Ein Gastbeitrag von Alexander Wallasch
Ich versuche es über Google Maps. Die grüne Kanzlerkandidatin ist in Schulenburg (Pattensen) bei Hannover aufgewachsen, dort frisiert Lisa Haare, also warum nicht mal anrufen, was die Friseurmeisterin so über den Kopf von Baerbock hinweg zu erzählen hat?
Leider erwische ich nur den Anrufbeantworter. Die Ansage berichtet mir überraschenderweise von einer freudigen Impfbereitschaft der Friseusen. Wohl die Chefin selbst hat aufgesprochen: „Ihr Liiiieben! Wir werden heute endlich das erste Mal unsere Corona-Impfung bekommen. Und sind von daher heute nicht mehr im Geschäft zu erreichen. Ähm, ihr erreicht uns morgen wieder von 9:00 Uhr bis 12:00 Uhr. Wenn es um Terminabsagen geht, könnt Ihr die auch gerne aufs Band sprechen. Habt eine schöne Zeit und bis dann! Liebe Grüße.“
Probieren wir es also weiter beim Eis-Café Blume um die Ecke. Die Eisverkäuferin ist freundlich, verweist aber auf die lange Schlange vor der Tür, draußen seien über 30 Grad, also soll ich bitte den Chef des Cafés zu Hause anrufen – immerhin, die Nummer rückt sie raus, weil der Journalist so freundlich fragt.
Und Annalena Baerbock, die schönste Blume der Stadt? Nein, die hätte bei ihr noch kein Eis gegessen, die Grüne wäre aber auch unter den Gästen kein echtes Thema. Die Frau vom Chef des Eishauses ist die Ortsbürgermeisterin von Schulenburg, erfahre ich noch, eine Christdemokratin. Ob da echte Baerbock-Freude ausbricht?
Der Ehemann und Chef des Eishauses ist am Telefon. Sein Eis, soviel hatte zuvor die Mitarbeiterin verraten, ist hausgemacht. Nicht so dahingesagt, sondern tatsächlich selbst gema(cht)tscht.
Frank Blume kann zu Baerbock leider nichts sagen. Er ist zwar Schulenburger, kennt sie aber nicht. Frau Baerbock sei doch „viel, viel jünger. Die ist mir völlig unbekannt.“ Ob Baerbock ein Thema sei im Ort, will ich noch wissen … „Nee, nee, nee.“ Warum er denn so gar nichts wüsste über die zukünftige Kanzlerin… „Ich glaube auch nicht, dass das die Zukünftige wird“ unterbricht Herr Blume lachend. Als Eis-Spezialität empfiehlt die Eis-Blume per Internet die Splitter-Eis-Torte.
Der besonders freundliche Reifenhändler
Also weiter durchgefragt. Da gibt es einen Reifenhändler im Ort, der könnte vielleicht mehr wissen. Nett sind alle Schulenburger, die ich bis hierher angesprochen habe. Der Reifenhändler ist besonders freundlich. Und er ist zusammen mit Annalena auf der Grundschule gewesen! Nur eine Klasse unter ihr, erinnert er sich.
Vier Klassen hätte es damals gegeben in der Grundschule Schulenburg, weiß der Mann vom Reifen-Service. Annalena sei erst jetzt ein Thema geworden, denn „bisher war das immer der Prügelprinz“, lacht der Reifenhändler über die örtliche Prominenz. Gemeint ist Prinz August, der hier zu Hause war und dessen legendäre Schirmattacke auf einen Reporter in Schulenburg passiert sei.
Natürlich will ich noch wissen, ob man die Kanzlerin in spe ab und zu noch mal im Ort flanieren sieht. Und tatsächlich will mein Gesprächspartner Annalena Baerbock zu Weihnachten vor zwei Jahren mit der ganzen Familie in der Schulenburger Kirche zur Christmesse gesehen haben.
Ich will wissen, ob in Schulenburg denn nur Grüne unterwegs seien. „Was soll ich denn jetzt dazu sagen?“, lacht er. Und dann macht er aus seinem und dem Herzen der Schulenburger keine Mördergrube und sagt mit hörbarem Augenzwinkern: „Keiner mag die Grünen im Ort.“
Die CDU und die unabhängigen Wählergemeinschaften seien stattdessen beliebt im Ort. „Die Grünen sind auf dem Dorf – eigentlich bei allen Ländlichen – nicht wirklich beliebt“, drückt er es höflich aus. „Sie können ja mal einen Bauern fragen, was der zu den Grünen sagt!“, gibt er mir als Ratschlag mit auf den Weg.
Aber dann fällt ihm doch noch etwas zur prominentesten Blume der Stadt ein: Frau Baerbock sei „so durchgelaufen“ in Schulenburg. Aufgewachsen ist sie, Baerbock, meint er zu wissen, in einer Art Herrenhaus im alten Dorf auf der Straße, wo die alte Schule stand. Reifen hätte Frau Baerbock bei ihm übrigens noch nie gewechselt, „leider nicht“. Auch der „Prügelprinz“ nicht, den traf man früher aber ab und zu auf dem örtlichen Schützenfest.
Hübsch und sportlich
Annalena Baerbock traf man eher mal im Schwimmbad im benachbarten Nordstemmen, erzählt er weiter, die war „hübsch und sportlich“ gewesen. Und „wenn man sich mal im Freibad gesehen hat, dann hat man die schon wahrgenommen. Sie ist nicht hässlich und sie war nie hässlich! Aber nageln sie mich bitte nicht damit fest“, schmunzelt er, „es gab auch andere hübsche Mädchen.“
„Danke für das nette Gespräch“, sage ich. Aber jetzt muss noch der Landwirt aus Schulenburg ran. Ich mache mich also auf die Suche.
Und tatsächlich sind auch die Landwirte in der Region so nett und auskunftsfreundlich wie der Eismatscher und der Reifen-Service. Allerdings erwische ich wohl ausgerechnet jenen Bauern, der mit der grünen Idee nicht über Kreuz liegt, wie der Reifenmacher zuvor verallgemeinernd angedeutet hatte.
Der Landwirt aus dem acht Kilometer entfernten Jeinsen weiß persönlich von Frau Baerbock nur, dass die mal bei ihm im Ort in der Mädchenmannschaft von TuSpo Jeinsen Fußball gespielt hat. Das Haus der Baerbocks hat er sich mal angeschaut. „Nein, Landwirtschaft ist da nicht.“ Öko-Bauer sei er zwar nicht, er mache konventionelle Landwirtschaft, er hätte aber nichts gegen die Grünen. Die Landwirtschaftspolitik käme ja von der EU-Ebene. Man müsse halt abwarten, was kommt – „Ich habe da keine Angst vor.“
Und der Landwirt, dessen Familie seit acht Generationen auf dem Hof lebt, empfindet das auch nicht so, dass Annalena Baerbock eine aus der Region wäre. „Was ist aus der Region? Die hat ihre Kindheit und Jugend in Schulenberg verbracht, jetzt ist sie im Wahlkreis Potsdam.“ Er würde jedenfalls nicht von heute auf morgen nach Potsdam gehen. „Ich bin auch nicht mit der Landwirtschaft in den Osten gegangen vor dreißig Jahren.“
Mein Landwirt aus Jeinsen bei Schulenburg macht auf „Weizen, Gerste, Zuckerrüben, ein bisschen Mais“. Und die Flächen, die er beackert, da haben schon viele Generationen vor ihm aus seiner Familie den Pflug geführt und dem Acker die Frucht abgerungen.
Im Schatten so einer langen Familiengeschichte ist die Geschichte um ein nettes Mädchen aus Schulenburg, die sich einmal anschickte, die Kanzlerin von Deutschland zu werden, dann aber doch nur eine Geschichte von vielen. Eine, die man sich in späteren Generationen in Schulenburg erzählen, die man aber auch getrost vergessen könnte.
Und wie ging nochmal die alte Bauernregel? „Septemberwetter warm und klar, verheißt ein gutes nächstes Jahr.“ Ob das nun auch auf die Bundestagswahl im September zutrifft?
Dieser Beitrag ist zuerst auf Alexander Wallaschs Blog www.alexander-wallasch.de erschienen.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig für Szene-Magazine Kolumnen. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Volkswagen tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: photocosmos1/ShutterstockText: Gast