Corona-„Ketzerei“ jetzt auch bei WDR und RBB Journalistisches Pandemie-Tauwetter bei den Öffentlich-Rechtlichen?

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, schrieben viele Leser nach einem Bericht über die „ARD-Extra“-Sendung vor wenigen Tagen hier. Was da zu hören und zu sehen war, galt zuvor noch als Corona-„Ketzerei“ und hätte jedermann in Gefahr gebracht, als Verschwörungstheoretiker diffamiert zu werden. Die Kollegen gingen unter anderem mit dem eigenen Sender ins Gericht. Faktisch kritisierten sie Panikmache in der Berichterstattung. Und sie forderten einen ganz anderen Umgang mit der Corona-Krise. Viele Zuschauer rieben sich verwundert die Augen. Kritiker der Corona-Politik waren begeistert, ihre Verteidiger entsetzt!

Und jetzt das! Vier Tage nach dem Dammbruch in der ARD legt der WDR nach. In der Sendung „Ihre Meinung“ kamen völlig unzensiert heftige Kritiker der Maßnahmen zu Wort. Und wurden dafür auch noch vom Publikum mit großem Applaus bedacht in der Sendung, die als Zuschauerdialog konzipiert ist. Als der Internist und Kardiologe Hans-Rudolf Milstrey aus Viersen forderte, „alle existenzbedrohenden und gesellschaftsspaltenden Maßnahmen so schnell wie möglich zu beenden“, brandete spontan und mitten im Satz Beifall auf (siehe hier).

„Ärzte beachten zum Wohle des Patienten ihre eigenen Prinzipien, die ethisch begründet sind oder aber evidenzbasiert in der Therapie sein müssen. Aber ich habe in den letzten Monaten zunehmend erlebt, dass die offizielle Regierungspolitik unverhältnismäßig wird oder schon relativ schnell war, und dass gewisse Regeln nicht beachtet werden, die wir als Ärzte zu beachten haben“, so der Viersener Mediziner: „Nämlich, Du sollst erstens nicht dem Patienten schaden, das heißt, die Therapie darf nicht schädlicher sein als die Erkrankung, und Du darfst den Patienten nicht erschrecken, in Panik oder in Angst versetzen, da fallen mir 300.000 Tote zu Anfang auf. Das Wichtigste dabei ist, dass der Test, der PCR-Test, der die alleinige Grundlage für politisches Handeln ist, weder eine Infektion noch eine Infektiosität nachweist. Und dass ein Prozent positiv sind, und wenn wir nur Gesunde testen, wir mit dem falschen Grundrauschen des Tests nie mehr aus der Pandemie herauskommen“. Der Arzt bekam für diese Aussage kräftigen Applaus.

Selbst bei den eingeblendeten Zuschauer-Zuschriften traute man zuweilen seinen Augen nicht:

Als das erste Zitat eingeblendet wurde, gab es ebenfalls spontanen Applaus. Sodann kam der Münsteraner Verfassungsrechtler Oliver Lepsius zu Wort. Was der sagte, konnte man kaum glauben: Die Moderatorin fragte ihn, ob die Einschränkungen der Grundrechte verfassungswidrig seien (anzusehen hier). Seine Antwort: „Der Lockdown im März und April ist in jedem Fall verfassungswidrig gewesen, jedenfalls in weiten Teilen.“ Spontaner Applaus. „Warum“, hakte die Moderatorin nach. Die Antwort von Lepsius: „Weil unverhältnismäßig gehandelt wurde, es sind zahlreiche Maßnahmen ergangen, die nicht gerechtfertigt werden können“. Man müsse den Entscheidungsträgern zwar zu Gute halten, dass sie damals nicht über alle Kenntnisse verfügt haben und müsse deshalb großzügig sein in der Beurteilung der Verantwortlichen. „Diese Großzügigkeit können wir ihnen heute aber nicht mehr geben“, mahnte der Verfassungsrechtler: „Es wird keinen neuen Lockdown geben, der wäre in der Form, wie wir ihn erlebt haben, heute rechtswidrig!“

Völlige Kehrtwende

Vergleicht man diese Sendung mit früheren, und macht man sich bewußt, wie durch die Auswahl des Publikums und der Gäste bei solchen Sendungen gesteuert wird, gleicht das Gesendete einer völligen Kehrtwende. Zumal auch der RBB kurz zuvor überraschend in einem Bericht (Zeitmarke 5:38) bisher für die Öffentlich-Rechtlichen sehr unübliche Töne angeschlagen hatte: „Die vom Senat beschlossenen Maßnahmen werden von Experten auch kritisch gesehen. Der Hamburger Virologe Professor Jonas Schmidt-Chanasit hat sich dafür ausgesprochen, die neuen Corona-Regeln auf ihre Verhältnismäßigkeit hin zu prüfen. Darüber, dass für Gastronomen eine Sperrstunde eingerichtet werden soll, könne man sich streiten, sagte der Virologe, „weil das ja oftmals unter bestimmten Hygieneplänen stattfindet und eigentlich eher um die korrekte Umsetzung geht‘“.

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Weiter hieß es in dem Sender: „Der Chefarzt der Berliner Lungenklinik Emil von Behring, Torsten Bauer, regte an, die Corona-Maßnahmen an der Zahl der tatsächlich Erkrankten und nicht an den Infektionszahlen zu orientieren. ‘Wir als Ärzte glauben natürlich, es zählen nur die, die wirklich krank sind. Und das sind letztendlich die, die im Krankenhaus behandelt werden müssen.‘“ Aktuell würden hauptsächlich Menschen zwischen 20 und 40 Jahren infiziert, diese würden aber nicht so schnell krank, sagte Bauer am Dienstagabend im rbb-Fernsehen. Unter den positiv Getesteten seien auch Menschen, die gar keine Symptome zeigten. Und weiter: Derzeit würden in Berlin 44 Covid-19-Patienten… auf der Intensivstation liegen, so Bauer. „Das ist eine sehr niedrige Zahl.“ Und davon seien einige noch aus der ersten Infektionswelle.

Ja, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Auch mehrere Schwalben noch nicht. Aber wenn sie so vermehrt auftauchen, macht das doch etwas Hoffnung. Auf eine zumindest teilweise Rückkehr vom Verlautbaren der amtlichen Positionen zurück zum kritischen Journalismus. Zumindest ein erster Schritt ist getan. Und bei aller Skepsis sollte man den nicht gleich zerreden, sondern auch einmal das Positive sehen. Denn nicht zuletzt gilt: Kaum etwas ist so fruchtbar wie gezählte Zweifel. Und die zeichnen unsere westliche Kultur aus und sind die Haupt-Errungenschaft der Aufklärung.

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Ich bitte um Nachsicht für Flüchtigkeitsfehler – die Leserbriefe mit Hinweisen auf die beiden Sendungen haben mich so elektrisiert, dass ich gleich spät nachts noch darüber schreiben musste – damit Sie es gleich in der Früh lesen können. Für Korrekturhinweise (an [email protected]) bin ich sehr dankbar! Meine fleißigen Mithelfer, die sonst die Texte vorab oder zumindest zeitnah korrigieren, werden diese Hinweise dann gleich in der Früh einbauen! Tausend Dank!


Bilder: WDR/Screenshots
Text: br


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