Corona-Kollateralschäden: Völlig abgestürzt

In den Medien wird wenig über die „Kollateralschäden“ der Corona-Maßnahmen geschrieben. Deshalb finde ich es wichtig, auch Betroffene direkt zu Wort kommen zu lassen. Diesen im Frühjahr geschriebenen, berührenden Text hat mir Franziska Weißgerber geschickt, Soziologie-Studentin in Leipzig und 23 Jahre alt. Ich habe mich entschlossen, ihn zu veröffentlichen, auch wenn er befremdend und schockierend sein mag. Ich finde es wichtig, das faktische Tabu zu brechen und diesen Text als Dokument einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen – zeigt er doch, welche dramatischen Folgen die politischen Entscheidungen im Einzelfall haben können. Diese Folgen müssen zumindest bekannt sein.Frühjahr 2020 – die körperliche Gesundheit scheint an oberster Stelle zu stehen.

Die neuartige Atemwegserkrankung Covid-19 breitet sich rasant aus. Einen schweren Verlauf gibt es in 20% der Fälle, die Sterberate liegt bei 4,7%. Am 10.03. befinden sich die Infektionszahlen in Deutschland auf dem Höchststand, am 16.03. tritt offiziell ein Lockdown in Kraft. Über mehrere Wochen dürfen wir nur nach strengen Regeln das Haus verlassen. Aus Solidarität mit der Risikogruppe, verzichten wir auf Sozialität, Einkommenssicherheit und somit auch auf eine gesunde Psyche. Soziale Isolation heißt es fortan. Für psychisch gesunde Menschen, Wohnungsgemeinschaften und intakte Familien kein allzu hoher Preis.

Doch was ist mit psychisch instabilen Menschen? Was ist mit sozial schwachen Familien und denen, die nun ihren Job verloren haben? Leben wir gerade echte Solidarität? Oder könnte dieses Gefühl etwas unreflektiert sein? Und uns all das nur das Gefühl geben, gute Menschen zu sein?

Durch die Angst vor Covid-19 werden Psychotherapien gekappt. Die ambulanten Gruppenangebote und Gesprächstherapien finden nicht mehr statt. Die 24-jährige Lisa etwa erlebte eine Zeit der Verzweiflung. Das Mädchen mit posttraumatischer Belastungsstörung wurde therapeutisch, sozial und finanziell allein gelassen. Sie berichtet von Vereinsamung, Depressionen, Schlafstörungen, kein Geld vom Arbeitsamt und dem Nicht-stattfinden des nötigen Wohnungswechsel. Anfang März bittet sie in der Uniklinik Leipzig um stationäre Aufnahme. Dorthin darf sie nur, wenn ein Vorgespräch stattgefunden hat, welches aufgrund der Maßnahmen nicht möglich ist. „Zwischendurch habe ich mir überlegt die Arme aufzuschneiden, in der Hoffnung, endlich Hilfe zu bekommen“, sagte sie mir: „Wenn meine Eltern mich nicht ab und an aufgenommen und mir Geld gegeben hätten, weiß ich nicht, was passiert wäre.“ Bis heute hat sie keine therapeutische Hilfe bekommen. „Ich bin sehr unsicher, wie es weitergeht.“

Auch mir wurde die Psychotherapie abrupt verweigert. Gleichzeitig verlor ich meinen Nebenjob, welcher mir Struktur und Stärkung ermöglichte. Durch die soziale Isolation wurde mir kurzerhand der Boden unter den Füßen weggerissen. Es folgten ein paar Wochen mit extremen Alkoholabstürzen – Übertönung der Langeweile – und erneuter Depression.

K. Thorwarth, Leiterin der AWO-Familienhilfe Leipzig erzählt: „Normalerweise arbeiten wir

ressourcenorientiert, durch die Beschränkungen mussten wir auf defizitär umsteigen, was sich kontraproduktiv auf die Eltern auswirkt. Während des Lockdowns gab es massive

Überlastungssituationen für Eltern und Kinder. Viele haben keine Arbeit, sie brauchen das Flanieren, die täglichen Treffen auf dem Spielplatz und die Kindereinrichtungen. Es wird ein Anstieg problembelasteter Familien auf uns zu kommen, da Lehrer Kindeswohl-Gefährdungen derzeit nicht anzeigen können.“ Des weiteren nutzen Familien den Lockdown aus, um die Familienhelfer nicht bei sich zu haben. Doch brauchen diese Familien dringend Hilfe.

Aus einer Klinik in Fulda berichtet Dipl.-Psych. K. Bauer dagegen positiv. Telefonkontakt und reduzierte Gruppen fanden die gesamte Zeit statt, sie hat nicht den Eindruck, dass ihre Patienten stärker litten.

Ist es gerechtfertigt, die jüngere Generation, die ihr Leben noch vor sich hat, so zu vernachlässigen?

Sollten wir nicht die gesamte Bevölkerung im Blick haben? Während sich die Risikogruppe schützen kann, können es psychisch instabile und sozial schwache Menschen nicht. Therapie, Existenzsicherheit und Sozialität sollten immer gegeben sein, sonst geht die Gesellschaft kaputt.


Franziska Weißgerber, 23, studiert Soziologie in Leipzig. Nach reiflichem Nachdenken hat sie sich entschlossen, ihre persönlichen Erfahrungen mit den Covid-Maßnahmen öffentlich zu machen – weil sie möchte, dass die Probleme nicht weiter verschwiegen werden und eine öffentliche Diskussion stattfindet. In meinen Augen ist das ein mutiger Schritt.

 

 

 

 

 


Bild: Shutterstock

Text: Gast

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