Von Alexander Wallasch
Schweden hat kaum mehr als zehn Millionen Einwohner, entsprechend einzuordnen sind auch Zahlen rund um Corona-Infektionen, will man hier brauchbare Vergleiche ziehen. Auffällig ist auf jeden Fall, dass die Covid-Todesfälle in Schweden seit Februar massiv zurückgegangen sind und aktuell, wie etwa das Portal „Achgut“ berichtete, Mitte Juli „praktisch auf Null gesunken“ sind.
Nun gut, so ein Rückgang ist auch andernorts festzustellen. An den schwedischen Zahlen ist allerdings interessant, dass das schwedische Modell – der sogenannte „schwedische Sonderweg“, also der Umgang mit der Pandemie, viel lockerer gehandhabt wurde und wird als anderswo in Europa und deshalb stark umstritten ist. Oder präziser: Von Verfechtern harter Einschränkungen und Beschränkungen der Grundrechte in anderen Ländern teils massiv diffamiert und diskreditiert wurde.
Wie also soll man nun mit den gegen Null ausgelaufenen Fallzahlen in Schweden umgehen, was die Covid-Infektionen mit Todesfolge angeht? Ist es Zeit, Abbitte zu leisten? Kandidaten gäbe es ja genug. Das ZDF fragte noch im Mai 2021: „Die Inzidenz in Deutschland sinkt unter 50, während sie in Schweden zuletzt bei 168 lag. Ist der schwedische Sonderweg gescheitert?“ Offensichtlich nicht, folgt man den Zahlen im Juli 2021.
Achgut vergleicht Schweden mit Deutschland und bescheinigt Berlin, einen Zyklus der Angst am köcheln zu halten, während man Schweden attestierte, dass Geschäfte und Schulen in Land der Elche beinahe uneingeschränkt geöffnet blieben und bleiben. „Eine Maskenpflicht gibt es nicht, die schwedischen Gesundheitsbehörden empfehlen sie nicht einmal. Die Gesamtsterblichkeitsrate in Schweden lag 2020 niedriger als in den meisten anderen europäischen Ländern.“ In Schweden gab es keine mit jenen in Deutschland vergleichbaren Lockdowns.
Wo es in den Vergleich Deutschland – Schweden geht, ist noch ein bestimmter Blickwinkel interessant: Denn bei aller Kritik an diesem unheilvollen Dreigespann aus Christian Drosten, Lothar Wieler und – eingeschränkt – Karl Lauterbach – auch die schwedische Regierung leistet sich einen wissenschaftlichen Berater in herausragender Stellung, dessen Vorschläge auf besondere Art und Weise Gehör finden: Nils Anders Tegnell ist schon seit 2013 Staatsepidemiologe der schwedischen Behörde für öffentliche Gesundheit (Folkhälsomyndigheten).
Deutsches Dreigespann
Und dieser Tegnell machte schon seit Beginn der Pandemie in Schweden so ziemlich alles anders als das deutsche Dreigespann. Der wesentlichste Unterschied liegt beim Epidemiologen aus Uppsala darin, das er in den schwedischen Bürger investiert, dass er seinen Leuten vertraut hat. Jetzt könnte man etwas über den Schweden an sich erzählen, an dieses besondere Gemeinschaftsgefühl in diesem oft so verniedlicht dargestellten Astrid-Lindgren-Habitat erinnern, aber das ist zum einen ein Klischee und würde zum anderen dem Deutschen nicht gerecht werden.
Oder geht der Schwede mit sich selbst kontrollierter und intelligenter um als der Deutsche?
Auf der schwedischen Seite das sozialdemokratische Arbeiterkind Stefan Löfven, einer, der es geschafft hat, der sich vom Pflegekind und einer soliden Schweißerausbildung den langen Weg zum Ministerpräsidenten hochgearbeitet hat. Einer, der es auch deshalb geschafft hat, weil Menschen an ihn geglaubt und ihm vertraut haben.
Und auf der deutschen Seite das ehemalige FDJ-Mitglied, die Physikerin der Akademie der Wissenschaften der DDR, die Bundeskanzlerin, welche wohl glaubt, ihre Bürger dadurch gefügig machen zu können, dass sie ihnen damit droht, wenn sie dieses und jenes nicht mittragen würden, dass Deutschland dann nicht mehr ihr Land sei. Nun sind Löfven und Tegnell keineswegs immer ein Herz und eine Seele. Hier entstand für die Schweden aber auch nie der Eindruck, dass der eine dem anderen blind folgen würde.
Der Tagesspiegel berichtete im November 2020 über dieses Vertrauensverhältnis zwischen Regierung, Chefepidemiologe und Bevölkerung: „Löfven und Tegnell bescheinigten den Schweden bisher, sich im Großen und Ganzen an die Vorgaben zu halten. Tegnell bekräftigte (…) gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass es in Schweden keinen Lockdown geben werde. „Nein, wir bleiben auf diesem Weg“, sagte er demnach. „So läuft das bei uns in Schweden.“ Die freiwilligen Maßnahmen würden zum riesigen Teil umgesetzt.
So funktioniert das bei den Schweden. Aber was wird morgen sein? Noch mag es ja so sein, dass eine Reihe fehlender Statistiken und anhaltende mediale Diffamierungen des schwedischen Wegs den Vergleich verwässern – aber aktuelle Zahlen lassen sich nicht auf ewig verbergen: Neben dem Phänomen des Long-Covid, also der Spätfolge einer Erkrankung, werden die Spätfolgen der Corona-Maßnahmen Monat für Monat mehr ins Blickfeld der Menschen geraten. So werden in Deutschland beispielsweise immer im September die Zahlen der Suizide des Vorjahres veröffentlicht – so lange dauert es, sie zusammenzutragen – und wenn es hier eine Steigerung gab insbesondere unter den Lockdowns, dann müssen die beiden Koalitionsparteien hoffen, dass diese Zahlen erst bekannt werden, wenn die Wähler ihr Kreuz schon gemacht haben.
Wo in Schweden die Lockdowns ausfallen und die Menschen in Eigenverantwortung unterwegs sind, werden die deutschen Bürger auch noch in ihrem Grundrecht zu demonstrieren beschnitten, was wiederum wie der direkte Fingerzeig anmutet in die Lebenswirklichkeit einer Angela Merkel vor 1990. Aber damit wird man den vielen DDR-Bürgern nicht gerecht, die sich zwar notgedrungen eingerichtet haben, die aber aufbegehrten, die zu DDR-Zeiten immer ihren inneren Kompass auf Freiheit gestellt ließen.
Nein, Deutschland ist nicht Schweden, aber der schwedische Weg ist nicht aus einem Zaubertrank geboren, sondern aus dem gesunden Menschenverstand und für die Gesundheit der Bürger unter Zutun der Bürger.
Oder wie es die Achse etwas trockener entlang der neuesten Zahlen formuliert hat: „Die ungewöhnliche – und letztendlich mutige Strategie kam ohne Lockdown aus und erfährt aktuell ermutigende Bestätigung. Die „Foundation for Economic Education“ (FEE) berichtet: „Der rollierende 7-Tage-Durchschnitt der Covid-Todesfälle lag in der letzten Woche bei Null.“ (28. Woche).“
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Volkswagen tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: Jeppe Gustafsson/ShutterstockText: Gast