Bisher war es der weiße Elefant, der im Raum stand, und den niemand ansprechen durfte – ohne zu riskieren, für verrückt erklärt zu werden (was ich dennoch tat): Die Bundesregierung spielt in Sachen Ukraine ein doppeltes Spiel. Genauer gesagt nicht die ganze Regierung, aber Bundeskanzler Olaf Scholz und die SPD. Und die großen Medien spielen – bis auf wenige Ausnahmen – mit. Auf der einen Seite betont der Kanzler, dessen Markenzeichen das zynische Weglächeln von kritischen Fragen ist, Deutschland tue das Maximum für die Ukraine. In Wirklichkeit bremst und torpediert er, wo er kann. In einer Demokratie ist es legitim, unterschiedliche Meinungen zu haben zu dem Thema – und entweder eine maximale Hilfe zu befürworten oder nicht. Aber egal, wo man da steht: Das Lügen und Verhöhnen der Öffentlichkeit durch Scholz ist unerträglich. Ebenso wie der Umstand, dass die meisten Medien mitspielen und das decken.
Jetzt wird das Tabu-Thema endlich aufgegriffen – wenn auch meist zaghaft. Am deutlichsten äußerte sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter: „Ich befürchte, dass der Kanzler nicht will, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt“, sagte er am Sonntag bei Anne Will in der ARD: „Ich denke, der Bundeskanzler spielt auf Zeit.“ Denn Deutschland hätte schon lange schwere Militärgüter wie Marder und Leoparden in die Ukraine schicken können. Aber der Kanzler habe solche Lieferungen eben nicht abgesegnet. Seinen öffentlichen Bekenntnissen zum Trotz.
In die gleiche Stoßrichtung ging zuvor schon Kiesewetters Parteichef Friedrich Merz in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“– wenn auch vorsichtiger formuliert. Auf die Frage, was er von der Aussage von Scholz hält, bei Waffenlieferungen und Sanktionen hätten sich die Verbündeten an Deutschland orientiert, antwortete er: „Ich stimme dieser Aussage des Bundeskanzlers nicht zu. Die Darstellungen des Bundeskanzlers wechseln ja auch ständig. Jetzt scheint das aktuelle Narrativ zu sein, Deutschland befinde sich immer im Geleitzug mit allen anderen Verbündeten. Aber auch das stimmt eben nicht.“
Die Kollegen von der „Welt am Sonntag“ hakten nach: „Würden Sie so weit gehen, zu sagen, dass der Bundeskanzler lügt?“ Darauf Merz: „Manchmal ist die halbe Wahrheit schlimmer als die ganze Unwahrheit. Scholz lässt nicht nur das Parlament, sondern auch die deutsche Öffentlichkeit im Unklaren darüber, was die Regierung wirklich tut. Worte und Taten passen nicht zusammen.“
Merz hatte die Bundesregierung mehrfach kritisiert, weil sie in seinen Augen zu zögerlich ist bei Waffenlieferungen an die Ukraine. Im Interview führte er dazu aus: „Ich kann nur Herrn Hofreiter von den Grünen zitieren: ‘Das Problem sitzt im Kanzleramt.‘ Was geliefert wird, wofür Genehmigungen erteilt werden, das wird im Bundeskanzleramt entschieden. Wenn der Bundeskanzler sagt, er will das, dann wird das morgen gemacht. Aus Bundeswehrbeständen wurde bis jetzt so gut wie nichts an schweren Waffen geliefert. Aus der Industrie hören wir, dass Unternehmen seit Wochen auf Ausfuhrgenehmigungen warten. Gleichzeitig wird der Eindruck erweckt, es würde alles ganz schnell gehen. Der Bundeskanzler kann ja durchaus die Meinung vertreten, es dürften gar keine Waffen geliefert werden. Ich teile diese Meinung nicht. Aber man kann zu diesem Schluss kommen. Nur: Dann muss er es auch offen sagen.“
Merz legt seine Finger auch noch tiefer in die Wunden. Er sagt: „Deshalb fragen wir uns ja auch, warum ausgerechnet der Gepard geliefert werden soll, ein Flugabwehrpanzer, den die ukrainische Regierung gar nicht angefordert hat, dessen Nutzung extrem kompliziert ist und für den es keine Munition gibt.
Deutlicher als Merz wird Florian Hahn, CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Verteidigungsausschuss, in einem Interview mit dem Cicero: „Der Bundeskanzler will die Waffenlieferungen verschleppen“. Er beklagte die Ausweichtaktik von Scholz bei seiner Befragung in seinem Ausschuss – man sei „nicht zufrieden“ mit seinen Antworten: „Weil viele Fragen tatsächlich offen geblieben sind, beispielsweise die Fragen nach dem Flugabwehrkanonenpanzer ‘Gepard‘. Es ist weiterhin völlig unklar, wann die Geparden der Ukraine funktionstüchtig und munitioniert zur Verfügung stehen und ob die Ukraine dieses Gerät überhaupt angefordert hat. Oder auch beim Schützenpanzer ‘Marder‘ – wir wissen nicht, ob hier überhaupt eine Anforderung seitens der Ukraine vorliegt. Auf diese Dinge ist der Kanzler nicht eingegangen.“
Auf die Frage, warum die vom Bundestag beschlossene Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine stockt, antwortete der Christdemokrat: „Ich kann mir auch kaum erklären, dass man erst freudestrahlend verkündet, man würde jetzt Geparden liefern – und es bis heute keinen Vertrag gibt zwischen der Ukraine und der Firma, die diese Panzer herstellt. Auch die Munitionsfrage ist weitgehend ungelöst.“
Scholz verschleppe die Waffenlieferungen, so Hahn: „Beispielsweise beim Thema ‘Marder‘, den die Ukraine auch gern hätte. Von diesem Gerät, das wesentlich weniger komplex ist als der Gepard, steht bei der Industrie eine deutlich höhere Stückzahl auf dem Hof. Für das Bedienen der Marder ist noch dazu wesentlich weniger Ausbildung notwendig, und deshalb könnten sie der Ukraine sehr nützlich sein. Dennoch sind da für mich derzeit keinerlei Aktivitäten erkennbar, was die Auslieferung angeht. Das hat sich an diesem Mittwoch im Ausschuss auch nochmal bestätigt.“
Die „Bild“ glaubt gar an Betrug: Sie spricht in Sachen Geparden für die Ukraine von einem „Panzer-Bluff„. Das Blatt schreibt, die „Ampel“ habe die Marder-Lieferung für die Ukraine laut einem Geheimpapier aus dem Verteidigungsministerium regelrecht blockiert: Erste Rheinmetall-Panzer hätten binnen sechs Wochen instandgesetzt werden können.
Hoher Einsatz von Leib und Leben
Auf die Frage, woran das liegen könnte, antwortete Hahn: „Ich kann mir das nur so erklären, dass es weiterhin ideologische Hürden bei den Sozialdemokraten gibt; dass man sich dort einfach schwertut, den Beschluss des Bundestags für die Lieferung schwerer Waffen endlich auch umzusetzen. Und das, obwohl die Ukraine sich tagtäglich unter hohem Einsatz von Leib und Leben den russischen Invasoren widersetzt.“
Als „ziemliche Unverschämtheit“ kritisierte Hahn die Aussage des Kanzlers, er würde nicht für einen „Fototermin“ nach Kiew fahren: „Die große Stärke der Ukrainer besteht auch in ihrer Motivation und ihrem Patriotismus. Und wenn man das stärken kann durch einen Besuch, dann ist das allemal eine Reise wert.“
Auch die Bild hatte berichtet, dass die deutsche Industrie schon im April bereit war, Waffen zu liefern – aber Scholz den Rotstift angesetzt habe. Zuvor gab es bereits Klagen aus der Ukraine, die Bundesrepublik liefere die falschen Waffen. Auch die Polen fühlen sich beim vereinbarten Ringtausch von Waffen getäuscht.
Auch der Hinweis aus der SPD und ihr nahestehenden Medien, Waffenlieferungen würden die Gefahr eines russischen Militärschlages mit sich bringen, ist Hütchenspielerei: Andere Nato-Staaten liefern bereits Waffen, und auch diese wären nach dieser Logik einem russischen Militärschlag ausgesetzt – und aufgrund der Nato-Beistandsverpflichtung müsste Deutschland auf diesen genauso reagieren wie auf einen Angriff auf das eigene Land.
Offensichtlicher Betrug
Das Fazit: Scholz und die SPD – nicht die Grünen – betrügen in Sachen Ukraine die Öffentlichkeit dreist. Ein großer Teil der Medien, über Gebühren und Steuergelder etwa für Impfreklame ohnehin an der kurzen Leine der Regierung, verschließen davor die Augen.
Was treibt Scholz zu diesen Lügen? Ich halte den Verdacht von Kiesewetter, dass der Kanzler und große Teile der SPD gar nicht wollen, dass die Ukraine Putins Angriff erfolgreich zurückschlägt, für sehr begründet. Der CDU-Politiker fügte bei Anne Will hinzu, es sei ihm „schleierhaft“, warum Scholz keinen Sieg der Ukraine wolle. Dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze:
- Er hält Waffenlieferungen für zu gefährlich. Aber warum sagt er das dann nicht offen, spielt ein doppeltes Spiel und belügt die Öffentlichkeit?
- Moskau hat Druckmittel gegen ihn in der Hand (und westliche Staaten möglicherweise auch), etwa in Sachen Wirecard oder Cum-Ex und er kann nicht frei agieren.
- Seine frühere Nähe zum Kommunismus und zur DDR als Außenposten Moskaus ist gar nicht so sehr „früher“, und es gibt entweder Einflussmöglichkeiten aus Russland auf ihn oder er agiert aus eigener Überzeugung moskaufreundlich und gegen die Ukraine als Vorposten des bösen, kapitalistischen Westens.
Bild: Shutterstock
Text: br
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