Von Daniel Weinmann
„Es ist leider keine gute Situation“, lautete die Warnung von Karl Lauterbach an diesem Freitag. Der Bundesgesundheitsminister geht davon aus, dass die offiziell gemeldeten Infektionszahlen von gegenwärtig rund 300.000 pro Tag tatsächlich doppelt so hoch zu veranschlagen sind. Das Risiko, jetzt einen schweren Verlauf bis hin zum Tod zu haben, sei „höher als es je war“. Seine Forderung, wie könnte es anders sein: Neue Maßnahmen ergreifen.
So what, fragt sich der Autor dieser Zeilen, den im beginnenden dritten Jahr der Pandemie nun auch das Virus erreicht hat. Für einen ungeimpften über 50-Jährigen bliebe nach der Lesart Lauterbachs damit nur, dem nahenden Tod ins Auge zu sehen und prae mortem den Nachlass zu regeln.
Wie zu erwarten – und wie von allen Autoren dieser Seite unter Heranziehung einer Vielzahl von Studien regelmäßig thematisiert – unterscheidet sich das Krankheitsbild jedoch nicht von dem einer Grippe: Müdigkeit, Halsweh und ein Anflug von Gliederschmerzen. Die Besserung des Wohlbefindens trat bereits ab Tag drei ein. Frisch weiter ans Werk, lautet somit die Devise.
SARS-CoV-2 würde nach Ostern wie ein Grippevirus eingestuft
Auch wenn Lauterbach wohl nie von seinem wissenschaftsfreien Panik-Kurs abrücken wird, regt sich zunehmend Widerstand. Jüngstes Beispiel ist der baden-württembergische Minister für Soziales, Gesundheit und Integration, Manfred Lucha. Der Grünen-Politiker, der bisher an der Seite seines Dienstherrn Winfried Kretschmann in Sachen Corona-Maßnahmen eher der Mann fürs Grobe war, verlangt in einem Brief an Karl Lauterbach, dass der Bund bald die endemische Phase ausruft.
Ende April, also nach den Osterferien, soll der Strategiewechsel eingeleitet werden. Dann, so Lucha, sei auch die Saison der Atemwegserkrankungen vorbei. Als Grund für seine Forderung führt der Sozialminister an, die Gesundheitsämter hätten wegen der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante ohnehin keinen Einfluss mehr auf das Ausbruchsgeschehen.
Die Folge laut Lucha: SARS-CoV-2 würde nach Ostern wie ein Grippevirus eingestuft und es gäbe praktisch keine verdachtsunabhängigen Tests mehr, außer etwa in Pflegeheimen. Zudem gäbe es keine obligatorische Absonderung mehr für positiv getestete Menschen und deren Kontaktpersonen.
»Offenbar falscher und irreführender Eindruck«
„Das Verhalten sollte vielmehr in die Eigenverantwortung gegeben werden, für Erkrankte gilt weiterhin die Aufforderung, zu Hause zu bleiben“, schreibt der Minister an Lauterbach. Das Infektionsgeschehen werde dann vor allem mit Hilfe von Meldedaten der Ärzte überwacht.
Lucha wandelt mit seinem Vorstoß auf einem gefährlichen Grat. Wie zu erwarten, hagelte es harsche Kritik von allen Seiten. Der Brief sei nicht mit ihm abgestimmt gewesen, ließ Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann erklären. Für SPD-Partei- und Fraktionschef Andreas Stoch ist die Lage eindeutig: „Jetzt ist es 5 nach 12. Dieser Mann ist als Minister nicht mehr zu halten.“ Massiven Druck bekam der Minister dem Vernehmen nach auch von den Chefs der Koalitionsfraktionen der Grünen und der CDU, Andreas Schwarz und Manuel Hagel.
Auch sein eigenes Ministerium verweigert ihm die Gefolgschaft: Die Inhalte des Schreibens hätten „offenbar einen falschen und irreführenden Eindruck vermittelt“, versuchte sich sein Sprecher aus der Affäre zu winden – um unmittelbar hinzuzufügen: „Wir erklären die Pandemie explizit nicht für beendet.“
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
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