Ein Gastbeitrag von Mario Mieruch, Bundestagsabgeordneter (fraktionslos)
Nachdem es in der Vergangenheit hinter den Kulissen seitens der Fraktionen bereits Unmut darüber gab, dass die fraktionsfreien Abgeordneten ihr Rederecht aktiv und entsprechend häufig nutzen, scheint man seitens des Präsidiums zudem besonders bemüht, diesen freien Abgeordneten keinerlei öffentlichkeitswirksame Aufmerksamkeit im Parlamentsbetrieb geben zu wollen.
Unterbrach Hans-Peter Friedrich unlängst eine Sitzung, um einen eilig eingereichten Änderungsantrag von Uwe Kamann, Frauke Petry und mir 700xfach kopieren und verteilen zu lassen, statt ihn vorzulesen, so erlebte der Bundestag am 08.10.2020 zur Debatte rund um die Wahlrechtsreform eine ganz neue Verfahrensweise. Als Vorletzter der Rednerliste reichte ich einen Änderungsantrag zur zweiten Lesung ein, der lediglich einen einzigen Satz enthielt. Zusammen mit Petry und Kamann beantragte ich, die Sperrklausel von fünf auf drei Prozent zu reduzieren, und dass eine Partei bereits beim Gewinn eines Direktmandates im Bundestag vertreten sein sollte.
Das einfach vorzulesen, hätte kaum 20 Sekunden in Anspruch genommen. Vizepräsidentin Petra Pau von der „Linken“ entschied sich jedoch, den parlamentarischen Dienst erneut zum Kopierer zu schicken. Aufgrund der vorgeschriebenen Formalien bedeutete dies, wenig nachhaltig 1400 Seiten zu bedrucken. Während Philipp Amthor (CDU) die Rednerliste komplettierte, konnte im Plenarsaal beobachtet werden, wie die Kopien des Änderungsantrages an einige Dutzend Abgeordnete verteilt wurden.
Nun standen jedoch zwei namentliche Abstimmungen an und so füllte sich der Saal von allen Seiten und der dabei übliche Trubel sorgte für entsprechende Unübersichtlichkeit. Die namentlichen Abstimmungen konnten aber erst aufgerufen werden, nachdem der Änderungsantrag behandelt wurde. Und dieser war weder fertig kopiert noch an alle im Saal verteilt.
Frau Pau fand ihre ganz eigene Lösung und fragte das Plenum, ob noch irgendwer den Änderungsantrag überhaupt benötige. Nachdem sich keiner meldete, wurde dieser dann sofort gegen die Stimmen der Antragsteller einstimmig abgelehnt.
Es lässt sich also resümieren, dass Anträge fraktionsfreier Abgeordneter nicht den gleichen Stellenwert besitzen wie jene aus den Fraktionen. Natürlich schon gar nicht, wenn es um die Zusammensetzung des Bundestages und die daraus resultierenden Änderungen von Versorgungsstrukturen geht. Denn von den Fraktionen hat unterm Strich eigentlich keine wirklich ernstgemeinten Bedarf auf eine Verkleinerung des Hauses, denn die träfe ja am Ende alle. Wie sehr sich dabei ausnahmslos alle Parteien gleichen, zeigt sich in dem Umstand, dass aufgrund der nicht erfolgten vollständigen Verteilung des Änderungsantrages wohl weit über die Hälfte der Anwesenden quer über alle Fraktionen überhaupt nicht wusste, worüber abzustimmen war.
Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht. Das Rütteln an den Trögen der Steuerzahler in die Entscheidungsfindung derer zu legen, die davon betroffen sind, entbehrt schon nicht einer gewissen Komik. Dass die FDP, die sich für einen eigenen Antrag mit den Grünen und den Linken zusammenschloss (der Antrag der GroKo benachteiligte sie alle gleichermaßen), die Reduzierung der Sperrklausel ablehnte, könnte sie 2021 hart einholen. Unverdient wäre es nicht. Aber auch die AfD hat bereits vergessen, woher sie kam und wie wichtig ihr breite demokratische Partizipation einst war. Es sind eben doch alles nur Parteien.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Mario Mieruch, geboren 1975 in Magdeburg, ist Diplom-Ingenieur für Mechatronik. Er wurde im September 2017 über die Landesliste der AfD Nordrhein-Westfalen in den Bundestag gewählt; am 4. Oktober 2017 trat er aus der AfD-Bundestagsfraktion aus und verließ die Partei. Seither ist er fraktions- und parteiloser Abgeordneter. Sein Blog ist hier zu finden.
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Text: gast