Wer ist der gut aussehende junge Mann an Putins Seite? Spekulationen über möglichen Nachfolger – was ist dran?

Erinnern sich die Älteren unter Ihnen noch an den Begriff Kreml-Astrologie? So bezeichnete man vor dem Fall der Sowjetunion die Versuche westlicher Russlandexperten, anhand äußerer Anzeichen Einblick in das hermetisch abgeschottete Innenleben des Machtzentrums im Kreml zu bekommen. Eine wesentliche Rolle spielten dabei die Paraden auf dem Roten Platz: Wer neben wem auf dem Lenin-Mausoleum stand, wer fehlte, was in Reden angedeutet wurde und was verschwiegen – all das erlaubte Rückschlüsse auf die Machtverhältnisse, so zumindest der Glaube der Kreml-Astrologen.

David
Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Die Zeit der Kreml-Astrologie ist zurück gekommen, weil sich Wladimir Putin und sein System wieder wie anno dazumal die Sowjets hermetisch abschirmen. Umso interessanter ist, worauf mich ein sehr kompetenter Kreml-Astrologe nach der Siegesparade von Putin auf dem Roten Platz hinwies. Wobei er hinzufügte, fast so spannend wie seine Beobachtungen sei die Tatsache, dass sie im Westen nicht aufgegriffen würden. Wobei er eher davon ausgeht, dass dies an mangelnder Beobachtungsgabe und fehlender Russland-Kompetenz liege denn auf Absicht zurückzuführen sei.

Tatsächlich kam es nach der Parade, als Putin den Roten Platz verließ, zu einer bemerkenswerten Szene. Ein eher junger Mann schließt von hinten auf den von Leibwächtern umgebenen Putin auf, und beginnt ein Gespräch mit ihm – was Verteidigungsminister Sergej Schojgu, der auf der anderen Seite neben Putin läuft, seiner Miene nach überhaupt nicht gefällt. Der junge Mann spricht dann entschlossen auf Putin ein. Der blickt immer gequälter. Was ihm der Mann zu sagen hat, missfällt Putin ganz offensichtlich. Im Gespräch wird etwas aufgezählt, entsprechend bewegen die beiden Männer die Fäuste ihrer Hand (ansehen können Sie sich die Szene hier).

Putin, so die Interpretation des Kreml-Astrologen, werde immer unzufriedener über das Gespräch, blicke immer besorgter drein, bis er sich schließlich an Schojgu links von ihm wendet, der dann zwischen die beiden geht und den jungen Mann abdrängt. Er blickt Putin nun seinerseits verärgert hinterher, mit einem Gesichtsausdruck, den mein Kreml-Astrologe wertet als Verärgerung über Putin und Geringschätzung von diesem.

Was hat es mit dieser Szene, auf die in Deutschland offenbar niemand aufmerksam wurde, die aber in Russland Wellen schlug, auf sich? Das kroatische Portal „Slobodna Dalmacija“ machte eine Geschichte daraus, mit dem Titel: „Ist das Putins junger Nachfolger? Ein aussagekräftiges Video hat soziale Netzwerke ‚entflammt‘, es wurde enthüllt, wer es ist, Informationen sickern nur spärlich durch.“ Weiter heißt es in dem Text: „Sein Name ist Dmitri Kowaljow, er ist 36 Jahre alt und er kommt nicht aus dem Nichts – er ist ein Mitglied der Putin-Administration. Er wurde in der Baza-Datenbank von Telegram identifiziert. Spekulationen haben begonnen, aber reicht ein bloßes Gespräch beim Laufen für eine so kühne Annahme?“

Kowaljow leitet eine Abteilung der Präsidialverwaltung. „Was auf Kowaljow als seinen Nachfolger hindeuten könnte, ist die Tatsache, dass Putin laut einem Bericht von Associated Press einmal sagte, er erwäge die Heranbildung einer ‘neuen Generation junger Herrscher‘, die in der Lage sein würden, die Führung in Russland zu übernehmen“, schreibt Slobodna Dalmacija.

Ich finde: Aufgrund dieser einen Szene zu spekulieren, Kowaljow sei der mögliche Nachfolger Putins, ist absurd. Allerdings ist interessant, dass er offenbar das Ohr des Präsidenten hat. Und bei keinem westlichen Beobachter bisher auf dem Schirm war. Ich bat ein früheres hochrangiges russisches Regierungsmitglied nach seiner Beurteilung der Szene: „Man kann das alles rein interpretieren, sie sagt nichts zuverlässiges aus“, meint er: „Eine naheliegende Interpretation wäre, dass Putin um Informationen zu etwas gebeten habe, etwa dem Verlauf des Krieges, und der junge Mann ihm diese liefert, und Putin die Nachrichten nicht gefallen.“

Zumindest einen sicheren Informationsgehalt kann man aus der Sache herauslesen: Wie gering die Kenntnisse über die inneren Machtverhältnisse am „Hof“, also im Kreml sind, wenn selbst so eine Szene schon Anlass zu heftigen Spekulationen gibt.

Interessant ist auch, worauf mich mein Kreml-Astrologe noch hinwies. Dass etwa Generalstabschef Waleri Gerassimow auf der Parade fehlte. Der soll in der Ukraine verwundet worden sein. So schwer, dass er nicht zur Parade konnte? Oder ist er tatsächlich in Ungnade gefallen, wie es heißt? Oder war er einfach nur unabkömmlich? Eher unwahrscheinlich beim wichtigsten Feiertag, der religiösen Charakter hat. Aber Sie sehen schon – nichts Genaues weiß man nicht.

Mein Kreml-Astrologe machte mich noch darauf aufmerksam, dass Putin in seiner Rede den Krieg in der Ukraine als zweiten „Großen Vaterländischen Krieg“ bezeichnet habe. So nennt man in Russland den Zweiten Weltkrieg (um zu verschleiern, dass man an diesem zwei Jahre lang zunächst als Komplize Hitlers beteiligt war, bevor dieser 1941 die Sowjetunion überfiel). Auch hier ist es aber wieder so, dass sich Putin, wie es seine Art ist, so vieldeutig ausdrückt, dass man ihm eine solche Gleichsetzung unterstellen kann, und sie wirklich naheliegt – dass man aber auch sagen könnte, er habe eine solche Gleichsetzung unterlassen.

Eindeutig dagegen ist, dass er kein einziges Mal das Wort Ukraine in den Mund nahm in seiner Rede.

Weil die nach seiner Lesart gar nicht existiert bzw. keine Existenzberechtigung hat – obwohl Russland sogar einen Freundschaftsvertrag mit ihr abgeschlossen und ihre Grenzen anerkannt hat. Mehr noch: Im Budapester Memorandum hat sich Russland im Gegenzug für den Verzicht der Ukraine auf Atomwaffen (auf den die USA gedrängt und den sie auch bezahlt hat) verpflichtet, Garant für die „territoriale Ganzheit“ der Ukraine zu sein.

Der Rest ist Geschichte.

Bild: kremlin.org
Text: br

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