83 Wohnungsdurchsuchungen: „Aktionstag gegen Hasspostings“ Das Bundeskriminalamt und die Meinungsfreiheit

In einer groß angelegten Durchsuchungsaktion hat die Polizei in verschiedenen Bundesländern 83 Wohnungen durchsucht wegen so genannter Hasskriminalität im Internet. Das Bundeskriminalamt (BKA) wurde tätig nach Hinweisen, dass deren Bewohner strafbare Kommentare im Internet verbreitet haben sollen.  96 Beschuldigte wurden zu den Vorwürfen vernommen, diverse „Tatmittel“ wie etwa Smartphones und Notebooks sichergestellt. Hintergrund der Aktion war der sechste Aktionstag gegen „Hasspostings“.

Das Bundeskriminalamt (BKA) begründet die weit reichenden Maßnahmen wie folgt: „Hass, Ausgrenzung und der Aufruf zu Gewalt muss auch im Internet mit den gleichen rechtsstaatlichen Mitteln begegnet werden können wie in der analogen Welt“. Weiter heißt es: „Die Bekämpfung von Hass und Hetze ist aber nicht nur Aufgabe der Polizei. Auch Sie können einen Beitrag dazu leisten: Anzeige erstatten: Wer auf Hasspostings im Netz stößt oder selbst Opfer wird, sollte dies bei der Polizei anzeigen.“

Dies ist insofern bemerkenswert, als „Hass“ eine Emotion ist, die man zwar durchaus als unschön bezeichnen darf, die aber weder durch das Grundgesetz noch ein anderes Gesetz verboten ist. Was bitte geht den Staat die Emotion seiner Bürger an? Auch „Ausgrenzung“ ist ein absolut dehnbarer Begriff. Wo endet die völlig legitime Wahl von Freunden und Bekannten und das Recht auf freie Meinungsäußerung und wo beginnt Diskriminierung? Die Ausdrucksweise des Bundeskriminalamts ist völlig inakzeptabel, weil sie die Grenze zwischen einer unschönen, aber legitimen Meinungsäußerung und einer Straftat – also Hasskriminalität – verwischt. Wenn eine oberste Bundesbehörde das tut und noch dazu im Zusammenhang mit der Durchsuchung von 83 Wohnungen, erinnert das an die Gepflogenheiten von autoritären Systemen und nicht von Demokratien.

Genauso schlimm: Die Verwendung des Begriffs „Hetze“ und der Aufruf an die Bürger, diese zu melden. „Hetze“ in dem Sinne, wie das Wort heute wieder gebraucht wird, als Umschreibung für Kritik an der Regierung und an Zuständen im Lande, geht auf die Nationalsozialisten zurück und wurde dann von den Sozialisten übernommen und perfektioniert. So gab es etwa in der DDR den Straftatbestand der „staatsfeindlichen Hetze“. Dass hier dieser missbräuchliche, belastete Begriff, den unsere Gesetze so nicht vorsehen, vom Bundeskriminalamt im Zusammenhang mit einem Aufruf an die Bürger verwendet wird, solches Verhalten zu melden, spricht den Grundsätzen einer freien Gesellschaft Hohn.

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Es mag sich um unglückliche Formulierungen handeln. Doch Pressemitteilungen gehen in einer obersten Bundesbehörde durch diverse Hände. Und allein deshalb zeigt die Wortwahl zumindest, welcher Geist sich beim BKA breit gemacht hat. Es steht hier zumindest der Verdacht im Raum, dass mit solch einer Vermischung von Begriffen bei den Menschen Angst geschürt wird, unliebsame Meinungen offen zu äußern. Volksverhetzung, Beleidigung, üble Nachrede und Aufrufe zu Gewalt waren auch bisher schon strafbar. Die Justizbehörden hatten sie auch bisher schon zu verfolgen. Was der Sinn von Aktionstagen sein soll außer Öffentlichkeitswirksamkeit, erschließt sich nicht. Fanden die Delikte alle in einem eng umgrenzten Zeitraum statt? Und vorher nicht? Oder wurde mit der Strafverfolgung so lange gewartet, bis der passende Aktionstag kam?

Das BKA hat eine „Zentralstelle zur Bekämpfung der Hasskriminalität im Internet“ aufgebaut. Dort sollen Hinweise „auf strafrechtliche Relevanz geprüft werden und die Urheber ermittelt werden“. Die Behörde ruft dazu auf, „Hasspostings“ bei der Polizei anzuzeigen.

Ich wurde Mitte August von Facebook für 24 Stunden wegen „Hassrede“ gesperrt für folgenden Post, der von dem Netzwerk gelöscht wurde: „Naive Frage: Nachdem jetzt selbst die Zigeuner-Soße umbenannt wurde in Paprika-Soße – was soll man aus dem ‘Zigeuner-Baron‘ von J. Strauss und aus dem Lied ‘Lustig ist das Zigeuner-Leben‘ machen? Paprika-Baron? Lustig ist das Paprika-Leben? Fragen über Fragen in diesen Zeiten.“

Später korrigierte Facebook den Fehler, die Löschung wurde rückgängig gemacht. Doch der Fall zeigt: Die Meinungen, was unter „Hassrede“ zu verstehen ist, gehen weit auseinander. Mit Sicherheit liegen die Messlatten bei Staatsanwälten und Richtern höher als bei angelernten „Prüfern“ von Facebook. Und man kann wohl davon ausgehen, dass die 83 Fälle, in denen Wohnungen durchsucht wurden, gravierend genug waren, dass dieser drastische Schritt gerechtfertigt ist.

Aber entscheidend ist die Signalwirkung: Sehr, sehr viele Facebook-Nutzer werden sich nach solchen dramatisch inszenierten Großaktionen noch mehr fürchten als bisher, ihre Meinung auf Facebook zu schreiben, wenn diese unbequem ist und heikle Themen betrifft. So wichtig und richtig eine strikte und strenge Strafverfolgung von echter Hasskriminalität ist: Dass zumindest der Anschein entsteht, der Staat wolle hier mit Großaktionen Einschüchterung betreiben, ist einer Demokratie unwürdig.

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Bild: Shchus/Shutterstock
Text: br
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