Das Outing des Daniel Günther oder: Wenn sich ein CDU-Ministerpräsident in die Grünen verliebt

Man denkt, es könne einen nichts mehr überraschen, aber dann geht einem doch regelmäßig wieder die Hutschnur hoch. Wie beim Lesen dieses Vorspanns: „Der schleswig-holsteinische CDU-Ministerpräsident Daniel Günther bezeichnet das Aufenthaltsrecht der Ampel als im Grundsatz richtig. ‚Gender-Gaga‘-Debatten halte er für nicht zielführend, sagt er im F.A.Z-Interview.“

Vielleicht will die Frankfurter Allgemeine als ehemals konservative Zeitung die Nerven ihrer Leser dadurch schonen, dass sie das Interview hinter eine Zahlschranke gesteckt hat. Ich habe mir den Text gründlich angeschaut. Auch wenn es wehgetan hat. Denn was der Landesvater mit dem Charme eines Bestattungs-Instituts-Mitarbeiters (nichts gegen solche – aber sie haben eine andere Aufgabe als ein Ministerpräsident) da sagt, könnte in großen Teilen genauso gut von einem Grünen-Politiker stammen. Christdemokratische Akzente? Fehlanzeige. Pure Anbiederung an den rotgrünen Zeitgeist.

Zum Beispiel: „Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Deutschland ein Zuwanderungsland ist. Und ich bin fest davon überzeugt, dass Schutzsuchende, die in unser Land kommen, mit der richtigen Unterstützung und Qualifikation uns sehr bei der Be­kämpfung des Fachkräfte- und Arbeitskräftemangels helfen können.“ Für einen Teil trifft das sicher zu. Vielleicht sogar für einen großen. Aber sicher für viele eben auch nicht. Doch die blendet Günther einfach aus.

Aber es kommt noch dicker. Der CDU-Mann, der als „Merkels Lieblingsschüler“ galt, sagt: „In den Eckpunkten, die die Bundesregierung vorgelegt hat, steckt viel Richtiges. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich dazu eine etwas offenere Einstellung habe, und werbe in meiner Partei für eine liberalere Linie. Daneben habe ich ja schon lange den „Spurwechsel“ vom Asyl- zum Niederlassungsrecht gefordert und bin der Meinung, dass wir Menschen, die schon länger hier sind, den Weg in den Arbeitsmarkt erleichtern sollten.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Günther bekommt die Frage gestellt: „Gilt das auch für das Asyl- und Aufenthaltsrecht? In der Unionsfraktion gab es eine Gruppe, die nicht mit Nein gegen die Pläne der Ampel stimmen wollte, sondern sich enthielt und sich damit gegen Friedrich Merz stellte. Hätten Sie auch dazu gehört?“ Die Antwort des Möchtegern-Grünen: „Ich hätte mich auch so verhalten.“ Er fällt also seinem Parteichef ganz offen in den Rücken. Und er geht noch weiter in seiner Anbiederung an die Ampel: „Vieles in der neuen Regelung zum „Chancen-Aufenthaltsrecht“, also zum Aufenthaltsrecht für ‘Geduldete‘, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die aber nicht abgeschoben werden können, halte ich für richtig.“

Dann kommt der Schlüsselsatz: „Für eine frontale Opposition ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, da sind wir uns unserer gesamtstaatlichen Verantwortung im Bund und in den Ländern be­wusst.“ Wieder wird etwas wahr, was Rotgrün als Verschwörungstheorie diffamiert: Dass die etablierten Parteien bis zur Unkenntlichkeit inhaltlich verschmolzen sind, und keine echte Oppositionsarbeit mehr betreiben. Denn wenn eine Opposition nicht frontal ist, ist sie keine Opposition. Sondern ein Anhängsel der Regierung.

AfD als Volksfeind?

Günther sagt Sätze wie diese: „Schleswig-Holstein ist sicher nicht die Blaupause für ganz Deutschland. Ich glaube aber, einer der Schlüsselfaktoren ist unser Politikverständnis hier. Der Wille zur konstruktiven, pragmatischen Zu­sammenarbeit und der faire Umgang auch mit dem politischen Gegner.“ Das sagt er im gleichen Interview, in dem er die AfD verteufelt. Der Widerspruch scheint ihm gar nicht mehr aufzufallen. Die AfD ist für ihn offenbar kein „politischer Gegner“ – mit dem man ja „konstruktiv, pragmatisch“ zusammenarbeitet – sondern der Todfeind. Der Teufel quasi.

Das Politikverständnis, das Günther hier offenbart, die „konstruktive Zusammenarbeit“ der Opposition mit der Regierung – das hat viel gemeinsam mit dem Denken, das in sozialistischen Systemen und ihren Nachfolgern allgegenwärtig ist. So absurd eine Gleichsetzung mit dem System der „Blockparteien“ in der DDR wäre – so absurd wäre es, gewisse Ähnlichkeiten in der Denkweise zu übersehen.

Denke der DDR-Elite

Dass sich Günther all seiner Widersprüche nicht bewusst ist, dass er ganz offen ausspricht, dass er nur kastrierte – also keine echte – Oppositionsarbeit machen will und dass er damit durchkommt, zeigt, wie stark das Demokratie-Verständnis im polit-medialen Komplex und in Teilen der Bevölkerung schon deformiert ist. Wie stark das Denken der DDR-Eliten heute das politische Handeln und Denken wieder beeinflusst.

Ich erspare Ihnen die weiteren Ausführungen des nicht-oppositionellen Oppositionellen. Sie können stattdessen auch Interviews von Grünen- oder SPD-Politikern lesen. Nur noch ein paar kurze Punkte. Auf die Frage, ob die CDU Debatten über „Gender-Gaga“ und „Wokeness“ führen sollte, antwortet Günther: „Ich glaube, diese Abgrenzungsdebatten bringen uns nicht weiter. Ich konzentriere mich auf die Themen, die für unsere Gesellschaft wirklich relevant sind. Die gibt es zur Genüge – zumal in Zeiten wie diesen.“ Mit anderen Worten: Ich überlasse Rotgrün, das diese Themen ständig in den Vordergrund spielt, die Lufthoheit über die Debatte.

Kanzler-Unterstützungsverein

Lange und verwunden erklärt Günther auch, warum die CDU eigentlich gar keine CDU mehr sein darf. „Der Kern“ der Partei sei „doch ganz offensichtlich. Er besteht darin, Verantwortung zu übernehmen… Die Leute sollen merken, dass wir keinen sonderbaren Ideen hinterherjagen, sondern das Beste für das Land wollen. Das hat uns stark gemacht und ich wüsste nicht, warum wir uns völlig neu erfinden müssen.“ Also eine völlige inhaltliche Leere. Kanzlerwahl-Verein, sagte man früher. Jetzt dagegen, in der „Opposition“, Kanzler-Unterstützungsverein.

„Wichtig ist, dass wir in gesellschaftspolitischen Themen nicht in der Vergangenheit verharren, sondern Modernität ausstrahlen. Wir werden hier im Norden manchmal als ‘links‘ verortet“, sagt Günther. Und lässt ein Liebesbekenntnis für die Grünen folgen: Er glaube, die „Zeiten der politischen Blöcke“ seien vorbei. Auf die Frage der Interviewer, ob die Grünen auch der Modernisierung der CDU dienen, antwortet er: „Ich bin davon überzeugt, dass beide Parteien voneinander profitieren. Wir geben uns gegenseitig wichtige Impulse. Das öffnet dann auch für Themen, die man sonst bei der anderen Partei verortet lassen würde.“

Was für ein Glück, dass die Interviewer Hofberichterstatter und Stichwortgeber sind. Kritische Journalisten hätten den Ministerpräsidenten zerlegt. Aber denen würde er auch kein Interview geben.

Mein Video-Tipp:

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Bild: Olaf Kosinsky, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

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