Sie hier.

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