„Aus wirtschaftlichen Gründen“ Brisante Nachricht, die dezent versteckt wird

Ich muss es ganz offen gestehen: Ich dachte zuerst, das sei wohl ein Fake, also eine Fälschung, als mir ein Leser das Foto einer Zeitungsseite aus dem Hamburger Abendblatt zuschickte, auf der in großen Lettern folgende Überschrift prangte: „Intensivbetten bleiben ungenutzt“. Und darunter folgende Unterzeile: „Ende des Jahres schließt die Lungenfachklinik am Forschungszentrum Borstel. Pflegepersonal ist freigestellt.“ Das könne doch gar nicht sein, sagte ich mir – in Zeiten, wo Politik und Medien in Dauerschleife vom Pflegenotstand und vom Fehlen von freien Intensivbetten schreiben. Und da heute ja Böhmermann und Konsorten – teilweise auch auf Kosten der Gebührenzahler – einen neuen Volkssport darin finden, nicht staatlich gehätschelte oder bezahlte Journalisten, die weniger Ressourcen haben, in die Irre zu führen, schrieb ich dem Leser die Frage zurück, wie die Meldung zu verifizieren sei.

Im Gegensatz zu mir fand er sie auf der Internet-Seite des Abendblattes. Allerdings ist sie dort nur hinter einer Bezahlschranke zu sehen. Weil sie die Bürger beunruhigen könnte? Die Überschrift: „Fragwürdig: Lungenklinik mit zwölf Intensivbetten schließt“. Weiter steht da: „Lungenfachklinik am Forschungszentrum Borstel macht dicht. Pflegepersonal ist freigestellt, darf aber nicht anderswo arbeiten.“ Wie bitte kann das sein? Wie ist es möglich, dass bundesweit die Freiheiten der Bürger massiv beschnitten werden, ja Ungeimpfte faktisch zu Bürgern zweiter Klasse herabgestuft werden mit der zentralen Begründung, es fehle an Intensivbetten und vor allem auch an Pflegepersonal – und hier Pflegekräften faktisch die Arbeit verboten wird? 

„Die meisten Ärztinnen und Ärzte sind bereits fort, das Pflegepersonal ist mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Der letzte Patient hat die Klinik am 25. November verlassen“, heißt es hinter der Bezahlschranke: Da in Schleswig-Holstein und Hamburg keine Klinik bereit gewesen sei, ihn zu übernehmen, musste der Tuberkulose-Kranke nach Berlin verlegt werden – 330 Kilometer entfernt. Die Lungenfachklinik mit insgesamt 81 Betten ist Teil des  Forschungszentrum Borstel. „Dessen Kuratorium, in dem Vertreter des Landes und des Bundes die Mehrheit haben, hatte im Sommer beschlossen, die Klinik Ende des Jahres aus wirtschaftlichen Gründen zu schließen“, schreibt das Handelsblatt: „Aufgrund ihrer Größe und der gesundheitspolitischen und -ökonomischen Rahmenbedingungen sei der weitere Betrieb nicht ohne erhebliche wirtschaftliche Verluste zu gewährleisten, hieß es.“ Wie bitte? Mitten in der Corona-Krise? von einem Kuratorium, in dem Staatsvertreter die Mehrheit haben? Wie kann das bitte sein?

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Pünktlich zum Fest wieder lieferbar: Das Original aus der Bundespressekonferenz.

„Es ist kaum vermittelbar, dass man mitten in der vierten Welle eine Lungenfachklinik mit bis zu zwölf Intensivbetten und eine von zwei zertifizierten Weaning-Stationen im Land schließt“, mit diesen Worten zitiert das Blatt hinter der Bezahlschranke Christoph Lange, den medizinischen Direktor des Forschungszentrums Borstel. In der Tat – das ist wirklich kaum vermittelbar. Weaning-Stationen dienen der Entwöhnung langzeitbeatmeter Patienten von der Beatmungsmaschine. Gerade solche Stationen sollten angesichts der häufigen Beatmung von COVID-19-Patienten aktuell dringend notwendig seien, sollte man meinen. Umso erstaunlicher die Schließung.

Weiter steht in dem Beitrag, den leider nur Abonnenten lesen können: „Die Intensivbetten in Borstel sind nicht belegt, das Pflegepersonal ist gekündigt. Die Kündigungsfristen bei den vielen langjährig Beschäftigten im Hause dauern bis Ende März 2022. Bis dahin sind diese Mitarbeiter:innen freigestellt. Das bedeutet: Sie dürfen nicht woanders arbeiten, wenn sie nicht auf die Entschädigungen aus dem Sozialplan verzichten möchten – in Zeiten, in denen an allen Ecken und Enden Pflegepersonal fehlt, ist das nur schwer nachvollziehbar.“

Einerseits kommen die Kollegen in diesem Fall zwar ihrer Pflicht zur kritischen Berichterstattung korrekt nach. Andererseits sabotiert die Redaktionsleitung diese faktisch dadurch, dass sie den Beitrag hinter eine Bezahlschranke stellt. In Zeiten, in denen die großen Medien ständig Einzelfälle, die ihr Narrativ von hoffnungslos überfüllten Intensivstationen bedienen, massiv aufblähen und ganz oben auf den Seiten groß präsentieren, wird die Nachricht aus Norddeutschland geradezu schamhaft in einem Regionalblatt versteckt und in den anderen offenbar weitgehend verschwiegen. Zumindest bringt eine Suche bei „Google News“ mit den Schlagworten „Lungenklinik“ und „Borstel“ kein Ergebnis außer dem Beitrag im Abendblatt.

Wenn es wirklich zutrifft, dass um jedes Intensivbett gekämpft wird, und Pflegepersonal an allen Ecken und Enden fehlt – wie ist dann die Nachricht aus dem hohen Norden einzuordnen? Fragen über Fragen.

 

Bild: Shutterstock
Text: br

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