Ich beneide Polizisten nicht um ihre Arbeit. Sie müssen ihren Kopf hinhalten für andere. Riskieren dafür ihre Gesundheit, ja im schlimmsten Fall ihr Leben. Dafür müssen sie sich noch beschimpfen lassen. Etwa als Nazis. Oder sie müssen lesen, wie eine radikale Journalistin sie auf die Müllhalde wünscht. Gerade bei Demonstrationen ist die Arbeit der Polizei nicht einfach. Oft genug geraten die Ordnungshüter da zwischen die Fronten. Etwa zwischen Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstranten und Teilnehmer von Gegenkundgebungen. Aber auch intern, wenn etwa die Polizeiführung ein hartes Durchgreifen gegen Demonstranten fordert – während sonst, etwa im Umgang mit Kriminellen, genau das nicht gewünscht ist.
Während die Polizei etwa in Berlin bei Kundgebungen oft sehr ruppig zur Sache geht – offenbar auf Anweisung von oben, war gestern in Kassel mein Eindruck: Da waren Staatsbürger in Uniform, wie ich sie in der alten Bundesrepublik so zu schätzen gelernt habe. Freundlich, kommunikativ und ohne unnötige Härte. So zumindest mein subjektiver Eindruck – ich war natürlich nicht überall.
Ich wurde aber selbst Zeuge von nicht sehr freundlichen, aber konstruktiven Gesprächen zwischen Demonstranten und Polizisten. Teilnehmer der Kundgebung hätten Polizisten wiederholt kleine Herzchen überreicht, erzählten mir Augenzeugen. Selbst habe ich es nicht gesehen. Vor diesem Hintergrund muss man auch das Foto sehen, dass jetzt zu großer Aufregung auf Twitter führte: Eine Polizistin zeigt darauf einer Demonstrantin mit ihren Händen ein Herzzeichen. Eine freundliche Geste, deeskalierend. Auch ich erlebe es immer wieder bei Demonstrationen, dass mir als Journalisten Polizisten zuzwinkern oder breit zulächeln. Auch auf Demonstrationen bleiben alle Beteiligten Menschen: Teilnehmer, Polizisten, Journalisten. Das ist gut so.
Manche Teilnehmer der Kundgebung schrieben in den sozialen Netzwerken, das Foto mit der Polizistin sei für sie das Bild des Tages gewesen. Das blieb offenbar auch Aktivisten auf Twitter nicht verborgen. Dort entwickelte sich ein regelrechter Shitstorm gegen die Beamtin. Der war so massiv, dass der Hashtag #Polizistin auf Nummer Eins in den Twitter-Trends kam. Es ging so weit, dass man der Beamtin unterstellte, ihr Herz-Zeigen würde „Erinnerungen ans Dritte Reich“ wecken. Das ist rational nicht mehr zu erklären. Und es ist Verbreitung von Hass und Hetze. Hier ein paar Tweets:
https://twitter.com/Deprifrei/status/1373594764050886657
So alt sieht der Herr mit dem merkwürdigen Account-Namen gar nicht aus, dass er sich noch gut ans Dritte Reich erinnern kann.
Ein verstörendes Foto!
PolizeiBeamtin zeigt mit Ihren Händen Herz, solidarisiert sich mit dieser Demonstrantin, die offensichtlich gegen die gerichtlichen Auflagen verstößt, die AHA Regeln missachtet und den Schutz vor der Pandemie als Wahnsinn bezeichnet. https://t.co/DSWjgEBpYK pic.twitter.com/LvDRYjAxtO— Bodo Ramelow (@bodoramelow) March 21, 2021
Ein CDU-Politiker beleidigte gleich sämtliche Demonstrationsteilnehmer:
es ist widerlich, wenn sich Exekutive mit intellektueller Unterschicht verbrüdert. Da bekomme ich Angst um das demokratische und kultivierte Deutschland #Coronaleugner #Polizistin https://t.co/shC29AjRrQ
— Dieter Breymann 🇩🇪🇮🇹🇪🇺 (@DBreymann) March 21, 2021
https://twitter.com/ProfChaos84/status/1373579587989426178
Wer auch immer die #Polizistin da reingepackt hat hat mir den Lacher das Tages beschert 😂 pic.twitter.com/bjeI5HyRRJ
— Juan (@juanbambusnuss) March 21, 2021
Eine #Polizistin, die mit Querdenkern bzw Rechten sympathisiert, ist genauso unüblich wie korrupte CDUler… Oh… Moment… pic.twitter.com/ZO3WGh98Ma
— Melanie Wery-Sims 🐱 (@MelanieWerySims) March 21, 2021
Bin gespannt auf die Ausreden der ❤️ #Polizistin von #Kassel. Hat die Polizei neben den Naziproblem nun auch ein #Querdenken Problem in ihren Reihen? @Polizei_NH muss aufräumen nach #ks2003! Hashtag #CoronaLovePolizei pic.twitter.com/fptM8XJLS2
— 🇺🇦 Schwurbelhunter 🏳️🌈 NAFO 🍥 (@schwurbelhunter) March 21, 2021
Prompt distanzierte sich die Polizeiführung von der eigenen Beamtin und kündigte eine Aufarbeitung an:
Unsere Neutralität ist insbesondere bei Einsätzen anlässlich von Demonstrationen sehr wichtig. Verhalten, das gegen das Neutralitätsgebot der Polizei verstößt oder Zweifel daran aufkommen lässt, ist für uns nicht akzeptabel. #ks2003
— Polizei Nordhessen (@Polizei_NH) March 20, 2021
Die Beamtin bekam aber auch viel Unterstützung – und der „Gegen-Hashtag“ #IchBinPolizistin schaffte es auch in die Twitter-Trends:
„Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen, dafür, dass wir ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land“#Polizistin pic.twitter.com/AIr1zQUPA1
— R____B____ (@R____B____) March 21, 2021
Dann frage ich mach doch, ob die Polizisten, die vor den #BlackLivesMatter-Demonstranten auf die Knie gegangen sind, auch aus dem Polizeidienst entfernt wurden? 🤔 #Polizei #Polizistin @BMI_Bund https://t.co/yDLrW5jpJn
— Sektenbeauftragter 🇩🇪 (@Sektenbeauftr) March 21, 2021
https://twitter.com/TRDSRLZ/status/1373548080847523843
Die "Guten", also die, welche immer laut nach
Toleranz,
Verständnis,
Buntheit,
Akzeptanz,
Menschlichkeit,
Gerechtigkeitusw. rufen, fordern den Kopf der #Polizistin mit ❤#IchBinPolizistin ❤ pic.twitter.com/1DWJ9eH8UQ
— VerteidigerDerDemokratie (@VDemokratie) March 21, 2021
Versuchen wir es mit einem Gedankenexperiment: Stellt euch vor, eine #Polizistin in Minsk, Moskau oder Myanmar zeigte den Demonstranten ein Herz. Wie würdet ihr wütenden Affen das kommentieren? #Solidaritaet pic.twitter.com/DubKlWHcuz
— Mathias Priebe Ⓜ️ (@MathiasPriebe) March 21, 2021
Linkstwitter mit der nächsten #Hetzjagd, diesmal gegen eine #Polizistin. Sie wagte es, auf #ks2003 mit den Händen ein Herzchen zu formen. Umstände und Intention völlig unbekannt. Das stört die Turbomoralisten nicht. Es ist so widerlich, was hier abgeht. #AfD
— Bernhard Zimniok (@BernhardZimniok) March 21, 2021
Bild: facebook
Text: red
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